N E U N

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Er zuckte und sah zu mir. Seine dunklen Haare klebten ihm auf der Stirn und sein Gesicht war von Verletzungen übersät.
"H-Hi..", stotterte ich und musterte ihn ausgiebig. Er starrte mich nur mit leeren, dunklen Augen an.
"Was willst du?"
Ja, was wollte ich?
"Ich.. hab mich gefragt ob du ein Zuhause hast.", piepste ich.
Gott, ich hätte mir vorher überlegen sollen was ich sagen will.
"Ich wüsste nicht was dich das angeht.", brummte er und sah wieder geradeaus. Seine Stimme war tief und rau.
"War ja nur ne' Frage..", murmelte ich und sah ihn weiter an.
"Nein, ich hab kein Zuhause.", antwortete er dann.
Ein Taxi hielt vor mir auf der Straße und ich öffnete die hintere Tür.
"Willst du vielleicht mit zu mir kommen? Du kannst dann duschen und... einen Tee trinken oder so."
Wie naiv muss man sein?
Aber er tat mir so leid wie er so klatschnass im Regen stand.
Sein Blick war verwirrt. "Was?", fragte er.
Ich atmete tief durch. "Steig ein.."
Er sah nochmal kurz zu mir und setzte sich dann in das Taxi. Ich schlug die Tür zu, ging um das Taxi herum und stieg auf der anderen Seite ein.
Dann nannte ich dem Fahrer meine Adresse und lehnte mich zurück.
Hoffentlich störte ihn das nicht das ich und mein "Gast" sein Auto halb unter Wasser setzten.
Ich war 19 Jahre alt, hatte grade angefangen Kunst zu studieren und wohnte in einer kleinen Zwei-Zimmer-Wohnung mitten in New York.
Ich konnte tun und lassen was ich wollte, sogar einen offensichtlich obdachlosen Typen aufnehmen den ich nicht kenne.
Jetzt konnte meine Mom mich nicht zusammen scheißen weil ich nicht das tat was sie wollte.
Ich bin volljährig und reif. Wenn ich das wollte könnte ich sogar eine Pension für Obdachlose aufmachen. Da kann sie nichts dran ändern. Aber fürs erste reichte einer.
Ich schielte unauffällig zu dem Typen rüber. Er hatte seine Kapuze abgenommen und seine Haare standen in alle Richtungen ab.
Ich räusperte mich kurz. "Ähm, wie heißt du eigentlich?", fragte ich ihn um das peinliche Schweigen zu brechen. Er sah kurz zu mir. "Tristan.", murmelte er.
Tristan, aha.
"Ich bin Clara.", sagte ich und versuchte ein Lächeln.
Ich wollte garnicht wissen wie ich aussehe. Meine Schminke war wahrscheinlich total verlaufen und meine Haare eine Katastrophe.
Tristan sagte darauf nichts mehr, und ich schaute aus dem Fenster, bis das Taxi anhielt.
Ich bezahlte den Fahrer und stieg mit Tristan aus. Wir liefen bis zu der Haustür.
Natürlich brauchte ich eine halbe Ewigkeit bis ich meinen Schlüssel aus meiner -ebenfalls nassen- Handtasche gekramt hatte und schloss dann auf.
Oben schloss ich ebenfalls auf und ließ Tristan herein.
Er schien total in Gedanken und sah sich etwas um.
"Du.. kannst duschen wenn du willst. Ich hab noch ein paar frische Klamotten von meinem Ex hier rum liegen."
Er nickte nur.
"Das Bad ist... den Gang die erste Tür links.", erklärte ich ihm, "Handtuch und die frischen Sachen leg ich dir vor die Tür."
Wieder nickte er und ging in das Bad. Er schloss die Tür hinter sich ab und ich atmete laut aus.
Dann ging ich in mein Schlafzimmer und fing an die Sachen für Tristan zu suchen.
Irgendwann hatte ich sie gefunden und legte sie samt einem Handtuch ordentlich gefaltet vor die Badezimmertür auf den Boden.
Ich ging ins Wohnzimmer und ließ mich auf die Couch fallen. Dann schaltete ich den Fernseher an und versuchte alle Erlebnisse von dieser Nacht zu verarbeiten.

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