Ehrgeiz

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Herr Schwarz meinte das ernst. Er war in jeder Hinsicht bei seiner Arbeit Perfektionist. Bella bemühte sich, immer alles zu seiner Zufriedenheit zu erledigen. Doch irgendwie hatte sie das Gefühl, dass er trotzdem immer wieder eine Kleinigkeit finden würde, die ihn störte. Aber andererseits war dieser Perfektionismus irgendwie auch mitreißend, fand Bella. Sie entdeckte eine neue Eigenschaft an sich: Ehrgeiz. Sie war zwar nie eine schlechte Schülerin gewesen und hatte immer viel gelernt. Aber hier hatte sie einen neuen Ansporn und war sogar bereit, ihre Pause durchzuarbeiten. Ja, das Praktikum machte ihr zunehmend Spaß. Und auch die Kollegen und Kolleginnen waren alle mehr als nett.

Herrn Schwarz sah sie allerdings sehr selten. Er war häufig in Terminen unterwegs oder war außer Haus bei Kunden. Er kam meistens erst spät wieder ins Büro, wenn alle anderen bereits Feierabend machten. Die Kritik an ihrer Arbeit erreichte Bella nur, wenn sie am nächsten Morgen, nachdem sie sie in sein Fach gelegt hatte, wieder auf ihrem Schreibtisch lag. Meistens waren Markierungen darauf vorgenommen worden und Notizen mit Klebezetteln - verfasst in einer sehr sauberen Handschrift - daran befestigt. Bella fand, die saubere Handschrift passte zu ihm. Sehr ordentlich, schwungvoll aber man konnte auch erkennen, dass er beim Schreiben etwas stärkeren Druck auf das Papier ausübte.

Bella arbeitete jetzt seit einer Woche in der Firma. Aber eigenartigerweise hatte sie Herrn Schwarz seit dem auch nicht mehr im Aufzug getroffen. Aber sie vermutete, dass das daran liegt, dass sie jetzt nicht mehr zur gleichen Zeit aufsteht, wie wenn sie Schule hat. Sie ist in der Regel sehr früh im Büro. Herr Schwarz kommt meistens erst anderthalb Stunden nach Bella dort an, geht kurz in sein Büro und geht dann direkt zu seinen ersten Terminen. Schade eigentlich dachte Bella, die insgeheim gehofft hatte, sie würden sich nochmal im Fahrstuhl treffen und er würde sie erkennen und sie fragen, ob sie nicht bei ihm mitfahren wollte. Dann hätte sie vielleicht die Chance gehabt, ihn besser kennenzulernen.

Aber andererseits war sie sich auch gar nicht sicher, ob sie das überhaupt geschafft hätte. In seiner Gegenwart fühlte sie sich immer sehr eingeschüchtert und war immer etwas aufgeregt. Sie war so aufgeregt, dass sie (um nichts dummes zu sagen) versuchte, überflüssige Gespräche zu vermeiden. Wenn es dann mal dazu kam, dass sie sich kur unterhielten, weil Bella ihm mal wieder eine Akte herein brachte, dann antwortete sie immer nur sehr knapp und war froh, wenn sie sich bei diesen kurzen Antworten nicht versprach. Aber das machte sie immer so. Deswegen sahen andere sie häufig als Mauerblümchen. Sie war zwar wirklich hübsch und intelligent, aber auch in der Schule redete sie nicht wirklich viel. Außer mit ihren Freundinnen. Aber bei denen fühlte sie sich auch sicherer. Auch die zweite Woche ging immer mehr ins Land. Und Bella wurde bewusst, dass ihr Praktikum nur zwei Wochen ging und dass sie bald nicht mehr hier arbeiten würde. Aber sie hatte gerade damit begonnen, Spaß daran zu haben. Spaß am Umgang mit ihren Kolleginnen und Kollegen, aber auch an der Arbeit selber. Und sie empfand es mittlerweile schon fast als Lob, wenn Herr Schwarz eine Arbeit von ihr nach der dritten Korrektur dann irgendwann nicht wieder zurück auf ihren Platz legte. Bella hatte deswegen zwar schon Sorgen gehabt, dass sie ihren Job schlecht machte, aber Frau Dieck hatte sie dahingehend beruhigt. "Das macht er bei uns auch." sagte sie, während sie in der Mittagspause mit der Gabel in ihrem Salat herumstocherte. "Aber wir haben uns irgendwann damit abgefunden. Er möchte halt, dass alles seine absolute Richtigkeit hat." Wenn ich noch länger da wäre, würde ich ihm irgendwann eine Arbeit vorlegen, an der er nichts zu kritisieren hat. Das wäre mein Ziel dachte Bella und war selbst darüber verwundert, wie zielstrebig der Gedanke in ihrem Kopf klang. So kannte sie sich selber gar nicht.

Das PraktikumWo Geschichten leben. Entdecke jetzt