Eine kleine Dose

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Als Luc wach wurde, nahm er zuerst die Pheromone des Omegas wahr, die ihn einhüllten, wie eine weiche Decke. Der Raum war noch immer dunkel. Wie viel Zeit nun vergangen war, vermochte er nicht zu sagen. Es konnte sich um eine Stunde handeln oder um einen Tag. Nova lag noch immer neben ihm und schlief. Um ehrlich zu sein, hatte er damit gerechnet alleine aufzuwachen. 

Novas Körper hob und senkte sich in regelmäßigen Abständen. Luc streckte seine Finger nach dem Stoff des Shirts aus und schob ihn soweit nach unten, bis er einen genaueren Blick auf die rote Blume werfen konnte. In der Dunkelheit erkannte er nur sehr wage Umrisse. Die rote Tinte war schwer zu erkennen, stach aber selbst im Dunkeln aus der weißen Haut hervor. Luc meinte sogar, eine solche Blume schon mal gesehen zu haben. Nur wo? Heimisch waren sie hier sicherlich nicht. 

,,Was tust du da?", Novas schlaftrunkene Stimme ließ seinen Blick wieder nach oben wandern. Der Omega drehte sich zu ihm und blinzelte ihn verschlafen an. Es fühlte sich seltsam an, so nah bei einander zu liegen ohne miteinander zu schlafen. 

,,Was ist das für eine Blume auf deinem Rücken?"

Nova seufzte und rutschte näher an ihn heran, was den Alpha sehr überraschte. 

,,Eine rote Spinnenlilie."

Er hatte noch nie von dieser Blumenart gehört. 

,,Sind das deine Lieblingsblumen?", es musste doch einen Grund haben, weshalb man sich ein Tattoo davon stechen ließ oder?

,,Sie symbolisiert Tod, Abschied und Wiedergeburt, aber meistens steht sie für den endgültigen Abschied. Außerdem war es die Lieblingsblume meiner Mom. Ich fand das passend.", Novas Stimme war immer leiser geworden. 

Mehrere Fragen hatten sich in Lucs Kopf angesammelt: Wo kam Nova her und was war mit seiner Mom passiert? Er wollte mit seiner Neugier nicht diesen kleinen Moment zwischen ihnen ruinieren und schwieg. 

Vielleicht wollte Nova aber, dass er nachfragte... Cathy hatte mal versucht ihm irgendwie diese Omega-Logik zu erklären, war jedoch kläglich gescheitert. 

,,Warum bist du noch hier, Luc?", Nova setzte sich auf und steckte die Hände über den Kopf. Er fuhr sich durchs Haar und entwirrte die schwarzen Strähnen mit seinen Fingern. Luc hätte es am liebsten berührt, um zu spüren wie die seidigen Strähnen über seine Fingerspitzen glitten. 

Um auf ihn aufzupassen.

Weil er sich einen Narren an dem Omega gefressen hatte.

Weil er hoffte, Nova vielleicht noch weitere Male berühren zu dürfen. Zu schmecken und zu fühlen. 

Weil er den Omega mochte.

,,Ich mag dich.", Luc drehte sich auf den Rücken. Er erschrak beinahe, als Nova lachte. Der Alpha war so überrascht von diesen Geräusch, dass er sich aufrichtete und versuchte in der Dunkelheit zu erkennen, ob der Laut tatsächlich von dem Omega kam.

,,Ach was? Und was magst du an mir?", Nova verließ das Bett und schaltete die kleine Lampe an, ehe er nach seinem Rucksack griff und darin herumwühlte. 

Tja, gute Frage. Viel hatte er von dem Omega ja nicht erfahren. 

,,Deine Unverfrorenheit, dein Selbstbewusstsein. Du machst auch einen sehr risikofreudigen Eindruck auf mich und ob dus glaubst oder nicht: Du bist liebenswert.", Luc streckte sich und gähnte. So richtig wach war er noch nicht. 

,,Das darf nicht sein! Das darf nicht sein! Das darf nicht sein!", Novas verzweifelte Stimme ließ ihn wieder aufsehen. Der Omega leerte den gesamten Inhalt des Rucksacks auf den Boden: Ein Paar teure Schuhe, Motorradhandschuhe, einen Führerschein und eine Flasche Wasser. Darunter offensichtlich nichts wonach er suchte. 

,,Wonach suchst du?", egal was es war, es schien sehr wichtig zu sein. Luc warf die Beine über die Bettkante und stand auf. Nova raufte sich das Haar und schlug mit der Faust auf den Tisch. 

,,Eine Dose mit Tabletten. Ich habe sie eingepackt, das weiß ich!", der Omega warf den Rucksack in ein Eck sah zum dutzendsten Mal die Sachen auf dem Boden durch. Vermutlich war es ein sehr schlechter Zeitpunkt um ihm zu sagen, dass Luc diese Dose auf Novas Wunsch hin auf eines der Nachtkästchen neben dem Bett im Hotelzimmer gestellt hatte...

