Alltag

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Samira folgte dem Kommandanten durch diverse Räume seines prachtvollen Domizils. Dabei erklärte er ihr nüchtern und ohne eine Reaktion abzuwarten, was sie von nun an jeweils dort zu erledigen habe. Anfangs wollte sie ihm scheinheilig unterwürfig zugestehen, dass sie alles, was er ihr auftrug, mit größter Genauigkeit und enormem Fleiß ausführen zu seiner vollsten Zufriedenheit ausführen werde, doch zeigte dieser deutlich, durch frühes Unterbrechen, dass er an dieser Art der Stiefelleckerei kein Interesse hegte. Somit lauschte Samira lediglich stumm aber aufmerksam den Worten des Kommandanten mit dem Hintergedanken ihm einfach zu beweisen, dass sie noch längst nicht Totgeweiht sei und jegliche Hausarbeit tadellos und flink ausführen konnte.
Was ihr aber am meisten Antrieb gab - in einem plötzlich auftretenden Anfall von Euphorie - war die Tatsache, dass im großen Salon auf dem mittig liegendem handgewebten Teppich ein alt aussender Schäferhund zusammengekauert dalag und schlief. Sie hatte Tiere immer geliebt, die Kleinen und die Großen, doch hatte sie nicht erwartet hier jeh ein so friedlich aussendes Exemplar zu sehen. Alle anderen Tiere, ebenfalls alles Hunde, nutzten die Aufseher, um Angst und Schrecken zu verbreiten. Fürchterliche Bisswunden hatte sie an den Menschen schon gesehen, teilweise gab es sogar Tote, die auf so grausame Art und Weise ihr Leben lassen mussten, obgleich Samira wusste, dass die eigentliche Bestie sich am anderen Ende der Leine befand. Ein Tier kennt keine Schuld, nur der Mensch tut dies. Er wertet, reflektiert, plant und nutzt seinen Verstand. Letzteres unterscheidet ihn grundsätzlich vom Tier, dass sich nur von Trieben und Instinkten lenken lässt. Auch der Mensch lässt sich von Trieben gern mal "steuern", doch kann er seinen Verstand nicht einfach ausschalten. Dadurch wird es niemals, da war sich Samira sicher, einen Menschen geben, der entschuldigen könnte, was hier geschehen war und welche Rolle er dabei spielte. Es gibt keine Ausreden und wird nie welche geben.
Instinktiv näherte sich Samira ein Stück dem schlafendem Hund. Der Kommandant beobachtete dies für einen kurzen Augenblick prüfend. Noch bevor sie ihre Hand gen Hund strecken konnte, unterbrach der Kommandant sie scharf: "Was hast du vor?" Samira zuckte zusammen. Sie wandte sich dem Kommandanten zu und für einen kleinen Moment - nur ein Wimpernschlag lang - funkelten ihn ihre Augen voller Missachtung an. Auch den Kommandanten durchzuckte es in diesem Moment, als wäre er von einem kleinen Blitz durchdrungen worden. Doch Samira kehrte schnell in ihre Rolle zurück und wandte sich demütig an den Kommandanten: "Entschuldigen Sie, Herr Kommandant, ich hätte mich nicht ohne Erlaubnis dem Hund nähern dürfen. Ich bitte vielmals um Verzeihung!" Der Kommandant blickte in die plötzlich reuevoll wirkenden Augen Samiras, welche ihn von unten herab ansahen. Er wich diesem Blick aus. Gelassen schritt er dann auf den schlafenden Schäferhund zu und kraulte seinen Kopf, was dazu führte, dass das Tier aus seinem Schlaf sanft grummelnd erwachte. Noch im Gehen erwiderte er Samira: "Ich vergebe dir." In Samira stiegen Wut und Scham über sich selbst auf.
