Kapitel 8

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~Junge des Wassers~

Am nächsten Tag besuche ich Benson. Es geht ihm schon besser, aber es wird etwas dauern, bis sein Bein wieder in Ordnung ist. Aber wir wissen beide, dass er trotzdem wieder in den Krieg muss. Wenn ich jetzt in seine Augen schaue, dann sehen sie so aus wie meine. Trüb und stumpf. Von der Hoffnung verlassen. Denn als er da so am Boden lag, hat er mit Gott diskutiert. Karten gespielt und doch noch gewonnen. Der schwarze Peter war sein Tod und er hat noch gerade so gewonnen. Wäre niemand da gewesen, um ihn zu verteidigen, dann würde er jetzt nicht mehr leben und das weiß er. Ben versteht jetzt, wieso ich so negativ denke, warum meine Einstellung so ist. Wir reden kaum und als es dunkel wird, gehe ich. Meine Eltern werden denken, dass ich noch bei ihm bin, aber eigentlich gehe ich zum Baumhaus.
Ich bin vor Aurora da, aber es macht mir nichts aus. Ich warte gerne, hauptsache sie kommt. Seit wann habe ich meine Prinzipien über den Haufen geworfen? Warum mache ich all das? Weil sie meine beste Freundin war und vielleicht doch noch ist? Weil man das Band einer Freundschaft nicht einfach zerschneiden kann und erwarten kann, dass von einen Moment auf den anderen alles vorbei ist, alles was man erlebt hat vergessen ist? Schließlich sitzt sie dann neben mir. Wir reden kaum, weil da eine ungewohnte Distanz zwischen uns ist. Wir haben uns beide verändert und sind nicht mehr ganz die Selben wie früher. Sie mehr, ich weniger, weil ich mit mir selbst gebrochen habe. ,,Weißt du Logan, ich verstehe diese ganze Welt nicht mehr", meint sie irgendwann. Ich nicke, aber bleibe stumm. Ich verstehe ja mich selbst nicht einmal mehr. Was also soll ich dazu sagen? Eine Eule fliegt über uns hinweg und sendet ihren Ruf in die Dunkelheit. Wir sagen einfach nichts. Wir sind wie zwei stumme Seelen, die einander brauchen. Es ist aber nicht unangenehm, im Gegenteil, wir genießen die Ruhe und den Frieden hier, denn wo anders gibt es den nicht mehr. Und das ist der Moment, in dem ich wieder etwas Zuversicht schöpfe. Nicht viel, nur ganze wenig, so wenig, dass ich es fast nicht merke. Denn es gibt immer noch Orte, wo Friede herrscht. Zeitpunkte und Personen, die es möglich machen. Dann geht Aurora wieder und ich bleibe noch kurz sitzen, denn meine Gedanken überwältigen mich. Ich kann es nicht zum Ausdruck bringen, was ich fühle. Ich weiß nicht, wann ich das letzte mal so etwas gefühlt habe. Hoffnung. Wenig, zu wenig, aber irgendwie schafft Aurora mir diese in den Momenten zu geben. Doch am nächsten Tag ist es wieder verschwunden.
Mit dem Aufstehen kommen die schlechten Gedanken wieder. Der Pessimismus, den ich so sehr hasse, wie ich ihn nicht ablegen kann. Dann geht es in die Schule. Wenn ich dachte, dass ich davor schon still war, dann bin ich jetzt stumm. Thomas aber auch. Es ist seltsam. Als ob er auch ein Geheimnis hätte oder von meinem wisse. Geheimnisse machen uns schweigsamer, als zuvor. Aber wir sind uns nicht fremd, wir sind dennoch Freunde, wenn auch stille. Wenn ich ihn so betrachte, dann hat er sich verändert. Nicht vom Aussehen, sondern von seiner Ausstrahlung. Er scheint..glücklicher, aber auch irgendwie verbitterter. Komisch, wie er beides auf einmal darstellen kann. 

Es ist jeden Tag das selbe. Wenn ich nicht in die Schule gehe, dann zu den extra Stunden am Wochenende. Dann habe ich zwei Stunden meine Ruhe, wo ich meistens daheim bin. Danach muss ich in den Krieg und wenn die nächste Truppe bereit ist uns abzulösen ist es schon ziemlich spät. Wenn ich nach Hause komme ist Lionel trotzdem immer noch wach. Er sagt, er wartet auf mich. Wie viel er wohl von dem ganzen mitbekommt? Er schläft immer erst, wenn ich ihm gute Nacht gesagt habe und oft erst auch nachdem ich ihm eine Geschichte erzählt habe. Wenn ich dann seine Zimmertür geschlossen habe, gehe ich wieder nach draußen um Ben zu besuchen und mich danach mit Aurora zu treffen. Nur Sonntags habe ich frei. Dann mache ich etwas mit Thomas oder bin schon früher bei meinem Bruder. Ich würde Li ja nur all zu gerne mitnehmen und ihm diesen Wunsch erfüllen, aber dann weiß er, dass ich gelogen habe.

Heute treffe ich mich wieder mit dem blonden Mädchen. Es ist wie immer. Wir sitzen stumm nebeneinaner und lauschen den Geräuschen, genießen die Ruhe. Auch wenn ich wieder aufmerksamer bin, bin ich doch noch in meiner Starre, bin immer noch der Logan, der ich sei dem Krieg bin. Der trostlose und verlorene. Der ohne Hoffnung und ohne Gefühl für die Schönheit. Der, der seinen Tod erwartet. Denn das tue ich noch immer. Jeder Tag kann mein letzter sein und irgendwann schlägt diese Stunde, in der ich umfalle. Wenn mein Herz zu schlagen aufhört und das Blut wie das Wasser aus einem Brunnen sprudelt. Wenn ich recht hatte, aber kein Jubeln aus mir kommt, wenn ich nichts mehr denke und fühle und die Götter mich in die kananan Kurkuku schicken, weil ich gemordet habe, morden musste, selbst dann ist mein Leid nicht vorbei. Es ist unendlich und wird es auch immer sein. Nicht mal die heimlichen, nächtlichen Treffen machen es besser, im Gegentleil, sie sind gefährlich, doch Gefahr lockt. Deswegen bin ich vermutlich hier, denke ich, denn ich verstehe mich selbst nicht mehr. Irgendwann erhebt einer von uns die Stimme und sagt etwas. Heute ist es Aurora, die versucht ein Gespräch zu starten: ,,Erinnerst du dich noch an Lillie?" ,,Mhm." ,,Meinst du, ich soll ihr das hier erzählen?" ,,Ist sie immer noch wie früher?", ich gehe nicht auf ihre Frage ein, weil ich überlegen muss. Lillie war schon immer etwas zurückhaltend. Vermutlich würde sie Angst haben. ,,Hm...ich weiß nicht. Ja schon, aber der Krieg hat uns alle verändert, oder?" ,,Stimmt." Kurz ist es still, ehe ich auf ihre vorherige Frage antworte: ,,Ja, erzähl es ihr, aber ich glaube, sie wird nichts riskieren." Sie nickt langsam. Dann verfallen wir zurück in unser Schweigen. Es stimmt. Niemand ist mehr zu hundert Prozent wie früher. Ich sollte es doch am besten wissen, weil ich am wenigsten wie damals bin. Irgendwann steht sie wieder auf und geht. Ich bleibe noch kurz sitzen. Wie immer. Schließlich erhebe auch ich mich und suche meinen Weg durch die Dunkelheit.

Elementmenschen ~Mädchen des Feuers~Junge des Wasser~Where stories live. Discover now