Kapitel 16.

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Eine halbe Stunde später sah das Schlafzimmer aus, als hätte ein Tornado eingeschlagen. Überall lagen Kleidungsstücke herum, hingen an der Gardinenstange oder sonst wo. Ich hatte mir wirklich nicht viel Mühe gegeben, ordentlich den Schrank durchzuschauen.
Ich hatte mir eine große Tasche genommen und möglichst viele Kleider reingepackt. Wenn man schon einen Schrank voller Designer-Mode hatte...
Dann hatte ich eine Weile vor dem Spiegel gestanden und mir kurzerhand die Haare geschnitten. Also, natürlich nicht selbst. Ich hatte gezaubert. Denn wie bereits gesagt, ich hatte meine Magie immer noch. Und sollte mir die Kurzhaarfrisur doch zu doof sein, könnte ich mir meine alte Mähne immer wieder schnell herbeizaubern.
Jetzt stand ich am Fenster und blickte gedankenverloren nach draußen. Wie könnte ich Clary dazu bekommen, mir zu glauben? Und mit mir zurück zu kommen? Ob der normale Erinnerungszauber funktionieren würde? Ich würde es einfach versuchen müssen...
Seufzend erneuerte ich meine Runen und fuhr mir mit der Hand durch die Haare. Dann ging ich nach unten ins Wohnzimmer und setzte mich auf die Ledercouch. Nach einem Schnippen mit den Fingern hielt ich einen frisch zubereiteten Martini in der Hand und nippte genüsslich daran. Mir doch egal wie früh es war. Wenn ich in dieser Dimension als Partygängerin galt, durfte ich immer trinken.
Eine Minute später hörte ich das "Pling!" vom Aufzug und vorsichtige Schritte auf dem Marmorboden.
"Hier!", rief ich und hob träge die Hand, ohne über die Schulter zu schauen.
Einen Moment später erschien Clary in meinem Sichtfeld und schaute mich eine Millisekunde an, ehe sie auf ihre Schuhe blickte und sich mit gegenüber auf den Sessel setzte.
Skeptisch blickte ich sie an. Ihre roten Haare hingen ihr strähnig ins Gesicht, sie war ungeschminkt und trug eine viel zu große Bluse und eine unförmige Hose. Und so was fand Jace gut?
Ich verzog das Gesicht, als ich an Jace dachte. Er fehlte mir sehr. Jeder normale Mensch würde jetzt wahrscheinlich sagen, hätte er noch eine neue Chance, würde er alles anders machen, doch ich würde es nochmal genauso machen. Selbst wenn die Lüge die Probleme gebracht hatte. Die Wahrheit war genauso unschön und würde Probleme wie meinen Vater aufbringen.
"Sie wollten mich sprechen?", riss Clarys unsichere Stimme mich aus meinen Gedanken und ich blickte von meinem Glas auf, in das ich gedankenverloren gestarrt hatte.
Wollte ich wirklich, dass sie zurück zu Jace kam? Sie passte nicht zu ihm. So überhaupt gar nicht. Das war zwar nur meine Meinung aber die zählte hier ja gerade oder? Es lag an mir, ob sie zurückging oder nicht...
„Glaubst du an Magie?", fragte ich gelangweilt und widerstand dem Drang, sie wegen dem Web-Design niederzumachen, was die Felisa von hier jetzt eigentlich tun wollte.
Nun blickte die Rothaarige auf und mich verwirrt an. Wahrscheinlich hatte sie mit Schimpfen und einer Kündigung gerechnet. Doch das würde nicht von mir kommen.
Ihr Blick fiel auf die Engelsrunen, die ich an den Unterarmen trug. Wie magisch davon angezogen griff sie nach meinem Handgelenk und strich ehrfürchtig darüber.
„Was ist die Bedeutung?", fragte sie und berührte mit der freien Hand die Stelle über ihrem Herz, wo mal ihre Engelsrune gewesen sein müsste, „ich habe dieses Tattoo genau hier. Aber ich kann mich nicht erinnern was es bedeutet oder wann ich es mir stechen lassen habe..."
Bevor ich antworten konnte, erklang erneut das „Pling!" des Fahrstuhls und schwere Schritte erklangen. Wer zum Teufel war das denn jetzt?!
„Willst du deinem Daddy nicht Hallo sagen?", erklang eine tiefe Stimme, die ich zwar kannte, aber die eigentlich nicht hier sein dürfte.
Ich erhob mich und blickte Ramsey an, als er den Raum betrat und väterlich die Arme ausbreitete.
„Entschuldige, Clary," meinte ich an die Rothaarige gewandt, „ich hab die Verabredung mit meinem Vater vergessen. Ich melde mich heute Nachmittag nochmal bei dir!"
Ich blickte sie ernst an, woraufhin sie aufsprang und mit eingezogenem Kopf Zum Aufzug eilte. Kaum war sie weg, wandte ich mich dem Dämon zu.
„Was tust du hier?", fragte ich wütend.
„Ein Vögelchen hat mir gezwitschert, dass du hier wärst," sagte er und nahm mir den Martini ab, um ihn dann zu trinken, „und da wollte ich dafür sorgen, dass du auch hier bleibst."
Damit warf er das Glas nach meinem Kopf, doch ich wich geschickt aus. Mit zusammengekniffenen Augen starrte ich ihn an und wartete auf seinen nächsten Angriff. Innerhalb von Sekunden veränderten sich seine Hände zu Klauen und seine Zähne zu rasiermesserscharfen Reißzähnen. Dann stürzte er sich auf mich und versuchte, mit seinen Klauen mein Gesicht und meine Kehle zu zerfetzen. Doch ich wich aus und trat ihn fest in den Rücken in der Hoffnung, ein paar Knochen zu brechen. Doch stattdessen prallte ich nur ab und stolperte etwas zurück.
„Dir fehlt es an Kraft," stellte er wie ein Trainer fest, „dafür bist du schnell. Ich frage mich gerade, warum du nicht einfach deine menschliche Seite ablegst und dich mir anschließt. Als Dämon."
Wütend warf ich einen Sessel nach ihm, den er einfach mit den Krallen in der Mitte zerteilte.
„Ich bin nicht wie du!", schrie ich und kämpfte mit den Tränen, „ich morde nicht aus Spaß! Ich morde nicht grundlos! Ich bin kein Monster!"
Mein Wutanfall war wohl das, was er sich gewünscht hatte, denn plötzlich spürte ich einen brennen den Schmerz an der Seite und am Hals.
Keuchend stolperte ich zurück und hielt mir die Wunden. Wenn ich nicht schnell hier wegkam würde ich an Blutverlust sterben. Daher warf ich Ramsey den stärksten Zauber entgegen, der mir in diesem Moment einfiel: Erstarrung. Würde nicht lange halten, aber lange genug, damit ich ein Portal öffnen und verschwinden konnte.
Eilig aktivierte ich meine Heilrune und öffnete ein Portal. Meliorn hatte gesagt, dass ich einfach ein Portal öffnen müsste, um zurückkehren zu können. Das Wichtigste war, dass ich etwas bei mir trug, dass aus der anderen Dimension war.
Als sich das Portal öffnete, begann Ramsey sich bereits langsam wieder zu bewegen. Rasch sprang ich hindurch und landete unsanft auf der anderen Seite auf Waldboden.
„Felisa!", hörte ich mehrere Stimmen rufen.
Zitternd blickte ich auf und sah Meliorn, Magnus und die drei Shadowhunter auf mich zueilen.
„Schließt... das... Portal...", brachte ich noch mühsam zustande, ehe ich das Bewusstsein verlor.

