16. Kapitel - Henry

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Ein Stein fiel mir vom Herzen, als nach Erins Erzählung das Waser noch immer ruhig blieb und keine Regung zeigte. Sie hatte es geschafft.

„Zahir, du darfst deine Geschichte nun erzählen", sagte Yilva und ich sah kurz zu ihr.

Sie wirkte konzentriert, aber ruhig und ich sah zurück zu Erin.

Und sofort sah ich die Sorge in ihrem Gesicht. Außerdem gefiel es mir ganz und gar nicht, dass Zahir sie die ganze Zeit ansah.

Ich trat ein Stück vor und stand nun in unmittelbarer Nähe zum Teich.

„Zahir! Haben du und dein Bruder getan, was die Hüterin sagte?", fragte Liron wütend und ungeduldig. Zahir drehte sich langsam zu ihm um.

„Die Hüter sind schuld an allem, was passierte! Ohne sie, wäre es nie so weit gekommen!"

Ein Raunen ging durch die Menge, als das Wasser sich nicht rührte.

Ich sah Erin an und ich sah deutlich, dass sie ganz leicht zitterte. Außerdem waren ihre Lippen bereits blau und wollte unbedingt, dass sie so schnell wie möglich aus dem Wasser kam.

„Gäbe es die Hüter nicht, wäre deine Tochter noch am Leben! Sie gehören bestraft, für das was sie taten und für was sie nie büßen mussten!"

Die Wasseroberfläche wurde unruhig und ich schlug leichte Wellen.

Erin wich zurück und ich trat näher heran und hielt ihr die Hand hin, solange Zahir sich noch auf Liron konzentrierte.

„Hast du meine Tochter getötet?", fragte dieser gerade und sah Zahir wütend an, während ich Erin langsam aus dem Wasser zog und sie an mich drückte.

„Mein Bruder sah, wie Henry es getan hatte. Er..."

Zahir riss die Augen erschrocken auf, als er im nächsten Moment unter Wasser gezogen wurde.

Die Menge schrie erschrocken auf und ich zog Erin vom Ufer weg und zu William.

Zahir tauchte wieder auf und rang nach Luft, nur um wieder unter Wasser gezogen zu werden.

Immer wenn er wieder auftauchte und versuchte dem Wasser zu entkommen, kam er dem Ufer immer ein Stück dichter, nur um dann wieder verschluckt zu werden.

Es war grausam mit anzusehen und ich sah die Panik in seinem Gesicht, als er ein letztes Mal auftauchte und die Hand hilfesuchend ausstreckte.

Dann verschwand er und das Wasser beruhigte sich sofort.

Der Schock saß bei allen tief. Jeder wusste zwar, dass der Teich diese Macht hatte, aber bis heute war es noch nie zuvor wirklich vorgekommen.

„Yilva... ich muss mich bei dir und deinem Volk entschuldigen", sagte Liron und brach somit das betroffene Schweigen.

Yilva sah den Nymphenkönig an und nahm seine ausgestreckte Hand.

„Du hast aufgrund von Trauer gehandelt und wurdest Opfer einer großen Lüge. Ich verzeihe dir mein Freund, denn dich trifft keine Schuld", sagte sie und Liron neigte den Kopf.

Dann wandte er sich mir zu.

„Und auch bei dir muss ich mich entschuldigen, Henry. Ich wusste, dass Lenori dir vertraute und dass auch du ihr nie etwas angetan hättest. Ich hätte Lenori – und damit dir – vertrauen müssen", sprach er und hielt auch mir die Hand hin, die ich ohne zu zögern ergriff.

„Zahir log nicht, als er sagte, die Hüter seien schuld an allem!", rief Gnabb, der Anführer der Gnome.

Yilva wollte etwas sagen, aber Erin fiel ihr ins Wort.

„Damit hatte Zahir auch nicht Unrecht. Vor Jahrhunderten tötete einer unserer Vorfahren – George's Sohn – einen Elfen bei einer Auseinandersetzung. Es war ein Unfall und definitiv etwas, was nie hätte geschehen dürfen", sagte sie und sah in die Runde, ehe sie William das Buch abnahm und Yilva überreichte.

„Hier steht alles drin, was in Lavandia jemals geschehen ist. Alle Fehler, alle Entscheidungen und Konflikte sind darin zu finden", sagte sie und Yilva nahm das Buch an sich.

