Kapitel 12 "Erinnerungsfänger"

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Sie hatte unzählige Fragen gestellt. Fragen, auf die ich bedauerlicherweise keine Antwort hatte. Ich wollte ihr wirklich helfen, aber ich wusste doch selbst kaum etwas über die Kreaturen aus den Spiegeln. Ihr Gesichtsausdruck wurde mit der Zeit immer enttäuschter. Was hatte sie erwartet? Ich hatte ihr gesagt, dass ich nicht viel mehr wusste als sie.

„Denkst du, sie war einmal ein Mensch? Immerhin ist sie ja im Grunde nur ein Spiegelbild und die gehören normalerweise zu einem Objekt, dass es in unserer Welt auch gibt." Obwohl ihre Geduld schwand, stellte sie auch weiterhin Fragen. „Im Grunde muss es sie ja schon irgendwann mal gegeben haben, oder? Genau wie die anderen, aber sicher bin ich mir natürlich nicht." Juvia zog eine Grimasse: „Nein, natürlich nicht."

Ich hätte ihr wirklich gerne die Antworten gegeben, die sie hören wollte, aber ich hatte sie nicht. Vielleicht könnten sie weltbewegend wichtig sein, aber das änderte nichts an meiner Ahnungslosigkeit. „Es ist vielleicht an der Zeit, dass wir die Stadt verlassen. Deine Familie wartet sicher auf dich."

Sie war sichtlich niedergeschlagen und ich hätte gerne etwas für sie getan, aber ich konnte nicht. Was sollte ich schon groß tun können? Ich versuchte, ein aufmunterndes Lächeln zu Stande zu bringen. „Du wirst sicher noch Antworten finden." Obwohl ich selbst nicht so recht daran glaubte, wollte ich wenigstens ihr gegenüber den Eindruck vermitteln. Es war eine dieser kleinen Lügen, deren man sich nicht aus Eigennutz bediente, sondern mit der man seinen Mitmenschen das nötige Vertrauen schenken wollte.

Trotzdem blieb ihr Blick nach unten gesenkt, ich konnte mir denken, dass sie enttäuscht war. Am besten wir verließen die Stadt tatsächlich, je früher wir mit der Suche nach unseren Familien anfingen, desto besser. Wenn tatsächlich ein Großteil der Los Angeleser Bevölkerung um die Stadt herum campierte, würde es ewig dauern, sie zu finden. Falls wir sie denn überhaupt finden würden.

Ohne die Verbindung unserer Handys wäre es praktisch unmöglich, sie unter den ganzen Menschen ausfindig zu machen. „Ich glaub es ist wirklich besser, wenn wir jetzt gehen. Die Straßen sollten jetzt mehr oder weniger frei sein, und bei Nacht möchte ich nicht raus. Da kann man nicht mal mehr sehen, was einen angreift. Was meinst du?" Zustimmend nickte ich: „Du hast recht. Je früher wir hier verschwinden, desto besser." Ich zögerte einen Moment, bevor ich sagte: „Aber unsere Autos stehen beide ein paar Kilometer von hier entfernt. Wie sollen wir unsere Sachen mitnehmen?" Ihre Augen begannen abenteuerlustig zu glitzern und ein Lächeln umspielte ihre Mundwinkel.

„Schon mal ein Auto geknackt?", fragte sie mich. Ich konnte nur den Kopf schütteln. Aber wer sollte schon etwas dagegen haben? Immerhin ging die Welt unter, da kam es sicher niemandem mehr darauf an, ob sich jemand sein Auto ‚auslieh'. „Dann wird das heute für uns beide das erste Mal." „Weißt du denn überhaupt, wie das geht?", fragte ich sie und ein gewisser Zweifel schwang in meiner Stimme mit. Ich kannte niemanden, der in der Lage wäre, ein Auto zu knacken. Außerdem konnte ich mir einfach nicht vorstellen, dass ausgerechnet Juvia es konnte.

„Mein Bruder hat sich manchmal welche ausgeborgt. Ich hab selber zwar noch nie eins geklaut, aber ich hab gesehen, wie es funktioniert. Sollte eigentlich kein Problem werden." Sie steckte wirklich voller Überraschungen.

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Es erwies sich dann doch als schwieriger, als gedacht, einen Wagen zu finden, dessen Türen wir überhaupt öffnen konnten. Ich hatte den Hals einer Lampe notdürftig zu einem Brecheisen umfunktioniert, aber in den meisten Fällen trieb ich nicht mehr als Kerben in den Lack der Autos. Irgendwann wurde es Juvia zu blöd und sie warf das Fenster eines kleinen, weißen Hauses ein. Ein silberner Wagen stand in der Auffahrt, aber es war augenscheinlich niemand mehr hier, der mit ihm fahren konnte.

Reflektionen (Ross Lynch/R5)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt