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"Ich halte das nicht länger aus"

Andy pilgerte im Wohnzimmer herrum wie ein eingesperrter Hund, die rostbraunen Augen beinahe rot glühend, die zugezogenen cremefarbenen Vorhänge ins pendeln versetzend sobald er an ihnen vorbeitrottete.

Von Zeit zu Zeit drang ein Lichtstrahl in den für gewöhnlich künstlich beleuchteten Raum, offenbahrte die schwebenen Staubmassen in der Luft, der Beweis das ich meinen dieswöchigen Putzdienst versäumt hatte.

Er seufzte, setzte sich auf die Couch auf der ich schon seit Tagen fat schon lebte. "Du hast dich nicht mehr so seltsam benommen seit..." er seufzte, zog meinen mittlerweile warscheinlich zum Himmel stinkenden Körper gegen seine Brust, mit einer erstaunlichen Kraft wenn man seine dürre Statur bedachte.

Andy war schon immer ein Sonderling gewesen. Zog klassische Musik Hip Hop vor, zog die Vorhänge zu um den Nachbarn keinen Blick in die Wohnung zu gewähren, besaß keine Spiegel um sie nicht putzen zu müssen. Darüber hinaus jedoch auch die einzige Person der ich blind folgen würde. Wenn auch von Zeit zu Zeit ein wenig nervtötend.

"Ray, sollte J..." - "Sag seinen Namen nicht!" Ein verzeifelter Schrei. Es klang fasch wenn jemanden seinen Namen aussprach. Es schien sogar falsch wenn jemand das selbe T-Shirt trug wie er. Es war wie ein billiges Plagiat. Eine Fälschung meines schlimmsten Fluches.

Andy seufzte, schwieg. Er war ein guter Mensch, liebevoll, freundlich. Wir waren nie mehr als beste Freunde gewesen, nicht bevor und nicht nach ihm. Er hatte mich aufgenommen nachdem mein damaliger Pflegevater handgreiflich wurde, war vollkommen in Raserei geraten. Und auch wenn er eher eine schmächtige Gestalt war, vor einem wütenden Andy lernte jeder das Fürchten.

Eine kühle Hand legte sich auf meine Schulter, zog mich an seine ruhige Gestalt herran. Auch wenn ich es nicht zugeben mochte, so tat es gut zu wissen das ich jemanden an meiner Seite hatte.

"Ich hätte diesen Kerl lieber gleich umbringen sollen als ich doch die Möglichkeit dazu hatte" ein deprimiertes Murren. Eine gefühlte Ewigkeit die nichts weiter passierte, Andys Arm bereits taub geworden sein musste.

Er fuhr sich durch das fettige Haar, schien nach den richtigen Worten zu suchen "Weißt du noch wie ich auf die Lidia-Sache reagiert habe?"

Lidia Maddox, natürlich. Das wohl größte Drama vor den Gefährten-Strapazen. Ehrlich gesagt hatte ich nie ganz verstanden wie Andy tatsächlich 1, 2 Mal hatte mit ihr ausgehen können bevor er sie abserviert hatte. Sie war eine Bitch gewesen. Und ich dementsprechend wenig betrübt als sie vor gut vier Jahren einen plötzlichen Herzinfakt erlitt und schon als junges Mädchen verstarb.

Für Andy hingegen war eine Welt zusammengebrochen. Die beiden waren damals zwar in Teenager-Rechnungen schon Jahrhunderte getrennt gewesen, denoch hatte ihn die Neuigkeit zu dieser Zeit so eiskalt erwischt als wäre er nur vor wenigen Stunden mit ihr zusammen gewesen.

Am Ende des Dramas hatte ich sogar ein Orchester mit ihm besuchen müssen um ihn auch nur ein wenig aufzuheitern. Wenn ich nun das nächste Mal eine Violine sehen oder hören würde, so würde ich schreiend losrennen.

Aber ich verstand nicht ganz was diese Angelegenheit mit der momentanen Lage zu tun hatte. Lidia war tot, längst aufgequillt und von Würmern zerfressen. Er war dagegen zurück nach Kanada gekehrt, höchstens für mich gestorben.