„Yilva, was sollen wir mit ihm machen?"

Nael zeigte auf Naru, der am Boden kniete und noch immer auf die Wasseroberfläche blickte. Sein Gesicht war kreidebleich und mir fielen auf Anhieb mehrere Dinge ein, die mit ihm gemacht werden konnte.

Er war schuld am Tod von Erins Eltern. Er war schuld am Tod von Lenori, Phaeton und er hat den Kobolden das Zuhause genommen. Er verdiente nicht weniger als den Tod.

Vielleicht auf dieselbe Weise, wie auch sein Bruder starb? Wir lassen ihn einfach so lange im Teich, bis er freiwillig lügt...

„Ich werde diese Entscheidung nicht alleine treffen. Was geschehen ist, betrifft alle Völker und ich werde mich mit den Oberhäuptern zusammensetzen und mich diesbezüglich beraten. Solange werden Naru und alle seine Gefolgsleute in die Kerker gesperrt!"

Sofort kam Bewegung auf und die Lichtung vor dem Teich leerte sich. Ein Leibwächter von Yilva, brachte Erin (endlich!) eine Decke und sofort war ich wieder an ihrer Seite und legte den Arm um sie.

William räusperte sich.

„Yilva, darf ich den Vorschlag machen, dass das Gespräch bezüglich Naru und den anderen ein wenig nach hinten geschoben wird? Ich denke, dass uns allen ein wenig Schlaf und Bedenkzeit guttun würde", sagte er leise und Yilva nickte.

„Ich stimme dem zu. Sind alle anderen ebenfalls einverstanden?", fragte sie in die Runde.

Der Großteil nickte und Yilva wandte sich einem ihrer Leibwächter zu.

„Schicke bitte eine Nachricht an die Trolle und die Feen. Auch ihnen steht ein Mitsprachrecht zu. Und eine Eskorte reist zu den Dracheninseln und begleitet die Bergriesen, die dort sind bitte zurück zum Gebirge. Oder hier her, wenn sie ebenfalls bei der Abstimmung dabei sein möchten. Ich stelle es den Riesen allerdings frei, da ich ja weiß, dass sie eine große Ansammlung nicht gerade mögen", sagte sie und sofort wurde ihr Befehl ausgeführt.

„Dann verschieben wir unser Treffen auf morgen früh. Bei Sonnenaufgang sehen wir uns wieder!"

Die Gruppen lösten sich auf und so langsam merkte ich, wie erschöpft ich war.

Langsam folgten William, Erin und ich Yilva nach drinnen und die Königin ließ sich auf den Thron fallen.

Sie wirkte genauso erschöpft und ich bezweifelte, dass sie in den letzten Tagen Schlaf bekommen hat.

„Ihr seid natürlich eingeladen, hier zu bleiben", sagte sie und sah uns an.

„Ich danke euch. Wir werden morgen besprechen, was geschehen wird und wie wir weiter machen. Henry... es tut mir wirklich unglaublich leid..."

Ich schluckte und wandte den Blick ab.

„Ich kann mir vorstellen, dass du so schnell wie möglich zurück nachhause möchtest. Sicher wirst du dich jetzt um einiges kümmern müssen. Ich habe vollstes Verständnis, wenn du bei der Abstimmung nicht dabei sein willst..."

Ich sah sie an.

Bis jetzt hatte ich noch nicht einmal einen Gedanken daran verschwendet, dass ich mich wirklich um einiges kümmern musste.

Verdammt. Ich musste es Cathie sagen und auch wenn Mum und Dad sich nicht im Guten getrennt haben, musste ich auch sie informieren.

Und wie sollten wir den plötzlichen Tod meines Vaters überhaupt den Leuten in Avaglade erklären?

„Danke, aber... ich würde gerne dabei sein", sagte ich und Yilva nickte.

„Yilva... ich weiß, Naru und Zahir haben schreckliche Dinge getan und Zahir hat bekommen, was er verdient hat. Aber... ich würde dich gerne darum bitten, bei Naru Gnade walten zu lassen", sagte Erin ruhig.

Ich sah sie an und konnte nicht glauben, was ich da gerade gehört hatte.

Avaglade - Schicksal von Lavandia (Buch 3)Where stories live. Discover now