• Twelve •

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Óscar wohnt in dem wohlhabenderen Teil der Stadt.
Mamá kennt seine Mutter und hat mir die Adresse aufgeschrieben.
Die Häuser hier sind alle groß und weiß, die Vorgärten gepflegt und fast überall stehen Autos vor den Garagen.
Es ist ein ungewohnter Anblick.

Óscars Haus ist mittendrin. In dem Beet vor dem weißen Zaun blühen verschiedene farbige Blumen, an der weißen Hauswand lehnen zwei Fahrräder und zwei große Blumentöpfe stehen vor der Haustür.
Ich laufe über den Kiesweg zur Haustür und habe Angst, dass ich ihn mit meinem Schuhen verschmutze.

Ich klingel und die Tür geht fast sofort auf. Ein jüngeres Mädchen steht vor mir, ihre langen schwarzen Haare in zwei Zöpfen zurückgeflochten.
Ich kenne sie aus der Schule, sie ist zwei Stufen unter mir.

"¿Eres un amigo de Óscar?", fragt sie.

Ich weiß nicht, was ich darauf antworten soll. Ich bin kein Freund von Óscar.

"Um... no", sage ich die Wahrheit. Camila schaut ein wenig verwirrt drein. "Aber kann ich trotzdem zu ihm?"

"Sí, claro", sagt sie und öffnet die Tür ein wenig. Camila zeigt nach oben. "Er ist in seinem Zimmer. Einfach die Treppe hoch und dann rechts, die erste Tür."

Ich gehe die schmale Holztreppe hinauf und versuche mir zu überlegen, was ich Óscar gleich sagen werde. Ich weiß es nämlich nicht.

Aus der besagten Tür dröhnt lautet Musik. Es ist irgendein rockiger Song den ich nicht kenne.
Als ich anklopfe, hört Óscar mich nicht. Ich versuche es nochmal, aber es erfolgte keine Reaktion.
Ich lege meine Hand auf den Türknauf und drehe ihn einmal herum. Die Tür springt mit einem leisen Klicken auf.
Ich schaue vorsichtig ins Zimmer und sehe Óscar auf dem Bauch auf seinem Bett liegen, seine Füße schweben in der Luft und sein Blick liegt auf dem Notizbuch vor ihm. Er hat einen Stift in der Hand.

"Mila, wenn ich schon nicht aufmache, dann will ich verdammt nochmal-"
In dem Moment schaut er hoch und seine Augen weiten sich überrascht. Er lässt den Stift fallen.

"Nicht Camila", lächel ich nervös. Vielleicht hätte ich nicht herkommen sollen.

Im Bruchteil einer Sekunde klappt Óscar das Heft zu und springt vom Bett. Er steht vor mir reibt sich unsicher den Nacken.

"'Tschuldigung", murmelt er. "Ich dachte du wärst-"

"Schon gut", rede ich ihm dazwischen. "Ich kann auch wieder gehen, ich wollte nicht-" Ich mache einen Schritt nach hinten und will wieder durch die Tür verschwinden, aber Óscar schnellt hervor und greift nach meinem Arm.

"No, no", sagt er schnell. "Bleib hier. Ich bin froh, dass du hier bist." Er lässt meinen Arm wieder los und klopft auf das Bett. "Setz dich, ich hol was zu trinken."

Bevor ich was dagegen sagen kann, ist Óscar aus dem Zimmer verschwunden. Ich starre etwas überwältigt auf den Nachttisch. Dann schüttel ich meinen Kopf und setze mich auf Óscars Bett.

Óscar hat ein schönes Zimmer. Es war in einem hellen Blau gestrichen, das Fenster über dem Schreibtisch ist groß und durchflutet das Zimmer mit Licht. An den Wänden hängen eine Menge Bilder.
Alle von ihm.
Ich kann es an der Unterschrift unter jedem Bild sehen, die mir vorher schon im Skizzenbuch aufgefallen ist.

