Chapter 31| How to be a Mentor

538 19 0
                                    

So habe ich mir meine erste Ernte als Erwachsene nicht vorgestellt. Ich habe immer gedacht, dass ich hinten bei meinen Eltern stehen würde und zugucken würde, wie 2 neue Menschen in den Tod geschickt würden. Aber, dass ich auf der Bühne sitzen würde, das hätte ich mir beim besten Willen nie vorstellen können. Nun, ich habe mir auch nicht vorstellen können, einmal selbst gezogen zu werden und das wurde ich und ich habe sogar gewonnen. Es ist jetzt 1 Jahr her, ein Jahr ist seit der schicksalhaften Ernte vergangen und es füllt sich an, als wäre es gestern gewesen. Als hätte ich erst gestern dieses Kleid angezogen und wäre erst gestern angespannt und mit dem Gefühl, dass es nach 1 Stunde vorbei ist, aus dem Haus gegangen. 

Jetzt gehe ich mit dem Gefühl, dass das nur der Anfang eines nicht enden wollenden Alptraumes ist. Selbst die alte Mags muss sich noch auf die Bühne setzen und zuschauen, wie 2 Kinder in meine Obhut gegeben werden, was der schlimmste Teil daran ist. Wie soll ich Sponsoren finden und vor allem, wie soll ich den Kindern ins Gesicht blicken, wenn ich weiß, dass sie sterben werden und ich die letzte aussenstehende Person bin, die sie zu Gesicht bekommen? 

Und das Jahr für Jahr, Jahr für Jahr Kinder kennenlernen, ihnen helfen und sie dann in den Tod schicken. Vor einem Jahr habe ich mir das nicht mal in den kühnsten Träumen ausmalen können. 


"Bist du bereit?"fragt Finnick sichtlich angespannt. "Ist man jemals bereit?" Ich drehe mich zu ihm um und muss sagen, dass ihm das elegante Jackett steht. "Denke nicht."antwortet er ehrlich und hält mir seine Hand hin, ich gehe zu ihm und ergreife seine. Sie ist warm und sein Griff stark, wahrscheinlich besser so. Wenn mich niemand haben würde, würde ich wahrscheinlich wegrennen. Obwohl wegrennen sowieso nichts bringt. Man ist in den Distrikten gefangen, eingezäumt von Hochspannungszäunen und wenn man doch, wie durch ein Wunder den Zaun durchbricht, wo soll man hin? Es gibt nur Panem, es gibt kein andres Land, in das man fliehen könnte. Es gibt nur Panem. 

Der Stoff meines Kleides ist dünn, wofür ich Joella danke, denn es ist mörderisch heiß. Eine Hitzewelle hat uns vor ein paar Tagen überrannt und jetzt schwitzt jeder vor sich hin. Es ist so unerträglich, dass die Luft stillzustehen scheint und man nicht viel machen kann. Wenn man nur rumsitzt, ist man danach schon schweißgebadet. Da wäre ich gerne wieder auf einem Fischerboot, wo man nach Lust und Laune ins kalte Wasser springen kann. Aber ich bin nun mal die Gewinnerin der 70. Hungerspiele und von heute an Mentorin zweier unschuldiger Kinder. 


Die Sonne prallt vom wolkenlosen Himmel und ich halte meine Hand als Schirm vor meine Augen, die dünnen Haarsträhnen, die sich aus meiner Frisur gelöst haben, kleben mir jetzt schon unangenehm im Nacken und ich kann mir nur allzu gut vorstellen, dass jeder mir bei der Ernte zuschauen kann, wie ich in meinem Schweiß bade und mein smaragdgrünes Kleid, danach dunkelgrün ist. 

Gegenüber quält sich Mags gerade aus ihrem Haus, den fragilen Körper auf einen Krückstock gestützt. Finnick lässt meine Hand los und eilt zu ihr, ich auf meinen meterhohen Hacken folge ihm etwas langsamer. "Guten Tag, Mags."grüße ich sie freundlich und biete ihr völlig sinnlos meine Hand an, denn Finnick hat schon seinen Arm um sie gelegt und trägt sie fast schon die 3 Stufen hinunter. "Hallo Liebes."sagt sie in dem schwer verstehbaren Dialekt unseres Distrikts und lächelt mich warm an. In ihrer Nähe zu sein ist so, wie als wäre ich mit Finnick's Eltern zusammen. Sie war seine Mentorin und die beiden haben ein unglaublich enges Verhältnis. "Es ist so heiß, vielleicht sagen sie die Ernte ja ab."scherze ich trocken. Mags lächelt und hakt sich bei mir unter. "Das würden sie nie tun."murmelt sie vor sich hin, als wir sie die Straße zum Justizgebäude hinunter geleiten. Als Sieger müssen wir früher da sein. Ich weiß nicht wieso, soll es eine große Überraschung sein, wenn wir dann auf der Bühne auftauchen? 

Mags ächzt, als wir das Justizgebäude betreten, wo es angenehm kühl ist. Ich genieße die kalte Luft auf meiner Haut, allein der Weg hierher hat dafür gesorgt, dass ich außer Atem  und verschwitzt bin. "Ich hätte nie gedacht, dass ich mich mal freue in dieses Gebäude zu kommen."sage ich hauchend. Auf Finnick's Gesicht kann ich den Anflug eines Lächelns sehen. "Ja, hier ist es schön kalt."murmelt er und fährt sich durch die bronzenen Haare, wodurch sie danach verwuschelt sind, was mir persönlich besser gefällt, als das streng nach hinten gekämmte. 

 Ein Friedenswächter taucht aus dem Schatten auf und stellt sich kerzengerade vor uns. "Folgen Sie mir." Der Klang seiner Stimme lässt keinen Widerspruch gelten und sorgt dafür, dass mir ein kalter Schauer über den Rücken läuft. Schweigend folgen wir dem adretten Mann, der so steif geht, als hätte er einen Besenstiel verschluckt. 

"Hallo, meine Lieben!"ertönt die grässlich hohe Stimme von Fiana, als der Friedenswächter die schweren Holztüren aufmacht. Ihre Stimme löst in mir ein vertrauen Gefühl aus und gleichzeitig Sorge darum, dass mich der Klang ihrer Stimme erfreut. Sie, in einem Pompon-ähnlichen Gewand schließt mich in ihre Arme. "Du siehst gut aus, meine Liebe."sagt sie aufrichtig und ich fühl mich nicht ganz so schlimm. Ihre beschwingte, sorglose Art beruhigt mich. "Du auch."antworte ich reflexartig. obwohl ihr Kleid, wessen Farbe erst die Erfindung eines neuen Namens benötigt, schrecklich aussieht. "Finnick, sag mir, dass du gut auf meinen Star aufgepasst hast."begrüßt sie ihn ebenso überschwänglich wie mich. "Hat er."antworte ich für ihn, als er mich schuldig anschaut. Er macht sich unnötigerweise totale Vorwürfe, dass ich zusammengebrochen bin. Er sagt immer, dass er es früher hätte bemerken sollen, aber es ist nicht seine Schuld. Ich lächle ihn aufmunternd an und gehe zu ihm, als Fiana auch Mags begrüßt. "Du hast sehr gut auf mich aufgepasst."wispre ich ihm zu und drücke seine Hand, während ich ihm einen Kuss auf die Wange gebe. "Meine Täubchen, ich würde so gerne noch mit euch plauschen. Aber die Pflicht ruft." Fiana klatscht pflichtbewusst in die Hände und weist uns zur Tür, die auf die Bühne führt. Finnick legt seine Hand charmant auf die Mitte meines Rückens und seinen freien Arm hält er Mags hin. "Das wird morgen die Schlagzeile: Finnick Odair hat an jedem Arm ein Mädchen."flüstre ich ihm zu und er grinst. "Und nur eins davon liebt er." In dem Moment öffnet sich die Tür und wir gehen auf die Bühne. Vor uns ganz Distrikt 4, ich blicke in ernste und ängstliche Gesichter und sofort wird mein Gesichtsausdruck weich und mitfühlend. Ich nicke meinem Distrikt zu und gehe dann schweigend zu meinem Platz. 

Es ist grauenvoll. Ich sehe all die Kinder, die um ihr Leben bangen und mir wird unwillkürlich schlecht. 

Die Ernte streckt sich qualvoll dahin. Der Bürgermeister scheint sich extra viel Zeit zu nehmen und ich widerstehe dem Drang aufzuspringen und ihm dieses Blatt Papier aus den Händen zu reißen. Mein ernstes Gesicht kann ich auf einem Bildschirm sehen, doch ich ziehe keine künstliche Grimasse. Es ist ein beschissener Tag und jeder soll wissen, dass auch ich das so sehe. 

Als Fiana zu der ersten Glaskugel stolziert, zieht sich mein Herz zusammen und ich quetsche Finnick's Hand. Ein DejaVu überkommt mich, gleich wird sie meinen Namen sagen. In diesem Moment stehe ich wieder in der Menge und hoffe, dass mir nichts passiert und dann setzt sie an zu sprechen und mein Name erschallt. 

"Kristen Ford!" Ein kleines Mädchen tritt verängstigt aus der Reihe der 13jährigen und stolpert zur Bühne. Pures Entsetzen ergreift mich, Mitleid kommt in mir hoch. Man muss dieses zart Geschöpf nur ansehen, um zu wissen, dass sie nicht lange leben wird. Friedenswächter drängen das fast weinende Kind zur Bühne und ich werde bei ihrer Grobheit wütend. Ich will aufstehen und zu ihre gehen, doch Finnick drückt mich mit seinem Arm unmerklich zurück. "Nicht, du machst es nur schlimmer."flüstert er mir ins Ohr. Als einer der Wächter sie brutal stößt überkommt mich blanker Zorn. "Das ist mir egal."erwidere ich und stehe auf. Eilig gehe ich zum Rand, ich höre Fiana aufjapsen und ich kann Caesar's Stimme förmlich hören. Distrikt 4 wird heut in allen Nachrichten sein. 

Das braunhaarige Mädchen hat die Bühne erreicht und ich halte ihr meine Hand entgegen. "Komm her."sage ich sanft und sie reicht mir ihre dünne Hand. "Kannst du grimmig gucken?"frage ich sie leise und sie nickt zögerlich. "Dann tu das, dann wissen sie nicht, dass du Angst hast. Das muss niemand wissen, nur ich und du, okay?" Sie nickt und verzieht ihr Gesicht. "Sehr gut."lobe ich und geleite sie noch zu Fiana, bevor ich tief einatmend zu einem besorgt schauenden Finnick zurückgehe. Das war bestimmt ein riesiger Fehler, das ist verboten. Snow wird mich dafür töten. 

Und erst jetzt wird mir die Tragweite meiner mitleidigen Entscheidung klar. 

Ich habe gerade mein Todesurteil unterschrieben. 

Blue EyesWhere stories live. Discover now