16 | Wolken, Wälder und Felder

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Ich war festgeschnallt, hatte keine Bewegungsfreiheit. In dem Flieger war es so eng, drängend, und das Schlimmste waren meine nichtstoppenden Gedanken. Wir waren gefangen, hier drin, während die Volturi vielleicht schon meine Familie angriffen.
Schneeflocken wirbelten draußen, und flogen gegen die Fenster. Ich fröstelte, aber nicht wegen der Kälte, die ich nicht einmal fühlen konnte, sondern schlicht und ergreiflich aus Angst.
Ich spürte das Gefühl von Geborgenheit mich durchströmen, und als ich mich umdrehte, sah ich Jasper, der gerade seine Hand erhoben hatte, um sie auf meine zu legen.
Ich lächelte ihn an, und während das Lächeln vorhin noch gezwungen gewesen wäre, war es jetzt ehrlich. Auch wenn ich mit ihm schimpfte, dass er meine Gefühle beeinflusst hatte, war ich ihm dankbar dafür. Er protestierte nicht, und ließ es über sich ergehen.
Jacob hingegen bekam Schweißausbrüche und Schüttelfrost gleichzeitig, obwohl er eigentlich nicht leicht aus der Ruhe zu bringen war – aber wenn doch, dann hatte es schwere physische Nebenwirkungen. Ein sehr großer Nachteil am Wolf-Sein. Alice neben ihm schloss angestrengt ihre Augen, und rieb sich schmerzhaft an den Schläfen, weil sie verzweifelt versuchte, eine Vision zu bekommen. Ich hatte mich geweigert, ihre Gedanken zu lesen. Wir waren auf dem besten Weg, so schnell wie möglich bei ihnen anzukommen. Es brachte niemandem etwas, wenn ich wüsste war bei ihnen vorging. Wir konnten nichts daran ändern.
Als Vampir gab es sehr viele Probleme. Die Ernährungsweise. Die menschliche Distanz. Die Mordlust. Und noch viele mehr. Die einzige, die immer Hand in Hand mit uns ging, war die Zeit, denn sie wäre nicht das Etwas, das unser Dasein beenden würde, im Gegensatz zu den Menschen, deren größter Feind sie war.
Doch hier und jetzt, war es die Zeit, sie war das einzige Problem, das uns im Wege stand. Wir hatten Nahuel und seine Tante bei uns. Nahuel war der Halbvampir, den Alice gefunden hatte, auch wenn ich keine Ahnung hatte, wie sie das so schnell angestellt hatte. Er schien ganz und gar nicht aufgeregt, und wenn doch, dann eher aufgrund der modernen Einrichtung in dem Flugzeug, und aufgrund der Infrastruktur die er bis jetzt durch uns kennengelernt hatte, und die er noch viel detaillierter wahrnehmen würde, wenn wir ankamen.
„Please put on your seatbelts. We will land soon", ertönte die glatte, weibliche Stimme aus den Lautsprechern.
Nachdem wir schon angeschnallt waren, mussten wir die Anordnung nicht befolgen, doch die Anspannung wuchs gewaltig, ich konnte die Elektrolyte in mir praktisch Knistern hören.
Nach gefühlten zwei Stunden wurden wir ein wenig aus den Sitzen gehoben, und unsere Sitze schaukelten rauf und runter.
„Bald ist es soweit", flüsterte Jazz, und hielt fest meine Hand, so fest, dass meinen Wurzelknochen gebrochen wären, wenn ich ein Mensch wäre, doch ich genoss das Gefühl, denn für mich war es nicht schmerzhaft. Es vermittelte mir bloß, dass ich nicht alleine in der Situation war, obwohl ich das eigentlich war. Ich hatte mehr oder weniger alle hineingeritten. Die Volturi wollten nicht Bella, sie wollten nicht Edward, Carlisle, Rose, Emmett, Esme, Jake, oder Jasper oder gar Renesmee. Sie wollten lediglich mich, und Alice. Doch Alice hing da nicht so tief drin wie ich. Alice hatte beim Denali-Clan gelebt. Es würde mich nicht wundern, wenn die Volturi planten, auch ihren Clan anzugreifen, denn sie konnten nicht wissen, dass Alice bei uns war. Alice hätte vielleicht ihren Clan in Gefahr gebracht, aber nicht die Cullens. Die Sache mit den Cullens war meine Schuld.
Jasper neben mir wurde unruhig.
„Was ist los?", fragte ich.
Er schüttelte seinen Kopf, wobei ihm seine Locken ins Gesicht fielen.
Mit der Antwort war ich kein Bisschen zufrieden. Ich drang in seinen Geist ein, und kam zu einem schrecklichen Schluss. Jasper litt, aufgrund von meinen Gefühlen. Er nahm sie in Kauf, damit ich nicht leiden musste.
„Hör sofort auf damit", sagte ich hysterisch, und schlug seine Hand, die immer noch meine umschlossen gehalten hatte, weg.
„Es ist okay", sagte er, doch der Meinung war ich keineswegs.
„Jazz, sofort, oder das werde ich dir nie verzeihen", sagte ich.
„Damit kann ich leben", antwortete er, und sah mich liebevoll an.
„Das – ich", mir fielen keine Drohungen ein, die ich aussprechen könnte. Nichts würde für ihn schlimmer sein, als mich leiden zu sehen. Doch dann fiel mir etwas ein.
„Dann werde ich mich eben in dich hineinversetzen, dann fühlen wir es beide", sagte ich trotzig.
Er seufzte, und ich fühlte, wie meine Gefühle sich ausglichen. Meine Wut, meine Angst, meine Beklommenheit und meine Trauer kamen zurück.
„Danke", sagte ich.
Ein starkes Rütteln, auf und abschwenkende Sitze, ein harter Aufprall, und wir landeten.
Wir alle tauschten vielsagende Blicke. Ich musste mich unheimlich zusammenreißen, um Hals über Kopf in Vampirgeschwindigkeit loszustürmen. Einmal packte Jake mich am Handgelenk, doch seine schwitzige Hand rutschte sofort ab. Ein Schauer lief über meinen Rücken. Wenn er Bella, oder Renesmee verlieren würde, dann könnte ich damit nicht leben. Zum zweiten Mal in meiner Existenz schoss mir das Bild der Volturi in den Kopf – kein normales Bild, sondern ein ganz Besonderes: Das, das sich Edward geboten hatte, als für ihn nichts mehr Sinn ergeben hatte. Als er mit seinen Gefühlen nicht mehr weiterleben konnte, als er von so einnehmender Trauer umhüllt war, dass er keinen anderen Ausweg mehr hatte.
Beim ersten Mal, als ich diesen Gedanken gefasst hatte, war Edward stets dagewesen. Er hatte mich überzeugt, dass ich Bellas Leben gerettet, und nicht gefährdet hatte. Doch diesmal konnte er das nicht behaupten, denn die Wahrheit war unwiderlegbar.
„Taxi oder zu Fuß?", fragte Alice.
Im Flughafen fühlte ich mich, als würde die Decke auf mich hinabstürzen. Ich fühlte mich so klaustrophobisch wie noch nie, und ich würde in Schweiß ausbrechen, wenn mir das nicht unmöglich war, wobei ich im Moment eher froh darüber war. Es änderte jedoch nichts an meinen Gefühlen.
„Wieso haben wir da nicht vorher drübernachgedacht?", fragte ich.
Alice zuckte mit den Schultern.
„Wieso – wieso haben wir nichts gemacht?", sagte ich, und ich fühlte, wie sich Jazz' Arm um meine Schultern legte.
„Ich will hier raus", murmelte ich, und konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen.
Ich stürmte los, in Vampirgeschwindigkeit. Schon bald kamen die anderen nach.
„Amerika", sagte Nahuel glücklich.
Wir sahen uns alle an.
„Los geht's", flüsterte Jake ein wenig sehnsüchtig, und wir stürmten los, über Stock und über Stein, durch Wälder und durch Felder.

„Los geht's", flüsterte Jake ein wenig sehnsüchtig, und wir stürmten los, über Stock und über Stein, durch Wälder und durch Felder

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Bis(s) ich dein Herz erobere - Jasper Hale Fanfiction ✔️Where stories live. Discover now