"Du musst J..."

Und erneut, dieses tiefe, melancholische Seufzen, das eher nach einem lebensmüden Rentner und nicht nach einem jungen Mann klang "...ihn...loslassen Ray. Er ist weg, er kommt nicht wieder" seine Worte klangen tatsächlich als wäre mein Mate verstorben, etwas das ich bemerkt hätte.

Mein Mate ich schnaubte bei diesem Gedanken abwertend. Ihn so zu bezeichnen um mir seinen Namen nicht ins Bewusstsein rufen zu müssen, eine bittere Ironie.

Ich wusste nicht was mich zu den nächsten Worten trieb, sprach noch bevor ich den Gedanken überhaupt ausgearbeitet hatte.

"Ich will ihm nach Kanada folgen"

Mit einem einzigen Ruck stand der leichenblasse Zahnstochermann wieder auf seinen Beinen, krallte die langen Fingernägel schmerzhaft in meine Schultergelenke.

"Du bist des Wahnsinns Ray, du hast keine Ahnung was du dir da eigentlich vornimmst" ich senkte den Blick, starrte in die Leere des Raumes. Es war wahnsinnig. Es war meine einzige Hoffnung ihn wiederzusehen.

Nur langsam lockerten Andys Krallen den Griff um meine empfindliche Haut während seine rotbraunen Augen meinen Blick fixierten. "Sag mir das du nur Scherze machst, das du hier bleibst statt einer verlorenen Liebe hinterherzujagen."

Verlorende Liebe. Andy hatte keine Ahnung wie viel komplizierter die Situation eigentlich war. Ich faltete die Hände "Ich werde ihm nach Kanada folgen" Seine grazile Hand fuhr durch das öliges, schwarzes Haar "Nein Ray"

"Du bist nicht mein Vater" die Worte hatten meine Lippen als ein scharfes Zischen verlassen, ohne das ich sie hatte hindern können. Ich bereute sie. Nur wenige Millisekunden nach dem sie von den Wänden ab und zurück in den Raum geworfen wurden bereute ich sie schrecklich.

"Nein, dein Vater hat sich einen Dreck um dich gescheert. Aber mir bist du wichtig Ray, wir sind beste Freunde verdammt, ich lasse nicht zu das du bei so einem Blödsinn draufgehst." Er wartete ein paar Sekunden bis das Grollen wirklich meinen Verstand erreichte, die Worte wie kleine Klingen in meine Haut schnitten.

"Das machen beste Freunde so, sie sorgen sich um einander wenn das Leben scheiße ist" ein paar Sekunden starrte ich ihn einfach an, Schmerz und Wut in meiner Brust ringend.

ich hatte ihm diese Worte gesagt. Schon vor Jahren. An den Morgen an dem er von Lidia erfahren und mir eine Tür vor die Stirn geschlagen hatte. Es war eine unfaire Karte die er so eben ausspielte. Ich wusste das so gut wie er es sich ins Gewissen rufen konnte.

Ich spürte wie sich ein verräterrischer Druck in meinen Augen aufbaute, ein Gewicht meine Kehle zuschnürrte. Er verstand nicht. Er konnte es nicht verstehen. "Du hast keine Ahnung davon was er mir bedeutet Andy" ich verkrampfte die Hände, versuchte mich an sein Gesicht zu erinnern, seine Stimme, zu entscheiden ob ich ihn schlagen oder küssen sollte wenn ich ihm entgegenstand "Ich muss ihn finden"

Ein empörtes Schnauben "Du musst ihn vergessen, mehr nicht" er hatte die Arme verschränkt, den Raum erneut zu durchstreifen begonnen. "Versteh doch, ich kann nicht so weiterleben." Meine Stimme war ein leises Flehen, nicht mehr und nicht weniger.

"Es kümmert mich nicht ob dein innerer Wolf ihn zurückhaben will"

Und in dieser Sekunde brach ein Tsunami des Schweigens über unseren Köpfen zusammen. 

Chasing MatesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt