Kapitel 50 "Notsöldner"

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Als ich erwachte, war noch immer alles dunkel, aber irgendetwas stimmte nicht. Erst als der Boden unter mir rumorte, wurde mir auch klar, was es war. Wir bewegten uns. Vorsichtig schlug ich die Augen auf. Die Landschaft draußen rauschte an uns vorbei, immer wieder tauchten Felsformationen aus dem Dunkel auf und verschwanden wieder. Es fühlte sich an, als würden sie uns nachschauen.

Neben mir räusperte sich jemand und ich zuckte zusammen, der Gurt, mit dem ich angeschnallt war, verhinderte aber, dass ich besonders weit kam. Jetzt kam ich mir ein bisschen dumm vor, schließlich hätte ich mir ja denken können, dass jemand den Wagen fuhr. Langsam wandte ich den Kopf. Falls mir mal wieder eine Pistole an den Kopf gehalten wurde, wollte ich sie nicht unbedingt zum Schießen provozieren.

„Schön dich lebend wiederzusehen", sagte ein Mann und es dauerte einige Sekunden, bis ich die Stimme einordnen konnte. „Aaron?" Der Söldner mit der rauen Stimme nickte und fuhr sich mit einer Hand durch die Haare. Er wirkte älter als beim letzten Mal, das könnte jedoch auch an den tiefen Schatten unter seinen Augen liegen.

Fast sah es aus, als hätte man ihm zwei blaue Augen geschlagen. „Victoria hat uns gerufen." Perplex wandte ich meinen Blick von der Straße ab: „Wie das? Handys funktionieren doch schon seit Wochen nicht mehr." „Wir hatten einen Sender für Notfälle. Die brauchen zwar Batterien und funktionieren nicht besonders gut, aber man kann damit Hilfe rufen. Sie waren für den schlimmsten Fall gedacht und als er heute losging, haben ich und Nicholas uns sofort auf den Weg gemacht.

Eigentlich waren wir auf der Suche nach ihrem Mörder, aber dann haben wir stattdessen dich und dieses Mädchen aufgegabelt. Wie hieß sie doch gleich? Klang jedenfalls komisch." „Hadiya", antwortete ich geistesabwesend. Dann hatte uns Victoria selbst jetzt wo sie tot war noch gerettet. Wenn sie keine Hilfe gerufen hätte, wären wir im Gebirge versauert. „Habt ihr sie gefunden?", fragte ich schließlich bedrückt. Anstatt mir zu antworten, deutete Aaron nach hinten.

„Deine kleine Freundin hat darauf bestanden, mit Nicholas zu fahren. Sobald sie wach war, wollte sie nicht mehr den Mund halten, bis sie mit aufs Motorrad durfte." Als ich mich umdrehte, um nach ihr zu sehen, sah ich lediglich ein einsames Licht in der Dunkelheit tanzen. „Seit sie sein Kind... Egal, jedenfalls ist er ein guter Fahrer." Darauf folgte Schweigen. Er wollte nicht über Victorias Tod sprechen und ich hielt es nicht für nötig, über Hadiya zu reden.

Als die Straße schließlich breiter wurde und wir die Felsen hinter uns ließen, fragte ich mich zum ersten Mal in dieser Nacht, wohin wir eigentlich gingen. Und wie war ich überhaupt bewusstlos geworden? Bis auf ein paar einsame aufgeschürfte Stellen an meinen Armen wies nichts mehr daraufhin, dass ich in den letzten 24 Stunden zwei Explosionen zum Opfer gefallen war.

Ich kratzte mich am Nacken und versuchte gleichzeitig, mich daran zu erinnern, was passiert war, aber ich hatte beim besten Willen keine Erinnerung mehr daran. „Du siehst so aus, als hättest du ein paar Fragen auf dem Herzen. Ich bin vielleicht nicht Victoria und werde jede davon beantworten, aber du kannst ruhig fragen."

Kurz glaubte ich sogar, so etwas wie Verständnis in Aarons Augen aufblitzen zu sehen, doch dann wandte er den Blick ab und konzentrierte sich wieder auf die Straße. Nach kurzem Zögern folgte ich seiner Aufforderung. „Wie habt ihr uns ausgeknockt?" „Du hast dich selbst ausgeknockt, als du dich auf das Mädchen geschmissen hast. Bevor wir wussten, mit wem wir es zu tun hatten, wollten wir euch ein bisschen erschrecken und es dann eventuell auf eine Konfrontation ankommen lassen. Nachdem du dich selbst k.o. geschlagen hast, haben wir euch im Rauch aufgegabelt und das Mädchen hat eine Ohnmacht vorgetäuscht. Ich weiß nicht so genau, was sie sich davon erhofft hat. Jedenfalls haben wir dich ziemlich schnell erkannt und sind dann davon ausgegangen, dass ihr mit Victoria unterwegs wart. Sie wusste, dass sie sterben würde, also hat sie es für euch getan."

Er seufzte. „Weißt du, wer oder was sie getötet hat?", fragte Aaron mich, wobei er die Finger seiner linken Hand einen nach dem anderen knacken ließ. Wollte er mich einschüchtern oder war er nur aufgebracht wegen des Todes seiner Freundin? Ich beschloss für mich selbst, dass es hoffentlich letzteres war. Trotzdem versuchte ich, ihm die Geschehnisse möglichst sanft beizubringen.

