Kapitel 35 "Zukunftsplünderer"

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Drei Tage war ich schon unterwegs, in der Hoffnung, dabei meiner Familie über den Weg zu laufen. Juvias Bruder hatte nicht gelogen, als er sagte, dass die Leute in die Berge zogen. Erwarteten sie wirklich, dass dort oben alles sicher war? Ich hielt das für unwahrscheinlich leichtsinnig, schließlich konnte dort oben genauso ein Spiegel ins Dorf geschmuggelt werden, wie hier unten. Mal ganz abgesehen davon, dass die Spiegelwesen sich mit Sicherheit nicht von der Höhe abschrecken ließen. Viele waren zu Fuß unterwegs, vereinzelt waren jedoch auch Autos und Fahrräder unterwegs. Manche Dinge änderten sich wohl nie.

Trotzdem waren kaum Gruppen unterwegs, sondern fast nur einzelne Familien. Darunter wahrscheinlich auch meine eigene, ich musste sie nur noch ausfindig machen. Es war so still im Wagen, dass ich mich unglaublich erschreckte, als Juvias Stimme plötzlich erklang. Schnell hielt ich an, um die Kette unter meinem Oberteil hervorzuziehen und mir den kleinen Spiegel vors Gesicht zu halten. Ihre winzige Gestalt winkte mir, aber ihre Stimme war so laut, als würde sie direkt neben mir sitzen.

„Alles okay?", fragte sie besorgt. Mal abgesehen davon, dass ich etwas übermüdet war, ging es mir ganz gut. „Ja, bei dir?" Sie seufzte: „Ich hatte meine Familie weniger anstrengend in Erinnerung. Meine Eltern wollen auch in die Berge, mein Bruder ist strikt dagegen und meine beste Freundin ist hier, spricht aber schon seit einer Woche kein Wort. Jackson hat gesagt, dass er sie per Zufall gefunden hat und sie seitdem bei ihm geblieben ist, aber sie redet nicht mehr. Ich glaub ihre Eltern sind tot."

Sie sagte es leise und langsam und plötzlich verstand ich, was das wahrhaft Schlimme an der ganzen Situation war. Es war nicht die Bedrohung durch die Spiegelwesen, die alle in Panik versetzte, sondern die Angst vor dem Verlust eines geliebten Menschen. „Gib ihr Zeit. Wenn sie wirklich trauert, wird sie darüber hinwegkommen." „Sie isst nicht mehr und ihr Blick ist so leer."

Ich spürte den Schmerz in ihrer Stimme fast schon körperlich: „Es ist, als ob sie mich nicht erkennen würde. Was, wenn es so bleibt? Da draußen sind tausende Menschen, denen es genauso geht und denen niemand hilft. Jeden Tag werden es mehr. Wir müssen was tun Ross, und wir müssen es schnell tun." Sie wusste längst, was ich dazu sagen würde, aber ich sprach es trotzdem aus: „Ich kann nicht, nicht bevor ich meine eigene Familie gefunden habe."

Seufzend fuhr sie sich durch die Haare. „Dann werde ich dir helfen", sagte sie und wirkte alles andere als sicher. Ich schüttelte den Kopf: „Du hast eine eigene Familie, auf die du aufpassen musst." „Meine Familie braucht mich im Moment nicht, du hast meine Hilfe mehr nötig." Obwohl sie lächelte, fühlte es sich so an, als würde ich sie von ihren Verwandten wegreißen. Ich wollte ihr widersprechen und sie davon abhalten herzukommen, aber ich wusste auch, dass das nichts ändern würde.

Juvia war ein Dickkopf und würde immer einer bleiben. Sie holte tief Luft und ich merkte, dass sie zitterte. „Was ist los?", fragte ich sie. „Nichts." Ich wusste, dass sie log. Ich wusste inzwischen viel zu viel über sie. „Du zitterst", stellte ich fest. „Das ist nichts." Mir war klar, dass das nicht stimmte, aber ich fragte nicht weiter nach. „Heute Nacht werde ich dich finden, einverstanden? Nachts ist es sicherer, weil keiner mehr unterwegs ist. Ich werde dich finden."

Resigniert fuhr ich mir durchs Gesicht; ich wollte nicht, dass sie sich für mich in Gefahr begab. „Mach dir keine Sorgen, ich hab inzwischen schon so einige Dinge gemacht, die wesentlich gefährlicher waren." Das machte mir keinen Mut, eher das Gegenteil. „Wir sehen uns", sagte sie und winkte mir. Ich lächelte, weil ich mich trotz allem darauf freute, sie wiederzusehen: „Bis später." Die Verbindung wurde wie bei einem Telefonat unterbrochen und ließ mich in Stille zurück.

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Als es spät in der Nacht an meinem Fenster klopfte, rechnete ich mit einer mädchenhaften Gestalt, deren Gesicht von einem Fächer aus dunklen Haaren umgeben wurde. Stattdessen waren es drei Silhouetten, die sich um das Auto herum aufgestellt hatten. Ein zweites Mal wurde geklopft. Plünderer, schoss es mir durch den Kopf. Aber ich hatte nicht viel, das ich ihnen überlassen könnte, meine Vorräte neigten sich bereits einem Ende zu, und ich fürchtete, dass sie sich damit wohl kaum zufrieden geben würden.

Reflektionen (Ross Lynch/R5)Where stories live. Discover now