Kapitel 54

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Einen weiteren Abend saß ich in einem der Korridore in den Kerkern und hing einfach meinen Gedanken nach. Mein Hinterkopf lag an der kühlenden Wand und ich hatte die Augen geschlossen.

Ich hatte es im Gemeinschaftsraum einfach nicht mehr ausgehalten. Diese sorglose Normalität. Das Getratsche von Pansy und Millicent; die Zärtlichkeiten, die Daphne und Brandon austauschten; die ratlosen Blicke von Crabbe und Goyle, während sie über ihrem Aufsatz für den nächsten Tag brüteten und die Befehle, die Theo und Blaise den Schachfiguren gaben.

In den letzten Tagen hatte sich ein bedrückendes Gefühl auf meine Brust gesetzt, welches ich nicht zuordnen konnte. War es eine böse Vorahnung, weil ich von dem Verschwindekabinett wusste? Oder war es das schlechte Gewissen, weil ich maßgeblich dazu beigetragen hatte, eine Sicherheitslücke herzustellen?

Als ich hörte, wie jemand mit leisen Schritten auf mich zukam, öffnete ich die Augen. Draco wurde langsamer, je näher er kam.

„Wo willst du hin?" fragte ich mit heiserer Stimme.

„Geht dich nichts an." Da war er also wieder. Der kalte Slytherin, der jeden von sich stieß.

Ich war überrascht, als er trotzdem vor mir stehen blieb und seinen Blick zu mir senkte. Als würde er darauf warten, dass ich ihn irgendwie aufhielt. Aber das würde ich nicht tun.

„Stimmt, es ist deine Sache", erwiderte ich und legte den Kopf leicht in den Nacken, um besser zu ihm hinaufschauen zu können.

„Ich muss das machen." Es war, als würde er sich selbst nochmal überzeugen und gleichzeitig schien es eine Bitte an mich zu sein.

„Hast du dir das gut überlegt?" Seiner Reaktion sah ich an, dass die Antwort auf meine Frage ganz klar ein ‚Nein' war.

Trotzdem wartete ich ab. Ich wusste nicht warum, aber genau in dem Moment kam mir etwas in den Sinn, dass er am Anfang des Schuljahres mal gesagt hatte. „Ich bin es leid, dass mir jeder sagt, wer ich bin." Heute würde ich das respektieren und ihm nichts sagen, auch wenn er förmlich darum bettelte. Es war seine Entscheidung.

„Ich habe keine Wahl, also lass mich gehen", forderte Draco leise. Ich hatte es tatsächlich geschafft, dass er über das Ganze nachdachte. Er dachte nach, aber war sich noch zu unsicher, um wirklich etwas zu ändern? Oder wollte er nochmal die Bestätigung von mir, dass es das Richtige war, wenn er die Aufgabe nicht absolvierte?

„Ich werde dich nicht aufhalten. Ich sitze hier nur." Es war seine Entscheidung, auch, wenn ich ihm gerne helfen würde. Er musste etwas aus eigener Kraft ändern und der Zweifel, der in seinen Augen aufblitzte, gab mir Hoffnung, dass er das tun würde.

Sichtlich unsicherer als noch vor unserem Gespräch, drehte er sich weg. Mit langsamen Schritten lief er weiter. Ich folgte ihm mit dem Blick, bis er schließlich die Treppen hinauf verschwunden war.

Einen Moment blieb ich noch sitzen, bevor ich mich aufrappelte und zum Büro meines Hauslehrers lief. Irgendwem musste ich schließlich Bescheid geben.

Ich konnte nicht sicher sein, was Draco vor hatte und ob heute wirklich einige Todesser durchs Verschwindekabinett die Schule betreten würden. Trotzdem war es mir lieber, wenn wenigstens einer der Lehrer Bescheid wusste.

Leise klopfte ich an die unscheinbare Holztür und wartete. Ich verknotete meine Hände ineinander und gerade, als ich ein weiteres Mal klopfen wollte, ging die Tür auf.

Mein Hauslehrer sah mit versteinertem Gesicht zu mir hinunter. Hinter ihm entdeckte ich einen jungen Hufflepuff über ein Pergament gebeugt. Er schrieb fleißig mit einer Feder und wagte nicht, den Kopf zu heben.

Lucinda - The Mask of a SlytherinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt