02 - Als du dich an mich erinnertest

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An jenem Tag im Oktober fand ich eine wirklich wunderbare Freundin in dir, doch leider hielt unsere Freundschaft nicht lange. Weißt du, Juli, ich frage mich oft, wie die folgenden Jahre verlaufen wären, wären wir befreundet geblieben.

Ein dreiviertel Jahr später jedenfalls war die Orientierungsstufe zu Ende und es begann, was mein Vater den „Ernst des Lebens" zu nennen pflegte: das Gymnasium. Wir beide kamen ja auf das Gymnasium am Grünberg und du weißt gar nicht, wie sehr ich mich freute, als du mir deine Annahmebestätigung zeigtest.

Doch das Gymnasium war anders, als ich es erwartet hatte. Plötzlich war es wichtig, was für Kleidung man trug, es war wichtig, mit wem man befreundet war und wer einen zu seinen Geburtstagsfeiern einlud. Dich interessierte all das nicht, doch ich wollte Teil der „coolen" Clique sein. Ich begann zu tragen, was modisch war, und traf mich häufig mit Larissa und ihren Freunden. Ich mochte sie, sie waren nett zu mir, doch Larissa, die in der Klasse das Sagen hatte, machte mir schnell klar, dass sie dich nicht mochte, du warst zu anders. Du trugst altmodische Blusen und lange bunte Röcke, sprachst nicht nur über Jungs, sondern eher mit ihnen und machtest dir keine Gedanken über dein Aussehen. Meistens saßt du in der Pause allein in einer Ecke, die Nase in ein Buch gesteckt, und auch ich verbrachte immer weniger Zeit mit dir. Ich hatte dich gern, wollte mit dir befreundet sein, doch noch mehr wollte ich dazugehören. Und da warst du eben ein Hindernis.

Ich vergaß dich überraschend schnell; also ich wusste, dass du da warst, dass du mal meine Freundin gewesen warst, aber mehr eben auch nicht. Umgekehrt war das wohl anders.

Erinnerst du dich noch an unsere Klassenweihnachtsfeier in der Achten? Am letzten Schultag vor den Weihnachtsferien hatten wir nur drei Stunden und unser Klassenlehrer beschloss, dass wir gemeinsam frühstückten. Jeder brachte etwas zu essen mit, er selbst Brötchen für alle, wir dekorierten den Klassenraum mit Kerzen und dann aßen wir und redeten und sangen Weihnachtslieder.

In der Clique, zu der ich gehörte, hatten wir beschlossen, uns gegenseitig etwas zu schenken, und so tauschten wir unter den belustigten Blicken unseres Lehrers (weißt du noch, wie er hieß?) Päckchen aus.

Dann kam der spannende Teil: die Wichtelgeschenke. Jeder aus der Klasse hatte jemand anderen zugelost bekommen, für den er kleines Geschenk besorgen sollte. Wir hatten sie alle mit dem Namen beschriftet in einen Beutel getan. Aus dem wurde nun eines nach dem anderen zu Tage gefördert. Man sah zufriedene, überraschte oder auch belustigte Gesichter, und endlich las unser Lehrer meinen Namen vor.

Ich nahm das Päckchen an mich und betrachtete es genauer. Es wahr sehr kantig und in steifes weinrotes Papier eingeschlagen. Auf der Vorderseite stand in einer mir vage bekannten Schrift: Für Susanne Lehmann. Ich weiß nicht, ob der Wunsch noch aktuell ist, aber trotzdem...

Ich runzelte die Stirn und löste vorsichtig die Klebestreifen, anders als du war ich ja immer eine ordentliche Geschenkeauspackerin. Zum Vorschein kam ein etwas ramponierter Walkman. Meine Freundin Eli schaute mir über die Schulter und fragte: „Von wem könnte das sein?" Ich zuckte die Achseln.

Erst zuhause erinnerte ich mich, dass du genau so einen Walkman besessen hattest, um den ich dich während der Zeit unserer Freundschaft immer glühend beneidete. Das war eines der großartigsten Gesckenke, die ich jemals bekommen hatte, aber ich fühlt mich auch schuldig, weil ich dich im Stich gelassen hatte und du dich noch so gut erinnern konntest.

Falls es dich interessiert, den Walkman habe ich immer noch.

Ich träume von SommerWhere stories live. Discover now