Verdrängte Erinnerungen

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Luc beobachtete den Beta dabei, wie er den Lichtschalter umlegte und das Zimmer von einem roten Licht erhellt wurde. Auf dem Bett saß eine junge Frau, zusammengekauert und sich an die Decke klammernd. Ihr Makeup war verschmiert und sie sah panisch zwischen ihm und dem anderen Mann hin und her. Auf dem Boden, neben dem Bett lag Nova, offensichtlich bewusstlos. Sein Gefühl war also richtig gewesen...

Der Alpha schloss die Türe hinter sich und machte einen Schritt auf den anderen zu. Zu seiner Überraschung zog der Beta ein kleines Klappmesser aus der Jackentasche seines Sakkos und richtete die Klinge in seine Richtung. 


Nova:

Das was in Reden auf koreanisch gesprochen wird, ist kursiv geschrieben. 


Nova war schon oft bewusstlos gewesen, wegen den verschiedensten Gründen. Es war nichts anderes, als ein erzwungener Schlaf, der seine schwarzen Klauen um ihn legte und festhielt. Er konnte der Dunkelheit nicht entrinnen. Bisher war es auch immer eine tiefe Schwärze gewesen in die er gefallen war. Erdrückend und leer.

Doch dieses Mal träumte er. Von dem Tag, an dem seine Mom gestorben war. Er träumte von dem Gewitter, dass ihn heimgesucht hatte. Der Donner und die Blitze, die ihn verschreckt hatten. Er selbst saß im verriegelten Auto seines Dads und sah zu,  wie zwei Männer ein Grab in den Boden des Waldes am Surak Gebirge schaufelten. Er konnte spüren, wie seine stummen Tränen auf den Stoff seiner Hose tropften. Wie der Hass seine Kehle zuschnürte und sich eine brennende Wut in ihm ausbreitete. Er war nicht schnell genug gewesen, um den Fängen seines Vaters zu entkommen. Nova hatte es gerade einmal zwei Straßen weit geschafft, bis man ihn geschnappt hatte. 

,,Benimm dich oder du liegst bald bei ihr.", die tiefe Stimme seines Dads, die er zu diesem Zeitpunkt das erste Mal gehört hatte, jagte ihm schreckliche Angst ein. Er saß mit einem fremden Mann im Auto. Mit dem Mörder seiner Mom. 

,,Du solltest mir dankbar dafür sein, dass ich dich da raus geholt habe, Nova."

Er schloss seine Augen, presste sie Lider so fest aufeinander, bis er Sterne vor seinen Augen tanzen sah, in der Hoffnung, dass alles nur ein Traum war. 

Als er sie wieder öffnete, starrte er an die rot beleuchtete Decke seines Zimmers im Aphrodite.

Es war lange her, seit er an diese Nacht gedacht hatte. Er hatte die Erinnerungen daran in die letzte Ecke seines Gedächtnisses verbannt. Warum träumte er ausgerechnet jetzt davon?

Nova blinzelte und richtete sich auf. Augenblicklich drehte sich alles um ihn herum und er sank kraftlos zurück auf die Matratze. Wieso lag er überhaupt hier? War das vielleicht auch wieder nur ein Traum? Oder eine Halluzination? 

,,Du bist wach.", aus irgendeiner Ecke des Zimmers, hörte er Lucs leise Stimme. Augenblicklich überfuhr ihn eine Welle der Erleichterung. Der Alpha war hier. 

Wach? es fühlte sich nicht an, als wäre er wach. Sein Kopf lag schwer zwischen seinen Schultern und er schaffte es nicht, sich aufzurichten. 

Alles vor ihm erschien bloß in einer verschwommenen Form, die in rotes Licht getaucht wurde. Es fühlte sich an wie ein Drogentrip. Irgendwann tauchte Lucs Gesicht vor ihm auf. Nova erkannte nicht, mit welchem Ausdruck der Alpha auf ihn hinab sah. Er spürte nur, wie sich ein Arm unter seinen Rücken schob und ihn dazu zwang sich aufzurichten. Der Omega zuckte zurück, als sich etwas kaltes an seine Lippen legte. Erst, als das Wasser seine ausgetrocknete Kehle hinunter rann erkannte Nova, dass es sich dabei um ein Glas handelte. 

Irgendwann glitt Nova wieder in einen seltsam schweren Schlaf.


Kleine Triggerwarning hier an der Stelle zum Thema Misshandlung. Es wird nicht detailliert beschrieben, aber passiert. Ich markiere den Beginn und das Ende der Szene, für jene, die das nicht lesen möchten mit einem ____!

