Kapitel 15

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~Mädchen des Feuers~

Jede Nacht verbringe ich am Baumhaus und hoffe, dass er kommt. Ich hoffe und bete, dass er noch am Leben ist, dass ich ihn mindestens noch einmal sehen kann. Aber er kommt nicht. Ich höre nichts von ihm, aber ich gebe nicht auf. Ich gehe nie vor Mitternacht zurück nach Hause, suche unseren Ort so früh wie möglich auf. Mein Bruder unterstützt mich dabei Ausreden zu finden, aber auch seelisch, auch wenn wir nicht viel darüber reden, ist er für mich da und wenn ich dann doch einmal reden will, hört er mir zu. So wie Lillie.
Jetzt sitze ich wieder auf der Plattform und lasse meine Beine hinunter hängen. So oft war ich schon mit Logan hier. Früher, als wir noch keine Sorgen hatten, keine Probleme und jetzt. Aber er ist nicht hier und ich habe Angst, dass ich ihn nie wieder sehen werde. Und auch heute kommt er nicht. Heiße Tränen laufen mir über mein Gesicht und ich lasse sie rollen, bis sie auf den Boden unter mir Tropfen. Nur der kühle Nachtwind versucht sie aufzuhalten, auszutrocknen.
So sitze ich da bis ich mich wieder etwas beruhigt habe und die kleinen Perlen aufgehört haben zu fließen. 

Zuhause fängt mich Felix ab. Manchmal macht er das, er sagt, er könne dann nicht schlafen, aber das glaube ich ihm nicht. Ich denke, er bleibt wach für mich und ich bin ihm dankbar dafür, auch wenn ich es ihm nie sagen würde, weil er es sonst jede Nacht machen würde. Ich will nicht, dass er wegen mir übermüdet ist, ich will nicht Schuld sein, wenn er deswegen im Krieg unaufmerksam ist und stirbt.
Der Tod, er scheint so nahe wie nie zuvor, aber er war es vorher schon. Doch auch, wenn es unvermeidlich scheint, darf ich die Hoffnung nicht aufgeben. Es gibt immer eine klitzekleine Möglichkeit, oder?
Felix sieht mich fragend an, aber ich schüttle den Kopf.

,,Vielleicht solltest du aufhören dir deine Nächte um die Ohren zu schlagen. Sieh es ein. Wenn du nie damit abschließt, wirst du keinen ruhigen Schlaf mehr finden."
,,Nein. Es besteht immer noch eine Chance, dass er auftaucht. Ich werde nie damit aufhören, selbst wenn ich mein restliches Leben mit warten verbringe, selbst, wenn es klar sein sollte, dass er tot ist werde ich es zu seinen Ehren als Tradition aufrecht erhalten", ich spüre, wie mir die salzige Flüssigkeit über mein Gesicht rinnt und wische sie mir mit der rechten Hand weg. Er soll nicht wissen, wie wichtig es mir ist, aber es nützt nichts, denn die kleinen Perlen hören nicht auf über meine Wangen zu kullern und mein Bruder hat es schon längst bemerkt.
Er nimmt mich in dem Arm und so stehen wir nur da und schweigen. Erst eine Weile später erhebt er seine Stimme: ,,Willst du reden?"
 Ich nicke stumm und wir begeben uns in mein Zimmer. Dort kuschle ich mich in eine Decke, da ich zittere. Schließlich fange ich zu sprechen an: ,,Ich will es einfach nicht wahrhaben, dass ich ihn nie wieder sehen könnte, weil er sich für mich geopfert hat." Jetzt lasse ich den Tränen freien Lauf und vergrabe mein Gesicht in meinen Knien, die ich an mich herangezogen habe.
Felix schließt seine Arme um mich und versucht mich dadurch zu beruhigen. Ich schluchze.
Irgendwann geht mein Bruder und irgendwann schaffe ich es sogar einzuschlafen, aber das Bild des verletzten Logans spuckt in meinem Kopf herum, lässt mir meine Ruhe.
Mit jedem Tag werden meine Augenringe etwas größer und ich erschöpfter. Es ist nicht das nächtliche warten, das mich um meinen Schlaf beraubt, es sind die Sorgen und Bilder in meinem Kopf.

Und trotzdem gehe ich am nächsten Tag wieder zum Baumhaus. Und am übernächsten wieder. Jeden Tag sitze ich da und warte, warte, bis er kommt.
Und gerade dann, wann ich überlege, ob die Worte meines Bruders vielleicht doch der Wahrheit entsprechen höre ich, wie jemand die Leiter heraufsteigt. Mein Herz macht einen Sprung. Ist er gekommen? Kann das wirklich wahr sein? Ich drehe mich um und tatsächlich ist er es.
,,Logan", sage ich und stehe auf.
,,Aurora", flüstert er.
Eine Weile stehen wir uns nur stumm gegenüber, aber dann ergreife ich das Wort: ,,Geht es dir gut?"
,,Es geht. Ich habe manchmal noch Schmerzen, aber es ist ok."
,,Danke, dass du das für mich gemacht hast", mein Blick ruht kurz auf dem Boden, dann wieder auf seinem Gesicht.
Seine Miene wird ernster: ,,Ich würde es jeder Zeit wieder machen."
Erneut herrscht eine Stille.
Mittlerweile sitzen wir wieder und lassen unsere Beine hinab hängen.
,,Ich sollte jetzt gehen", murmle ich leise und zu meiner Verwunderung steht der Junge mit den schwarzen Haaren auch auf. Wir steigen die Holzleiter hinunter. Meine Finger klammern sich an die Sprossen. Schließlich stehen wir uns gegenüber. Seine blauen Augen ruhen auf mir. Ich greife seine Hände und erwidere seinen Blick. Goldene Augen treffen auf tiefseeblaue. 
Er drückt mich sanft gegen einen Baum hinter mir. So, als wäre ich aus Glas. Ich könnte mich jede Zeit befreien, wenn ich möchte, aber das will ich nicht. Wieder treffen meine Augen auf seine. Blau. So schön meerblau. Mein Blick bleibt an ihnen hängen, ich verliere mich darin. Zweifel und Sorgen, Angst und Liebe sehe ich in ihnen, aber da ist noch so viel mehr. So viel mehr, das ich nicht beschreiben kann, dass ich nicht zu sehen vermag, aber es ist da, aber ich spüre es.
Mein Herz schlägt schneller als sonst, aber mein Atem ist ruhig. Ich fürchte mich nicht, es sind seine Augen, die mich beruhigen, sein Blick, wie liebevoll er mich betrachtet.
Auch sein Herz schlägt schneller, ich weiß es einfach. Das hier ist anders als sonst mit ihm, anders als es mit sonst jemandem je war, je sein wird. Das spüre ich. Wir kennen es nicht, dieses Gefühl zwischen uns, es ist stärker als alles, was ich zuvor wahrgenommen habe und auch bei ihm ist es das. Ich sehe es in seinem Blick. In seinen Augen, die mich sorgfältig betrachten, fast besorgt, ob das, was er hier macht richtig ist.
,,Darf ich?", flüstert er nach einer Weile. Er redet nicht lauter, weil die Geräusche der Nacht unsere Melodie sind. Das Rascheln der Blätter, das Rufen der Vögel und das Plätschern des Flusses in der Nähe.
Mein Kopf bewegt sich von oben nach unten. Es ist als wäre ich hypnotisiert, hypnotisiert von seinem Blick, von all dem hier. Er sieht mir nochmal tief in die Augen, als ob er sichergehen müsste, dass ich es ernst meine. Und diese scheinen es zu bestätigen.
Langsam beugt er sich vor, unsere Gesichter nähern sich. Kurz scheint er inne zu halten, zu zögern, aber dann landen unsere Lippen aufeinander. Es ist ein schöner Kuss. So viel Gefühl steckt in ihm, so viel Wahrheit. Es ist anders als mit Nick, es ist schöner, weil es echter ist, ehrlicher ist. Es ist nicht so, als hätte ich ihn nicht geliebt, aber Logan ist doch so viel mehr für mich, als Nick es jemals war.
Wir lösen uns voneinander, aber lassen uns nicht aus den Augen. Da ist tatsächlich ein Lächeln auf seinem Gesicht, wie auch eines auf meinem.
,,Vor kurzem noch dachte ich, ich könnte so etwas nicht fühlen, aber du hast es mir beigebracht", flüstert er. Dann verschließe ich unsere Lippen wieder miteinander.
Es ist, als wären sie füreinander gemacht, aber das ist nicht so, denn dann wäre da nicht das Verbot, nicht der Krieg, oder? Aber trotz all dem bin ich glücklich. Ich weiß, wir gehören zusammen, ob die anderen das nun wollen, oder nicht. Und vielleicht, nur ganz vielleicht gibt es da doch noch ein Stück Hoffnung für eine Zukunft für uns beide. Auch, wenn sie so gering ist, werde ich an dem Teil festhalten, nicht loslassen.
Logan hat Recht, der Krieg ist unberechenbar und tödlich, aber dennoch sind meine Worte weiser. Solange es auch nur etwas Zuversicht gibt kann ich nicht aufgeben, denn die Hoffnung stirbt zuletzt, heißt es.
Doch jetzt nehme ich nur seinen Geruch wahr, seine Lippen auf meinen, seine Zärtlichkeit und Liebe.
Da sind nur wir. Zusammen.

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Wie findet ihr das Kapitel?
Ich hoffe es hat euch gefallen, auch wenn es wohl nicht gerade unerwartet kam.
~katharina423

Elementmenschen ~Mädchen des Feuers~Junge des Wasser~Where stories live. Discover now