Kapitel 10

1.1K 6 0
                                    

Nach einer gefühlten Ewigkeit hatte Katja endlich den harten Lehmboden gelockert. Sie zog einen rostigen, vielleicht fünf Zentimeter langen Nagel aus dem Boden. Enttäuscht seufzte sie auf. Was hast du denn erwartet? Einen Schatz oder vielleicht den Schlüssel für die Kellertür, dachte sie bei sich. Da war aber noch etwas in dem harten Lehm verborgen. Vorsichtig kratze sie mit dem Nagel den Boden weiter auf. Mit dem kleinen Werkzeug hatte sie ziemlich schnell noch etwas freigelegt.

„Was ist das?", sagte sie verwundert zu sich selbst. Der Lehm war an dem Teil fest gebacken. Sie schaute zu dem Wassereimer und schüttelte dann den Kopf. Kurzerhand wusch sie das Teil in ihrer eigenen Pisse ab. Nach ein paar Minuten lag ein kleiner, tropfenförmiger Ohrring goldglänzend auf ihrer Handfläche.

Ungläubig schaut sie auf den Ohrring in ihrer Hand. Wie kommt der denn hier her, ging es ihr durch den Kopf.

Plötzlich horchte Katja auf. Da war ein Geräusch. Scheiße er kommt, schoss es ihr durch den Kopf. Panik kam in ihr hoch. Der Graf durfte nicht sehen was sie gefunden hatte. Hektisch legte sie den Nagel und den Ohrring wider in das Loch und strich den Lehm darüber glatt. Dann stellte sie den Eimer mit ihrer Pisse darüber. Katja warf die Decke achtlos in die Ecke und stellte sich mitten in den Raum wie es Graf Helldorf ihr erklärt hatte. Angst kam in ihr hoch. Ihre Beine fingen unkontrolliert an zu zittern. So stand sie minutenlang fast bewegungslos mitten im Raum und wartete voller Angst darauf, dass der Graf die Kellertür endlich aufschloss. Aber nichts passierte.

Katja beruhigte sich nur langsam. Sie trank ein paar Schlucke Wasser und legte sich dann wieder die Decke um die Schultern. Als sie ihren Fund wieder ausgrub viel ihr an Wand etwas auf. Da war doch etwas eingeritzt, dachte sie bei sich. Ohne groß zu überlegen tunkte sie einen Zipfel der alten Decke in ihren eigenen Urin und begann unten an der Wand die Farbe abzureiben. Es dauerte nicht lange bis sie erkennen konnte was dort, vermutlich mit dem Nagel, eingeritzt war.

25/3/07 | | |

„Was soll das bedeuten?", flüsterte sie und strich mit den Fingerspitzen vorsichtig über die eingeritzten Zahlen und Striche. Katja überlegte und sprach dabei laut mit sich selbst.

„Okay. Die Zahlen könnten eine Datum sein. Der 25. März 2007. Aber was sollen die Striche dahinter bedeuten?", sagte sie zu sich selbst.

Katja dachte angestrengt nach. Da hat jemand die Tage gezählt, schoss es ihr blitzartig durch den Kopf.

„Ja genau das ist es! Da hat jemand die Tage gezählt. Die er hier drin war.", sagte Katja. „Vermutlich eine Frau und die hat auch den Ohrring hier vergraben."

Katja starrte die drei Striche an. Drei Striche! Entweder wurde sie am vierten Tag freigelassen oder sie war Tod, dachte sie bei sich.

„Wer hat dich hier gefangen gehalten? War es auch Graf Helldorf?", fragte Katja sich selbst.

Langsam stand Katja auf und sah sich in dem Keller um. Wenn er sie und mich hier eingesperrt hat, wie viele hat es dann wohl noch gegeben, dachte sie bei sich. Ein unglaublicher Verdacht kam in Katja hoch.

Katja fing noch einmal an die Wände abzusuchen. Vor allem an den Stellen die mit der grobkörnigen weißen Farbe gestrichen worden waren. Als es anfing draußen zu dämmern hockte sie, an die Wand gelehnt, neben dem Wassereimer. Tränen liefen ihr wieder lautlos über die Wangen. Sie zitterte und diesmal zitterte Sie nicht vor Kälte sondern vor Angst.

Bis zum Einbruch der Dunkelheit hatte sie an neun verschiedenen Stellen Kratzspuren gefunden, die eindeutig von Personen sein mussten, die hier unten gegen ihren Willen gefangen gehalten worden waren. Vermutlich alles Frauen.

Die längste Strichreihe bestand aus fünfunddreißig Strichen, die kürzeste aus drei Strichen. Manchmal hatte sie nur ein Datum gefunden und einmal nur ein Namenskürzel. Fünfunddreißig Tage war eine Frau hier gefangen. Katja wollte sich gar nicht ausmalen was diese Frau hier unten alles erlitten hatte. Wahrscheinlich stand ihr das auch noch alles bevor. Sie war erst drei Tage in diesem Haus und es fühlte sich schon an wie die Hölle auf Erden.

Katja spürte wie sich ihr Magen vor Hunger schmerzhaft verkrampfte. Sie hatte seit dem Silvesterabend nichts mehr gegessen. Das waren jetzt fast achtundvierzig Stunden her. So lange musste sie noch nie ohne etwas zu Essen aushalten. Die paar Schlucke Wasser die sie heute getrunken hatte, reichten nicht um ihren Magen zu füllen.

Draußen war es bereits Dunkel und ihr fielen vor Müdigkeit immer wieder die Augen zu. Plötzlich war da wieder ein Geräusch. Es war ganz nah. Katja hörte wie von außen ein Schlüssel in das Schloss der Kellertür geschoben wurde. Fast gleichzeitig ging weit oben an der Decke eine kleine Lampe an und tauchte den Raum in ein gelbliches Licht.

Katja sprang blitzartig auf, schüttelte die Decke ab und stellte sich mitten im Raum in die vorgeschriebene Position. Egal was passiert, sieh nur nach unten, ging es ihr durch den Kopf. Die Tür wurde aufgeschlossen und Graf Helldorf betrat den Kellerraum. In der rechten Hand hielt er wieder den Rohrstock und in der linken Hand hatte er eine silbrig glänzende Schüssel.

Wortlos trat der Graf Katja gegenüber und musterte sie von oben nach unten. Dann nahm er die Blechschüssel, drehte sie um und kippte Katja den Inhalt vor die Füße auf den dreckigen Lehmboden.

Jetzt konnte Katja auch sehen was in der Schüssel war. Es war etwas zu essen. Sie sah Reis, Hackfleisch und grüne und rot Stücke von irgendwas. Zwischendrin lag ein zerfetztes Spiegelei.

„Sitz!", befahl ihr Graf Helldorf und trat dann zwei Schritte zurück.

Katja ließ sich auf die Knie fallen und setzte sich aufrecht auf ihre Fersen. Die Hände lagen auf ihren Oberschenkeln und sie sah zu Boden.

„Jetzt sprich dein Tischgebet.", forderte sie der Graf auf.

Scheiße, ein Tischgebet! Scheiße wie ging das nochmal, schoss es ihr panisch durch den Kopf. Katja brach der Schweiß aus. Sie schloss die Augen und versuchte sich an das Gebet zu erinnern welches der Graf bei ihrem gemeinsamen Essen gesprochen hatte. Plötzlich spürte sie wie von Helldorf mit dem Rohrstock langsam über ihren Rücken strich. Denk nach! Denk nach, ging es ihr durch den Kopf.

„Lieber Gott...", fing Katja ängstlich an zu beten.

Im selben Augenblick traf sie der Hieb mit dem Rohrstock mitten auf dem Rücken. Der Schlag war nicht fest aber er reichte aus, dass sie beinahe laut aufgeschrien hätte. Tränen schossen Katja in die Augen.

„Lieber Gott...", fing Katja schluchzend wieder an zu beten. „... danke für die Gaben... die wir... von dir... empfangen haben. Bitte... segne Graf..., Graf von Helldorf. Amen!"

„Friss!", befahl ihr Graf Helldorf.

Sofort beugte sich Katja vor und fing an das Essen mit ihren dreckigen Händen vom Boden aufzulesen und schnell in ihren Mund zu stopfen. Sie verschluckte sich ein paar Mal, machte aber weiter.

Das essen war kalt und vermutlich schon ein paar Stunden alt. Das war ihr aber egal. Sie hatte seit zwei Tagen nichts gegessen und sie konnte nicht wissen, wann oder ob sie überhaupt wieder etwas zu essen bekommen würde. Das Essen schmeckte asiatisch und in dem Augenblick spürte sie auch schon die Schärfe des Essens in ihrem Mund und Hals. Katja fing an zu würgen. Oh Gott ist das scharf, dachte sie bei sich.

Der Graf schaute ihr lächelnd dabei zu, wie sie das Essen vom Boden aufklaubte. „Wenn du es wieder auskotzt, dann frisst du es nochmal. Das machst du solange bis es drin bleibt.", sagte der Graf teilnahmslos. Dann drehte sich von Helldorf um und verließ den Raum. In der Tür drehte er sich noch einmal um.

„Es wird alles aufgegessen!", schrie der Graf Katja an. Dann verschloss er die Kellertür und löschte das Licht.

Katja kniete im Dunkeln vor den Resten ihrer Mahlzeit. Vom Boden hatte sie nicht einmal als Obdachlose in Berlin essen müssen. Sie versuchte sämtliche Reiskörner und Fleischstücke auf dem Boden zu finden. Ich darf dem Schwein keine Angriffsfläche bieten, dachte sie bei sich. Dann liefen ihr wieder Tränen über das Gesicht.

Versklavt - Die Geschichte der Katja BraunWo Geschichten leben. Entdecke jetzt