• Prolog •

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FRÜHER

Ich brach mir den Arm, als ich mit fünf Jahren das erste Mal einfach so einschlief.
Damals war ich mit Teo und zwei meiner älteren Brüder auf dem Spielplatz an der Straßenecke gewesen. Mateo und ich kletterten auf dem Klettergerüst, Héctor und Abelardo bauten Mist auf der Rutsche, in dem sie Frösche und kleine Molche runterrutschen ließen. Meine Brüder waren damals elf und zwölf Jahre alt und Teo und ich waren schon immer "zu jung" gewesen, um bei ihnen mitzuspielen. Abelardo und Héctor hatten immer die Angewohnheit, Teo und mich zu ärgern. Entweder steckten sie uns irgendwelche Insekten ins T-shirt, bewarfen uns mit Sand oder rüttelten solange am Klettergerüst, bis einer von uns herunterfiel. Eigentlich war es ein Wunder, dass Teo und ich uns vorher noch nie irgendwas gebrochen hatten.
Aber an diesem Tag, es war im Sommer an einem Samstag gewesen, hatte weder Héctor noch Abel etwas mit dem Unfall zutun, auch wenn Mamá erst dachte, die beiden hätten uns dazu gezwungen, den Mund zu halten und irgendetwas anderes zu erzählen.

Jedenfalls waren Teo, Héctor, Abel und ich an diesem Tag, wie fast jeden Tag im Sommer, auf dem Spielplatz gewesen. Auch an diesem Tag kletterten Teo und ich barfuß auf dem Klettergerüst herum. Manchmal taten wir so, als wäre das Klettergerüst unser Schiff und der Sand das Meer und wir Piraten, die nach neuer Beute Ausschau hielten. An diesem Tag waren Teo und ich Edmund Hillary und Tenzing Norgay, als sie vor 30 Jahren als erste Menschen den Mount Everest bestiegen. Abelardo und Héctor waren in den Büschen verschwunden und quälten wahrscheinlich eine Ameisenkolonie.

Viel mehr weiß ich nicht mehr. Ich kann mich nur noch daran erinnern, dass Teo von oben auf einmal meinen Namen geschrien hat. "Milo!", hat er panisch gerufen. "Milo, Emiliano!"
Aber da war es schon zu spät gewesen. Als ich ein paar Minuten später wieder aufwachte, schwebten die Köpfe meiner Brüder und Teo über meinem Gesicht. Abel war so blass gewesen, dass ich ihn fast nicht wiedererkannt hatte. Héctor hatte nichts gesagt. Und er hatte immer irgendwas zu sagen. Und Teo. Mateos Gesicht war voller Tränen gewesen, eine Träne war auf meiner Hand gelandet. Daran kann ich mich noch erinnern.
Und dann kam der Schmerz. Dios mío, ich hab noch nie so einen Schmerz gespürt. Er war wie tausend kleine Nadeln, die gleichzeitig in meinen Arm stachen. Es hatte sich fast so angefühlt, wie als wenn Abel mal wieder zwei Hände auf meinem Arm gelegt und sie dann in die entgegengesetzte Richtung gedreht hätte. So, nur tausendmal schlimmer.
Ich hatte mit Tränen in den Augen auf meinen rechten Arm runtergeschaut. Abel, Héctor und später auch Teos Blick waren meinem gefolgt und alles woran ich mich erinnern kann, war dieses halb angeekelte, halb geschockte Stöhnen von Héctor, bevor alles schwarz wurde.

Ich war ein paar Stunden später mit einem Gips von meiner Schulter bis zur Hand im Krankenhaus aufgewacht. Abelardo, Héctor, mein anderer großer Bruder Jaime und Teo standen auf der einen Seite des Bettes, meine Mamá, mein Papá und meine damals noch dreijährige Schwester María standen auf der anderen Seite.

"¡Dios mío, Emilo! ¿Estas loco? Dir hätte sonst was passieren können!", hatte meine Mamá sofort losgedonnert.

Bevor ich überhaupt antworten konnte, sprang Abelardo für mich ein. "No Mamá, das war nicht seine Schuld."

"No Mamá, das war nicht seine Schuld", stimmte Héctor leise zu, der seine Sprache wiedergefunden hatte. "Mateo sagt, er ist eingeschlafen."

"Eingeschlafen? ¡No es posible! Ich lasse euch nie wieder alleine auf den Spielplatz!"

Während meine Brüder mit meinen Eltern über meinen Kopf hinweg stritten, suchte ich Teos Blick. Er sah nicht gut aus. Die Spuren getrockneter Tränen waren noch immer auf seinen Wangen zu sehen. Ich schenkte ihm ein Lächeln, Teo erwiderte es zögernd.
Er nahm meine Hand und mir ging es wieder gut.

One Night Is All He WantedWhere stories live. Discover now