,,Wir müssen im Auto nachsehen, vielleicht ist sie dort rausgefallen, als ich die Schuhe eingepackt habe.", der Omega sah zu ihm auf. Tränen schimmerten in dessen Augen. Luc nickte leicht. Wenn Nova die Dose nicht wieder in seinen Rucksack gepackt hatte, dann stand sie mit großer Sicherheit noch im Hotelzimmer. 

Er schlüpfte in sein Hemd und Schuhe und rannte dann hinter Nova her. Der Club war leer und sogar mit einem normalen Licht beleuchtet. Ein paar Tänzer schienen zu proben, die Barkeeper machten Gläser sauber und füllten leere Stellen im Regal auf. An einem runden Tisch am Rand saßen ein paar Männer, zwei Alphas und ein Beta, darunter auch Lev der Türsteher. 

Der fremde Alpha sah auf, als Nova an ihm vorbei huschte, offensichtlich überrascht den Omega so aufgebracht zu sehen. Er schien asiatischer Abstammung zu sein, soweit Luc das beurteilen konnte. Unter den schwarzen Augenbrauen blickten zwei ebenso dunkle Augen hervor und musterten ihn argwöhnisch. Der Mann war muskulös und wirkte auch nicht gerade klein. Unter seiner krummen Nase hing ein dunkler, gepflegter Bart.

,,Nova, meine Lilie, was macht dich so emotional?", er stand auf und warf einen Blick auf Luc, ehe er fortfuhr: ,,Und wer ist das?"

Der Mann sprach mit Nova, wie ein Vater zu seinem Kind sprechen würde. Der Alpha hielt sie auf und legte dem Omega eine Hand auf die Schulter, ehe er die Tränen unter dessen Augen wegwischte. Luc hatte ziemlich schnell den Entschluss gefasst, diesen Mann nicht zu mögen. 

,,Ich habe etwas sehr wichtiges verloren.", Nova schlug die Hand von seiner Schulter und kehrte ihnen den Rücken zu.

,,Luc. Ich bin ein Freund von Nova.", stellte Luc sich schließlich vor und erregte somit die Aufmerksamkeit von allen dreien.

,,Ein Freund von Nova ist ein Freund von uns. Ein Feind von Nova, ist auch unser Feind. Merk dir das Bursche. Mich darfst du übrigens Mr. Han nennen."


,,Hier ist nichts, Nova.", es hatte aufgehört zu regnen, die Straßen waren jedoch noch immer nass. Nova trug keine Schuhe, sondern stolperte mit nackten Füßen auf der Straße herum, weshalb der Verband bereits völlig durchnässt war. Seit etwa zehn Minuten durchsuchte er nun schon das Auto, selbst an Stellen, an denen diese Dose nicht einmal sein konnte. War der Omega krank? Oder handelte es sich bei den Tabletten um Drogen?

Nova wirkte nicht wie ein Drogenabhängiger auf ihn...

,,Sie muss hier sein! Ich habe sie nicht einmal aus meinem Rucksack raus geholt!", fauchte Nova und schlug die Autotür zu. 

,,Sie kann gar nicht hier sein, weil ich sie rausgeholt habe!", knurrte Luc und finsterte den Omega an. Er musste sich auch nicht alles gefallen lassen. Nova kam auf ihn zu und blieb dicht vor ihm stehen.

,,Du. Hast. Was?!"

,,Als ich dich auf dein Zimmer gebracht habe, hast du mich gebeten dir diese Dose zu geben. Ich habe sie auf das Nachtkästchen gestellt.", er versuchte so ruhig wie nur möglich zu bleiben. Jetzt mit dem Omega einen Streit anzufangen war keine gute Idee und auch nicht seine Absicht.

Luc konnte regelrecht sehen, wie gerne Nova ihn geschlagen hätte. Der Omega ballte die Hände zu Fäusten und funkelte in wütend an. In seinen Augen schimmerten schon wieder Tränen. Der Alpha wollte ihn berühren um Nova zu trösten, doch dieser schlug erst seine Hand weg und ohrfeigte ihn anschließend. 

,,Verschwinde endlich!", schrie Nova und stürmte davon, in Richtung des Clubs. Er hatte doch nichts falsch gemacht! Luc schüttelte den Kopf und setzte sich in das Auto. Er umgriff das Lenkrad mit beiden Händen und schluckte dann seine Wut hinunter. Seine Wange brannte, an der Stelle die der Omega getroffen hatte. 

Nein. Er würde nicht verschwinden. 

Luc würde Nova nicht aufgeben.



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