Als ich wieder zu mir kam, lag ich, oh Wunder, in Magnus' Gästezimmer. Als ich nach meinen Wunden tastete war alles verheilt und ich fühlte mich besser.
Mein Bruder und die Heilkunst. Das war schon immer eine Harmonie gewesen.
Vorsichtig richtete ich mich auf und spitzte meine Katzenohren, die auf meinem Kopf zuckten.
Vier Stimmen. Also waren Alec, Jace und Isabelle auch da. Wie kam ich also hier raus, ohne von ihnen gesehen zu werden? Ein Portal... Aber dafür hatte ich mich noch nicht genug erholt.
Magnus' Stimme verstummte, dann fragte er etwas lauter: „Wenn du schon wach bist, dann komm hierher!"
Zähneknirschend zog ich mich an und verließ das Zimmer. Die Vier saßen im Wohnzimmer und tranken Kaffee. Als ich zu ihnen trat, blickten sie mich forschend an.
„Ich wollte Clary zurückholen," sagte ich als Erklärung, drehte mich um und verließ die Wohnung ehe jemand reagieren konnte.
Ich musste mich nicht erklären. Ich durfte machen, was ich wollte. Und mehr als diese Erklärung ging sie auch nichts an.
Okay, wo sollte ich jetzt hin? In meinen Häusern/Wohnungen würde Magnus mich vermuten und suchen. Wo würde er erst als letztes suchen? Camille. Also ab zu der Vampirin...

Halfblood - Liebe auf der GrenzeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt