16 - Als ich keine Karten lesen konnte

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Du fuhrst genau so Auto, wie du alles tatst: wild und unberechenbar. Solange wir uns in der Stadt befanden, hatte ich ein überwältigendes Bedürfnis, mich irgendwo fest zu halten, und ich fragte mich wiederholt, wie du deine Führerscheinprüfung hattest bestehen können.

Als wir die Häuser hinter uns gelassen hatten und auf der Landstraße fuhren, entspannte ich mich ein wenig. Immerhin waren die Chancen bedeutend geringer geworden, dass du jemanden über den Haufen fahren könntest.

„Wo genau fahren wir eigentlich hin?", fragte ich.

„So genau hab ich mir das auch noch nicht überlegt. Vielleicht irgendwo nach Dänemark?"

„Klingt gut."

„Super. Aber zuerst will ich nach Zeppenfeld. Nachschauen, ob alles noch so aussieht wie als ich klein war."

Ich lachte. „Alles klar. Aber wo bitte ist das?"

„In der Nähe von Siegen, dass ist südlich von Köln. Wie wir da hinkommen, weiß ich aber auch nicht ganz. Aber in dem Fach in der Tür müsste ein Straßenatlas stehen. Hat zumindest Papa gesagt."

Das hatte er auch richtig gesagt. Allerdings war besagter Straßenatlas alt genug, dass noch die Staatsgrenze zur DDR eingezeichnet war, sodass ich ihm eine gewisse Skepsis entgegen brachte.

Ich runzelte die Stirn. „Naja. Ich werd mir Mühe geben."
Du lachtest bloß. „Das schaffst du schon."

Und so fuhren wir in dieser alten Blechbüchse durch den glühend heißen Tag. Die Fenster waren heruntergekurbelt, der Wind fuhr mir ins Haar und verschaffte zumindest etwas Abkühlung. Ich weiß noch, dass wir einmal anhalten mussten, bloß damit du deine Haare zusammenbinden konntest und sie dir nicht mehr ins Gesicht flogen. Wir hatten das Radio aufgedreht und sangen lauthals mit. Deine Hände trommelten den Takt auf dem Lenkrad und ich fühlte mich so frei, dass ich im Sitzen tanzte, den Atlas auf dem Schoß und eine Hand aus dem Fenster gestreckt. Und ich weiß noch, wie ich bei einem Lied in Gelächter ausbrach.

„Was ist?", fragtest du irritiert.

„Weißt du, wie die Band heißt?", entgegnete ich kichernd.

„Nein."

„Juli."

„Ja, was denn?"

Ich prustete wieder los. „Nein, so heißen die. Das Lied ist Geile Zeit von Juli."

„Mein neues Lieblingslied!" Und du drehtest die Lautstärke noch mehr hoch.

Tatsächlich kann ich mir Juli nicht anhören, ohne an dich zu zu denken, an unseren Urlaub, an diese Fahrt. Ich liebe Juli.

So saßen wir also im Bus und ich versuchte, uns durch die Sommerhitze zu navigieren. Das platte Nichts wurde zu einem hügeligen und die Straßen, auf die ich dich lenkte, immer kleiner.

„Okay. Sanne. Hast du irgendeine Ahnung, wo genau wir hier sind?", fragtest du, als unsere Straße in einem Waldweg mit Durchfahrt-Verboten-Schild endete.

„Ich glaube, wir sind im Münsterland", murmelte ich.

„Wo. Genau."

Ich biss mir auf die Lippe.

„Du weißt es nicht."

„Tut mir Leid", flüsterte ich.

Du ließt deine Stirn aufs Lenkrad fallen. „Und Auto fahren kannst du auch nicht."

Ich träume von SommerWhere stories live. Discover now