Kapitel 14

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~Junge des Wassers~

Lebe ich wirklich noch?
Ich fühle mich wie erschlagen. Mein Kopf dröhnt, ich höre das Blut in meinen Ohren rauschen und das Piepen von Geräten neben mir. Immer im gleichen Rhythmus gibt es dieses Geräusch stetig von sich. Meine Augenlieder fühlen sich so schwer wie Beton an, aber dennoch blinzle ich etwas. Schmutzige weiße Wände und das Sonnenlicht, das durch ein Fenster fällt, sind das Erste, was ich erblicke. 
Als ich meinen Kopf etwas nach links bewege schmerzt er noch mehr, als schon zuvor, aber ich kann meine Mutter auf einem Stuhl neben meinem Bett erkennen. Ihre Haare hängen in zersausten Locken hinab und ihr Blick gilt den Häusern hinter dem Fenster. Während ich mich unter Schmerzen aufsetze wird die Aufmerksamkeit meiner Mutter durch das Rascheln der Bettdecke wieder auf mich gelenkt.
,,Wie geht es dir?", der Ausdruck in ihren eisblauen Augen ist hart und weich zugleich, ihr Tonfall warm und doch auch kalt. Wie eben die Stimme einer Mutter, dessen Kind etwas Dummes gemacht hat. Nur werden Eltern meisten vergeben, egal was man auch angestellt hat. Hoffentlich auch meine.
,,Es geht so", lüge ich. Die Stiche, die mich bei jeder Bewegung und jedem Wort, das ich sage oder höre, durchfahren sind unerträglich, ebenso wie das Hämmern in meinem Kopf, aber ich kann es ihr nicht sagen. Noch bin ich zu geschwächt um mich selbst zu heilen, noch ist es zu gefährlich, da ich aufgrund der Schmerzen und Erschöpfung mich selbst verletzen könnte, meine Kräfte nicht unter Kontrolle hätte.
Mein rechter Arm ist gebrochen und ich habe eine Platzwunde. Außerdem ist mein Fuß verstaucht und ich habe eine große Wunde an meiner Leiste.
,,Warum hast du das getan? Wir haben dir doch den Kontakt zu ihr verboten", Unverständnis schwingt in ihren Worten mit und auch in ihren Augen finde ich sie wieder.
,,Ich weiß es nicht", murmle ich. Wieder spreche ich nicht die Wahrheit, aber ich kann es ihr nicht erzählen.
Sie seufzt: ,,Wir wissen doch, dass du und Aurora euch damals nicht angegriffen habt, aber was hätten die Leute gedacht, hätten wir nichts unternommen? Was hätten sie mit uns gemacht? Die Leute dulden zwei Kämpfende eher, als zwei Freunde verschiedener Spezies. Das ist die Abartigkeit der Menschheit. Und jetzt auch noch das. Weißt du, wie sehr du uns in Schwierigkeiten bringst?"
Ich schlucke, aber antworte nicht. Einige Momente lang ist da nichts, außer dieses stetige Piepen. Erst als sie aufsteht ergreift sie wieder das Wort: ,,Benson wird heute Abend noch vorbeischauen." ,,Und was ist mit Papa?" ,,Er wird nicht kommen. Hoffentlich vergibt er dir jemals wieder." Mein Vater ist wohl anders als andere Eltern. Er vergisst nicht und steht nicht zu mir. Ihm ist sein Ruf wichtiger als ich. Das hat er wohl mit der Zeit gelernt.
Der Tag vergeht langsam. Ich mache nichts, außer im Bett liegen und nachzudenken. Größtenteils über den Vorfall und Aurora. Wie es ihr wohl geht? Ich weiß nichts über sie und Ben wird mir auch nichts sagen können. Er hatte nie sonderlich viel mit ihr zu tun, auch wenn er sich früher gut mit ihrem Bruder vertrug, der ein Jahr jünger ist als er. Wirklich befreundet waren sie allerdings nie.

Nach einer Ewigkeit kommt er dann endlich. Zuerst sehen wir uns trotzdem nur stumm an, niemand weiß, was er sagen soll, wie er reagieren soll.
,,Was sollte das?", fragt er nach einer Weile. Seine Stimme ist anders als die von meiner Mutter, ruhig und neugierig.
Ich zögere, soll ich ihm davon erzählen? Aber kann ich es denn für mich behalten? ,,Du darfst das niemandem sagen", beginne ich und sehe ihn an.
Er nickt aufmerksam und ehrlich.
,,Weißt du, vor etwas mehr als einer Woche sah ich sie das erste Mal wieder. Im Krieg. Sie sprach zu mir. Es ist nicht so, als hätte sie es nicht schon früher versucht den Kontakt trotz des Verbotes zu halten, aber ich habe sie immer wieder weggestoßen. Ich weiß nicht, was an diesem Tag anders war, mich dazu bewegte ihr zuzuhören, aber ich habe es getan. Ich fragte sie, ob wir uns denn nicht treffen können, obwohl es gegen meine Prinzipien verstieß." Ich mache eine Pause.
,,Und?"
,,Und wir trafen uns regelmäßig. Jeden Tag, nachdem ich dich im Krankenhaus besuchte, jeden Abend wenn ich sage ich gehe spazieren und bräuchte frische Luft." Ich atme tief ein. Die Bilder ziehen mir vor meinem inneren Auge vorbei. Aurora, als sie mit mir reden wollte einst auf dem Schulhof unserer alten Schule. Als ich sie im Krieg sah, unsere Treffen, wie sie angegriffen wurde und ich ihr half. ,, Ich konnte nicht zusehen, wie sie stirbt, ich musste eingreifen, verstehst du?" 
Wieder nickt mein Bruder. Er ist einfach nur still und hört mir zu, er weiß, dass ich das jetzt brauche, nicht dumme Fragen oder Kommentare über das, was ich getan habe.
,,Sie ist doch meine Freundin." Kurz stocke ich. ,,Sie...ich mag sie doch", flüstere ich so leise, dass es nur ich hören kann. Vielleicht hat Ben es doch mitbekommen, aber er sagt nichts, lässt mich in Ruhe.
Was, wenn ich sie mehr mag, als ich dachte? Wie ich das erst jetzt begreife. Muss denn immer etwas geschehen, damit man etwas versteht?

Elementmenschen ~Mädchen des Feuers~Junge des Wasser~Where stories live. Discover now