Als er das nächste Mal die Augen öffnete, stand er in einem luxuriösen Schlafzimmer einer Yacht. Er hatte diese Erinnerung noch tiefer vergraben, als den Tod seiner Mom. Erst vor kurzem war er gemeinsam mit seinem Dad in Amerika angekommen. Es war nicht annähernd so, wie er es sich vorgestellt hatte. Nicht so, wie es in den ganzen Filmen immer gezeigt wurde. Die Menschen waren eigen und kalt. Man half einander nicht. Nova war nicht an diesen Luxus gewöhnt. Seit er sich erinnern konnte, hatte er sich ein Schlafzimmer mit seiner Mom geteilt. Sie war eine Prostituierte gewesen, weshalb er in einem Bordell aufgewachsen war. Man hatte sich dort alles geteilt. Nova erinnerte sich an manche Abende, an denen er nicht das Zimmer betreten durfte, sondern sich draußen, vor dem Bordell mit allem was er gefunden hatte, beschäftigen musste. 

Der Luxus eines eigenen Zimmers war neu. Ein eigenes Badezimmer mit Badewanne zu haben, war neu. Auf einer Yacht zu sein war neu. Alles war neu und fühlte sich schrecklich an. Er wollte zurück nach Seoul, selbst wenn dort nichts und niemand mehr existierte, der ihn empfangen würde. Er spürte die heißen Tränen, die über seine Wangen rannen und auf den schön polierten Boden tropften. Keine Tränen der Trauer, nicht mehr, stattdessen hatte er Angst. Auch ohne zu wissen, was genau sein Dad da draußen machte, wusste Nova, dass er kein netter Mensch war und nicht eine Sache von dem, was dabei raus kam, gut war. Der Omega hatte bereits nach einem Schlüssel gesucht, für das Schlafzimmer und auch das Badezimmer, doch gefunden hatte er nichts. 

Das Kleid kratzte auf seiner Haut und schnürte ihn ein. Am liebsten hätte er es in Fetzen gerissen, aber er wagte es nicht sich zu bewegen. Wie angewurzelt stand er noch immer an derselben Stelle, seit sein Dad ihn hier her gebracht hatte und wieder gegangen war. Irgendwann hatten seine Füße ihn zu dem kleinen Fenster getragen und er starrte auf die alles verschlingende Dunkelheit, welche die Yacht umgab. Es fühlte sich an, als würde er auf sein Inneres starren. Eine nicht endende Leere. 

Er hatte sich in einer Ecke es Zimmers zusammengekauert, als Nova die Stimme seines Vaters hörte und dieser gefolgt von einem anderen Alpha in den Raum traten. Nur einen kurzen Moment sah Nova auf. 

,,Ich weiß nicht ob er uns versteht. Bisher hat er nur auf koreanisch reagiert.", hörte er seinen Dad sagen. Natürlich konnte Nova ihn verstehen. Seine Mom hatte sehr viel Wert darauf gelegt, dass er sowohl koranisch als auch englisch sprechen konnte. 

,,Du tust was man dir sagt, verstanden?", auch ohne aufzusehen wusste der Omega, dass die Blicke der beiden Alphas auf ihm lagen. Er antwortete auch nach einer Weile Stille nicht. 

Nova hörte nicht, was sein Dad dem anderen zuflüsterte, ehe er ging. Erst, als die Türe ins Schloss fiel und er alleine mit dem Fremden zurückblieb, bekam er ein ungutes Gefühl. Er beobachtete den Mann dabei, wie er sein Jackett ablegte und über die Lehne eines Stuhls warf. 

Der Omega sah das erste Mal richtig auf. Der Alpha war groß und sportlich gebaut. 

,,Verstehst du was ich sage?", die Stimme des Mannes war tief und laut. Nova hatte bisher kaum Kontakt zu Alphas gehabt. Seine Mom hatte immer darauf geachtet, dass ihm niemand, egal unter welchen Umständen, zu nahe kam. Auf einmal fühlte sich das Zimmer kleiner an als es war. Er saß in einer Ecke, unfähig irgendwohin zu flüchten, dem Alpha vor ihm ausgeliefert. 

Nova nickte leicht. 

,,Das erleichtert die ganze Sache. Zieh dich aus und leg dich auf das Bett."

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Er hatte versucht sich zu wehren und sich irgendwie aus den Fängen des Alphas zu befreien, was diesen aber nur amüsiert hatte. Der Mann hatte ihn ohne Mühe auf dem Bett festgehalten und ausgezogen zugleich. Nova hatte solange gebettelt und geschrien, bis kein einziger Ton mehr hervorgekommen war. Es hatte sich angefühlt, als würde er an seinem Schluchzen ersticken. 

Fremde Hände berührten jede Stelle seines Körpers. Stellen, an denen sie nichts zu suchen hatten. Irgendwann erstarb sein Widerstand und er hoffte nur noch auf den Moment, an dem alles vorbei war. Er ließ es über sich ergehen, auch wenn es sich falsch anfühlte. Sein Körper hatte keine Kraft mehr sich zu wehren und die Schmerzen und Verzweiflung reichten nicht aus, um ihm welche zu geben. 

Er wusste nicht, wie lange es gedauert hatte. Irgendwann hatte der Alpha von ihm abgelassen und war gegangen. Nova blieb liegen. Es war weniger schmerzhaft, als sich zu bewegen. Zum ersten mal in seinem Leben, verspürte er puren Hass. 

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Wildcard [Omegaverse]Where stories live. Discover now