10 - Als ich uns beide überraschte

49 15 9
                                    

Unsere Dates waren wunderbar, Juli, absolut wunderbar. Wie wir uns im abgedunkelten Kinosaal küssten. Wie du mir eine Rose gabst, als wir zusammen essen gingen, genau wie in diesen fürchterlich kitschigen amerikanischen Filmen. Wie wir kleine Küsse tauschten, während Flo so tat, als müsse er sich in die Büsche übergeben, als wir zu dritt Minigolf spielen waren. Das alles war wunderbar.

Aber am besten war, wie du mich an diesem einen Montagmittag kurz vor den Ferien nach der Schule am der Hand nahmst und mit dir zogst, ohne ein Wort zu sagen.

„Wo gehen wir hin?", fragte ich verdattert, doch du kichertest nur.

„Komm einfach mit."

Ehrlich gesagt blieb mir auch nichts anderes übrig, so fest hieltst du meine Hand.

Das kleine Haus, vor dem du stehen bliebst, wirkte verlassen, unterschied sich ansonsten aber nicht von denen darum herum.

Fragend sah ich dich an. „Warum hast du mich hierher gebracht?"

„Sei nicht so ungeduldig", sagtest du, stelltest dich hinter mich und hieltst mir die Augen zu.

„Du bist eine alte Geheimniskrämerin", lachte ich, während du mich langsam weiterschobst. Ich merkte, wie du grinsen musstest.

Ich versuchte zu ertasten, wo wir hin gingen. Der Boden unter meinen Füßen verwandelte sich von Asphalt zu etwas weicherem, festgetretener Erde, wie ich jetzt weiß, dann zu Gras, welches so hoch stand, dass es mich an den Waden kitzelte.

Wir blieben stehen.

„Kann ich jetzt endlich gucken?", fragte ich.

Ich spürte deinen Atem in meinem Nacken, als du antwortetest. „Ja. Aber versprich mir, dass dieser Ort unser Geheimnis bleibt."

Ich nickte und du nahmst deine Hände von meinen Augen.

„Das Grundstück hat meiner Tante gehört, sie hat es mir vererbt", erklärtest du, während ich mich umsah.

Wir standen mitten in einem langen, schmalen Garten. Er war wundervoll verwildert, zur Straße hin von dem Häuschen begrenzt und zu den Seiten von einer Himbeerhecke und von weißen und blauen Hortensien. Im hinteren Teil des Gartens standen zwei knorrige alte Apfelbäume, zwischen denen eine bunte Hängematte aufgehängt war.

Ich drehte mich zu dir um und blickte in dein breites Lächeln.

„Gefällt es dir?" Als Antwort nahm ich dein Gesicht in meine Hände und küsste dich.

Wir verbrachten den Rest des Tages redend in der Hängematte, unsere Finger verschlungen und die Beine miteinander verknotet. Und mir fiel auf, dass es mir Leid tat.

Es tat mir Leid, dass ich so etwas nur im Verborgenen zuließ. Dass ich unseren Kuss im Kino abbrach, als andere Menschen den Saal betraten. Dass ich deine Rose in meiner Tasche verschwinden ließ, anstatt sie stolz mit mir zu tragen. Dass ich mich nur traute, deine Hand unter dem Tisch zu halten und sie losließ, sobald sich ein Kellner uns näherte. Dass ich dich nur küsste, wenn ich mir sicher war, dass niemand uns sah. Dass ich so sehr Angst davor hatte, was die anderen dachten.

Es tut mir immer noch Leid.

Vielleicht tat ich es deswegen, am folgenden Dienstagmorgen. Vielleicht hielt ich dich deswegen am Handgelenk fest, als du zum Unterricht gehen wolltest.

„Für gestern", murmelte ich und drückte dir mitten im Schulflur einen Kuss auf die Lippen.

Du sahst mich perplex an. „Das war überraschend", sagtest du lächelnd.

Ich nickte langsam. Und küsste dich erneut.

Vor allen anderen.

Ich träume von SommerWhere stories live. Discover now