Die Tür öffnet sich wieder und Óscar kommt herein. Er trägt ein Tablett mit zwei Gläsern und einer Glaskaraffe mit Orangensaft. Óscar stellt das Tablett auf seinen Schreibtisch und füllt beide Gläser auf.

Plötzlich flucht er leise.
"Mist, hast du hunger? Ich hab überhaupt nicht an Essen gedacht, ich geh nochmal runter."

"No, warte", sage ich, als Óscar schon halb aus der Tür verschwunden ist. "Ich hab keinen Hunger."

Sein Kopf erscheint wieder durch den Türspalt. "Wirklich nicht?"

"No", schüttel ich den Kopf.

Óscar kommt wieder herein und schließt die Tür hinter sich. "Tut mir Leid, ich bin Besucher nicht gewohnt."
Er dreht sich von mir weg, um mir mein Glas zu holen, aber ich kann sehen, wie sich ein leichter Rotschimmer auf seine Wangen legt.

"Ich bin es nicht gewohnt, Leute zu besuchen."

Óscar lächelt. Ich muss auch lächeln.

Er setzt sich zu mir auf das Bett und schaut mich neugierig an. "Und? Warum wolltest du deine Gewohnheiten durchbrechen?"

Ich nehme einen Schluck von meinem Glas, um nicht sofort antworten zu müssen.
Ich versuche etwas zu finden, was ich sagen kann, aber als es zu lange dauert, sage ich einfach in Wahrheit.

"Ich wollte dich sehen."

Óscar schaut ein wenig überrascht.
"Oh? Hast du dir mein Skizzenbuch angeschaut?"

Ich nicke. "Du bist echt gut."

"Oh. Danke."

"Ich mag das Bild von heute am Liebsten."

"Wirklich? Diesmal hat es nicht lange gedauert, dich zu zeichnen. Ich weiß deine Gesichtszüge fast auswendig."

Ich schaue ihn an und er betrachtet mein Gesicht, als würde er in Gedanken einen Stift halten und meine Gesichtszüge nachzeichnen.
Normalerweise mag ich es nicht, angeschaut zu werden.
Aber bei Óscar macht mir das nichts aus. Er schaut mich an, als wäre ich ein Kunstwerk.
Ich mag das.

"Ich habe nicht gewusst, dass du mich zeichnest."

"Ich mag es, dich zu zeichnen. Ich finde dich faszinierend." Er sagt das so, als wäre es nicht komisch, mich faszinierend zu finden. Als wäre das was normales.

"Warum?"

"Ich weiß nicht. Du hast etwas an dir. Du bist ein Träumer, ¿verdad? Genau wie ich."

"Wovon träumst du?"

"Von der Welt da draußen. Von den Dingen, die ich noch nicht gesehen habe. Irgendwann werde ich sie alle sehen. Wovon träumst du?"

"Ich weiß es nicht", sage ich ehrlich. Dann schaue ich aus dem Fenster. "Von da oben", zeige ich in den Himmel. "Von den Sternen, von den Planeten."

"Das ist eine schöne Vorstellung", lächelt Óscar.

"Ich wünschte nur, ich könnte das wahr werden lassen", seufze ich.
Mir fällt auf, wie leicht es mir fällt, mit Óscar zu reden. Er ist nicht voreingenommen. Er ist nicht einer dieser coolen Jungs, die sich über meine Schlafattacken witzig machen.
Er scheint sich wirklich für das zu interessieren, was ich sage.
Er scheint sich für mich zu interessieren.

"De acuerdo, mira... Ich habe zwar keine Rakete für dich, aber wir haben auf dem Dachboden noch ein Teleskop liegen. Wenn du möchtest, können wir uns abends mal treffen und ein bisschen in den Himmel schauen."
Óscar sieht unsicher aus. Fast so, als würde er befürchten, dass ich ihm absage.
Dabei hat er keine Ahnung, wie glücklich er mich damit gemacht hat.

Ich fange an zu strahlen und Óscars Gesichtszüge entspannten sich.
Er lächelt schief und in diesem Moment war ich mir sicher, dass Mädchen ihn hübsch finden.

One Night Is All He WantedWhere stories live. Discover now