Als Samira den Kommandanten sah, wie er den Schäferhund kraulte mischten sich ihre Gefühle. Einerseits verwunderte sie die Zuneigung, die er diesem Tier entgegen bringen konnte, und es gefiel ihr dabei zuzusehen. Andererseits wuchs ihr Hass und ihre Verachtung immens: Wie konnte dieser mordende Bastard nur so gut zu diesem Tier sein, während er in diesem Moment die Verantwortung für das Leid von Tausenden von Menschen trug? Warum fiel es ihm scheinbar genauso so leicht, Menschen zu quälen und zu töten, wie seinem Hund das gnädige Herrchen zu spielen? Was konnte -
"Das ist ein erstklassiger und reinrassiger Schäferhund." Die Stimme des Kommandanten riss sie aus ihren Gedanken. "Tatsächlich?" Samiras Frage hätte scheinheiliger kaum gestellt werden können. Der Kommandant nickte und fuhr fort: "Er war schon hier, als ich die Stelle angetreten habe. Schon damals war er für die Arbeit kaum noch zu gebrauchen, doch hier im Haus kann er mir noch als Schoßhund dienen und so seine letzten paar Jahre verbringen." Gehässig blickte Samira auf seinen Hinterkopf, doch sie bemerkte, wie ihr tief sitzender Zorn langsam abklang. "Wie ist sein Name?" Ihre ehrlich interessierte Frage überraschte sie selbst. Der Kommandant drehte sich lächelnd und immer noch über den Hund gebeugt zu ihr und antwortete: "Sein Name ist Adolf."
Samira erschrak fürchterlich. Schockiert und wie aus Stein starrte sie den Kommandanten an. Auch seine Miene verdunkelte sich etwas, als er Samiras Reaktion wahrnahm. Bestimmt fügte er hinzu: "Adolf bedeutet soviel wie "edler Wolf" und dieser Name ist sowohl für dieses Tier als auch für unseren Führer äußerst passend. Ist er doch so stark und voller Anmut wie ein mächtiger Wolf, der für sein Rudel neuen Lebensraum beschaffen hat und weiter tun wird. Darüberhinaus spürte er all unsere Feinde auf und schwor, sie solange zu jagen, bis kein einziger von ihnen übrig bleibe." Während er gesprochen hatte, hatte er sich wieder aufgerichtet und sah Samira nun durchdringend an. Als dieser ihr noch vollkommen befangen von seinen eigenen Worten strahlend näher kommen wollte, wich diese verständnislos nach hinten. Das Strahlen des Kommandanten schwand. Er räusperte sich und fügte schließlich bei: "Aus Respekt vor unserem Führer nenne ich - genau wie jeder andere, der über ihn spricht - diesen Hund jedoch nur Adi, deshalb wirst auch du, sofern du Kontakt zu ihm aufnehmen solltest, ihn ausschließlich Adi nennen. Hast du mich verstanden?" Ausdruckslos nickte Samira.
Als hätte das Tier die aufkommende Stille genau abgepasst, trottete er langsam auf Samira zu, und obwohl Schäferhunde hier zu Mordwerkzeugen instrumentalisiert wurden, zeigte sie keinen Funken Angst oder Panik, sie empfand auch keine. Trotzdem entwarnte der Kommandant sie wieder sanft lächelnd: "Du brauchst keine Angst zu haben. Dieser Köter wäre wohl nicht einmal mehr dazu in der Lage eine Katze zu jagen, geschweige denn sie zu zerfleischen." Ohne den Kommandanten zu fragen, ging Samira in die Hocke, hob dem Hund die Hand zum Beschnüffeln hin und streichelte ihn dann freundlich grinsend. Es schien ihn nicht zu stören. Weder den Hund noch den Kommandanten. Adi legte sich Samira sogar direkt vor die Füße mit dem Bauch entgegen gestreckt und der Kommandant beobachtete die Szene wohlwollend. Doch als sein Blick die große, hölzerne Wanduhr streifte, verharrte er dort für eine Weile. Schließlich entschied er sich, Samira dazu aufzufordern, sich zu erheben und den Rundgang durch das Anwesen fortzuführen.

Der Kommandant [PAUSIERT]Where stories live. Discover now