Der Unterschied zwischen Kontrolle und Interesse

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Tony und Bella verbrachten einen wundervollen Abend in dem Restaurant. Alles daran spiegelte Tonys Art wieder, Sachen genauestens zu durchdenken und zu planen, damit sie bis ins kleinste Detail stimmig sind. Er war Perfektionist und Kontrollwütiger in einem. Das hatte Bella schon im Büro oft bemerkt. Öfters war sie bei Meetings dabei gewesen, bei denen Tony jede noch so kleine Information hinterfragte und alles genauestens wissen wollte, ehe er eine Entscheidung traf. Es hatte immer Hand und Fuß. Das machte ihn irgendwie so gut in seinem Job.

Aber zurück zu dem Abend... Bella war unglaublich froh, dass sie sich getraut hat, ihn nach diesem Abend zu fragen. Nach diesem Abend? Nach diesem Treffen? Oder war es sowas, wie ein Date? Bella war sich nicht sicher. Aber sie fühlte sich gut. Sie fand sich selbst unglaublich schick, fand Tony unglaublich schick, genoss das Essen und das Ambiente. Keiner ihrer Gedanken hing an den Momenten in seinem Büro mit dessen dreckigen Teppich, auf dem sie so oft gekniet hatte. Sie war völlig im Hier und Jetzt angekommen. Und sie fühlte sich wie ein völlig anderer Mensch, verglichen mit dem schüchternen Mädchen, das ihn heimlich jeden Morgen im Fahrstuhl angehimmelt hatte. Sie fühlte sich irgendwie eher auf einer Augenhöhe mit ihm. Auch wenn das nur so halb stimmte, denn er ließ niemanden so richtig auf eine Augenhöhe mit ihm kommen. Dafür war er zu bestimmend. Aber sie fühlte sich zumindest von ihm wahrgenommen, geachtet und geschätzt.

Sie genossen das Essen. Es war wirklich unglaublich lecker. Und man merkte an der Qualität des Essens, dass sich die beiden in einem Restaurant mit gehobener Küche befanden. Zur Vorspeise hatte sie ein Uovo al tegamino, ein Spiegelei, das in Butter geschenkt und mit Trüffel und Parmesan serviert wird. Bella hatte natürlich schon Spiegeleier gegessen, aber so kannte sie es bislang noch nicht. Der Italiener bei ihr zu Hause hatte als Vorspeise nur Bruschetta und Pizzabrötchen mit Knoblauchöl. Da war das etwas ganz anderes. Und auch Tonys Tartare di tonno (Thunfisch-Tartar mit Avocado, Koriander und einem süßsauren Dressing) war eher etwas ausgefallenes. Wäre Bella keine Vegetarierin, hätte sie es gerne mal gekostet. So blieb sie aber auch gerne bei ihrer Vorspeise.

Nachdem die Vorspeise abgeräumt wurde, kam Alessandro erneut an ihren Tisch und erkundigte sich, ob alles in Ordnung sei, fragte dann erst Bella und dann Tony, ob sie noch etwas zu trinken wünschen. Beide bestellten noch ein Glas des Rotweins. Alessandro schenkte nach und füllte die großen, bauchigen Gläser etwa zu einem Drittel. Irgendwie typisch für ein gehobenes italienisches Restaurant dachte Bella. Alessandro kam nach einigen Minuten mit dem Hauptgang wieder. Und während er den Flan di verdure vor Bella abstellte, der einen fantastischen Duft in Bellas Nase steigen lies, dachte sie Wenn uns hier der Oberkellner in so einem guten Restaurant persönlich bedient, muss Tony hier sehr bekannt sein. Wahrscheinlich ist er öfter hier. Alessandro stellte auch Tonys Saltimbocca alla Romana ab, lächelte beiden nochmal zu, machte eine leichte Verbeugung und entfernte sich wieder.

Bellas Essen war ein Gemüse-Flan (was nichts weiter ist, als ein Teig aus Gemüse, Eiern und Milch, der in eine Form gedrückt wird), der mit verschiedenen Gemüsesorten und einer sahnigen Tomatensauce gefüllt und mit Käse überbacken war. Tonys Saltimbocca alla Romana war alles andere als Vegetarisch, aber er schien es öfter hier zu essen, denn Alessandro kommentierte seine Bestellung mit "Aaah, wie immer eine gute Wahl, eh?". Es bestand aus einem Kalbsfilet, umwickelt mit Schinken und Salbei, serviert mit gebratenen Kartoffeln und gehackter Petersilie.

Sie genossen das Essen, unterhielten sich dabei ausgiebig und tranken ihren Wein, den Alessandro immer wieder auffüllte, sobald er sah, dass sich das Glas von einem der beiden leerte. Sie sprachen über alles Mögliche, über Bellas Interessen, über ihre Familie und Freunde, über ihre Zukunftswünsche. Und immer wieder fragte Tony interessiert nach. Er hing bei jeder Antwort an ihren Lippen, hörte ihr aufmerksam zu und wollte alles genauestens wissen. Ganz so, wie es auch seine Art in den Meetings war. Aber nicht auf eine bohrende und penetrante Art, sondern eher als wäre es ein gutes Buch, das er genau liest, um jedes Detail mitzukriegen. Bella merkte, dass er sich für sie interessiert.

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