Ich wollte nicht unbedingt mit einem aufgebrachten Söldner gemeinsam in einem Auto sitzen. Am Ende würde er uns noch gegen einen Baum fahren. „Wir waren auf der Suche nach jemandem, der uns dabei helfen kann, unseren Plan zu erfüllen." „Was für ein Plan?", unterbrach er mich. Ach richtig. Er konnte ja noch gar nichts davon wissen. „Wir wissen, wie man die Spiegelwesen aufhalten kann." Darauf folgte eine Erklärung unseres Plans, während der Aaron völlig ungerührt blieb.

„Wir werden einen ganzen Haufen Freiwillige brauchen", murmelte er schließlich und aus Erleichterung seufzte ich. Mit der Hilfe der beiden Söldner könnten wir es eventuell wirklich schaffen. Hoffnung machte sich in mir breit, als hätte ich getrunken, stieg Wärme in mir auf. „Denkst du wirklich, das könnte funktionieren?" „Nein", antwortete er nüchtern und holte mich damit auf den Boden der Tatsachen zurück, „aber wir haben keine bessere Idee und manchmal muss man eben auch auf sein Glück vertrauen."

Das war nicht unbedingt das gewesen, was ich hatte hören wollen. Andererseits war heute wohl ohnehin nicht so mein Tag, schließlich hatte ich mich bei meiner Rettungsaktion um Hadiya zu schützen selbst außer Gefecht gesetzt. Ich konnte nicht behaupten, dass das zu meinen Kavaliersdelikten zählte. Und dann war auch noch Victoria gestorben. Erst jetzt drang der Gedanke so richtig zu mir durch. Die mutige, junge Söldnerin, die immer einen Grund zum Reden gefunden hatte, war nun für immer verstummt. Wieder ein Opfer der Apokalypse, die keiner gewollt hatte.

Ich rieb mir über die Augen und redete mir selbst ein, dass ich nicht weinte. Es war nicht so schlimm wie damals, als ich gedacht hatte, Juvia wäre gestorben, aber die Art des Schmerzes war derselbe. Keiner hatte so etwas verdient. „Wo fahren wir hin?", fragte ich schließlich, um die Stille zu füllen und weil ich nicht mehr schwermütig aus dem Fenster gucken wollte. Ich hatte genug davon, mich so zu fühlen, als würden wir gerade ein tieftrauriges Musikvideo drehen. Fehlte nur noch der Regen.

„Ursprünglich wollten wir euch beide wieder in den Rockys absetzen, zumindest hat das Mädchen gesagt, dass ihr euch dort mit jemandem treffen wollt. Aber angesichts der Tatsache, dass ihr die Welt retten wollt und ich auf dieser Welt lebe, haben wir jetzt ein neues Ziel. Neben Freiwilligen brauchen wir nämlich auch noch einen Ort für den ganzen Spaß."

Als er meinen neugierigen Blick bemerkte, fuhr Aaron fort: „Wir sind Söldner, es muss ja für irgendwas gut sein, dass wir für die Regierung arbeiten. Es gibt hier oben einen geheimen Militärstützpunkt und da bringen wir euch jetzt hin." Das klang wie in einem schlechten Actionfilm. Andererseits glich mein Leben in letzter Zeit ohnehin mehr einem spannungsgeladenen Kassenschlager, und ich war die deprimierend unfähige Hauptrolle.

Nicht mal meinen gestählten Oberkörper bekam man unnötig oft zu sehen, schade aber auch. „Ein Militärstützpunkt?", fragte ich und er nickte. „Ein geheimer." Na großartig. „Sowas wie Area 51?" „Ganz genau, nur weniger cool und wir haben da auch keine gefangenen Aliens oder Monster im Allgemeinen. Nur grimmig guckende Leute, die sich selbst bedauern, weil sie ihr einziges Ziel verfehlt haben, nämlich die Bürger dieses Landes zu beschützen." Für einen Moment verspürte ich sogar so etwas wie Mitleid.

Das mit den Spiegelwesen hatte ja auch keiner kommen sehen können, dafür konnte doch niemand was. Außer ich vielleicht, weil ich sie schon vorher gesehen hatte. Aber das sagte ich nicht laut. „Hast du gewusst, dass sie versucht haben, sie aufzuhalten? Mal abgesehen von Pistolen, haben sie es auch mit Bomben versucht, aber es war zwecklos. Sie sind nicht in Stücke gerissen worden, oder wenigstens von irgendwelchen herumfliegenden Splittern erdolcht. Nein", Aaron schüttelte den Kopf, „die Wucht der Detonation hat sie ein bisschen taumeln lassen, einige sind sogar gestürzt und es sah aus, als wären sie tot, aber dann sind sie wieder aufgestanden und haben weiterrandaliert. Deshalb vertraue ich auf euren Plan. Alles andere ist gescheitert."

Ich schwieg daraufhin; ich sagte nicht, dass wir die fehlende Seite der Aufzeichnungen gefunden hatte, nach der wir in Sawyers Haus gesucht hatten, ich sagte auch nicht, für wie wahnsinnig ich das ganze selbst hielt. Ich schwieg einfach nur, bis ich irgendwann eingeschlafen sein musste, denn ich wachte erst auf, als der Wagen hielt.

Reflektionen (Ross Lynch/R5)Where stories live. Discover now