"Weiter machen wie vorher"

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Nach zwei Wochen durfte ich das Krankenhaus endlich verlassen. Sie hatten mich auf so gut wie alle möglichen Folgen des Unfalls getestet und nichts gefunden, außer eine schmale Erinnerungslücke von etwa 5 Stunden, also die Zeit im Club, in der Bill noch bei mir war, das hatte der Türsteher bestätigt . "Ein Wunder" nannten das alle, mich aber interessierte es noch immer nicht, schließlich könnten es diese 5 Stunden sein, die den entscheidenden Hinweis geben könnten. Am letzten Donnerstag waren die Beamten von der Polizei noch einmal da und brachten mich auf den neusten Stand. Sie gehen davon aus, dass Bill Fahrerflucht begangen hat und untergetaucht ist. Als sie mir das sagten wurde mir übel... Er muss doch gemerkt haben das ich es war oder? Aber auch wenn nicht, er würde niemals einfach so abhauen. Er könnte nie jemanden verletzen, schließlich hat er auch den Notruf gewählt. Aber warum sind wir nicht zusammen unterwegs gewesen? Wir waren doch zusammen im Club. Und wie sollte er es schaffen als weltbekannter Star einfach unter zu tauchen? Fragen über Fragen schwirrten in meinem Kopf herum, ich wendete die Tatsachen hunderte Male hin und her, spielte die Geschichte durch, doch kam auf keine Lösung. Was war passiert? Versunken in all diese Gedanken machten sich bei mir Anzeichen einer "Verlustbedingten Depression" bemerkbar wie die Ärzte meinten. Auch Georg und Gustav machten sich Sorgen und so ließ ich mich zu einer Therapie überreden auch wenn ich es übertrieben fand. Ich meine ist so ein Verhalten nicht normal wenn der Zwillingsbruder, mit dem man quasi sein Leben teilt, nach einem Unfall spurlos verschwindet? Auch die Tatsache, dass er schwere Verletzungen gehabt haben muss machte es nicht gerade leichter. Er war in keinem Krankenhaus registriert worden. Was war nur passiert? Wie geht es ihm? Lebt er? Da wo sich sonst mein 7. Sinn meldete, der "Zwillingssinn", war jetzt nur Leere.
Etwas später in dieser Woche hatte ich dann noch erfahren, dass Bill höchstwahrscheinlich betrunken gewesen war. Ich kannte ihn, er würde nie betrunken fahren... Und wieder kamen all diese Fragen.
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Montag:
Es klingelte an der Haustür, es war Georg der versprochen hatte mich heute zu meiner ersten Sitzung zu fahren. Es war erst 7 Uhr weshalb ich ihm sehr verschlafen und nur in Shirt und Boxer die Tür aufmachte.
"Hi, wie gehts dir?" fragte er als er rein kam. Ich rieb mir die Augen: "Ganz okay schätze ich." Wir gingen in die Küche und ich bot ihm ein Glas Wasser an was er dankend annahm. Ich lief betäubt die Treppe nach oben und ging in mein Schlafzimmer um mich umzuziehen. Ich mied es den Gang nach hinten zu gehen wo sich Bills Zimmer befand. Ich war seit die Polizei zur Durchsuchung hier war nicht mehr hinten gewesen. Ich hatte Angst davor was dann mit mir passieren würde. Ich vermisste ihn so schrecklich, es war als fehlte mehr als mein Bruder. Es fühlte sich an als hätte man mir eine Hälfte genommen. Es war erdrückend.
"Komm schon! Du musst noch was essen!" Rief Georg von unten und riss mich aus meinen Gedanken.
Ich ging also wieder nach unten und würgte auf sein Bitten hin eine Scheibe Brot mit Käse herunter. Dann fuhren wir auch schon los. Wir schwiegen die ganze Fahrt über. Im Moment gab es für uns alle nur ein Thema aber alles was es zu sagen gab, wurde gesagt. Es war kein kühles Schweigen, es war einfach eine freundschaftliche Stille. Die Fahrt dauerte etwa 20 Minuten und kurz vor dem Ziel fuhren wir durch eine kleine Seitengasse um den Hintereingang des Gebäudes zu erreichen. Wir wollten unnötige Presse vermeiden. Das war wirklich das Letzte was ich jetzt gebrauchen konnte. Nachdem die Tour abgesagt wurde haben wir uns komplett aus der Öffentlichkeit zurückgezogen.

Ich stieg also aus und Georg versprach zu warten. Die Psychologin unterhielt sich 30 Minuten lang mit mir. Ich schätzte sie als freundlich und intelligent ein bis sie diesen einen Satz sagte: "Machen Sie einfach so weiter wie vor dem Unfall."
Ich stand bereits an der Tür als sie das sagte und kaum hatte sie ihren Satz beendet hasste ich sie. Wie konnte sie so etwas nur sagen?! Wie?!
Ich riss die Tür auf und stürmte hinaus. Unten angekommen zückte ich eine Zigarette und rauchte sie so schnell auf wie ich noch nie eine Zigarette aufgeraucht hatte. Georg saß noch immer in Auto und wartet darauf, dass ich wieder zu ihm kam. "Bring mich bitte schnell nach hause." Sagte ich leise ohne jeden Ton von Wut in meiner Stimme. Er sah mich fragend und besorgt an. Ich gab ihm zu verstehen, dass ich ihm alles erklären würde wenn ich könnte. "Später, okay?" Fragte ich. Er nickte und brachte mich nach hause. "Machs gut und melde dich wenn du was hast oder so... Kommst du Morgen zum Abendessen vorbei?" "Ja klar, danke."
So verabschiedeten wir uns und dann war es still. Ich lehnte mich an die geschlossene Tür und versuchte ruhig zu atmen, aber ich war so wütend und traurig, dass es einfach nicht ging. Mir schossen die Tränen in die Augen und mir war alles egal. Ich rannte in den Keller und holte zwei Flaschen Vodka hoch, damit rannte ich ins Bills Zimmer und begann zu trinken, alles in der Hoffnung so weiter machen zu können wie vor dem Unfall.

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