• Six •

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"Teo!", rufe ich ihm zwei Wochen später hinterher, als ich ihn aus dem Hinterausgang der Schule laufen sehe. Ein Glück ist von Elena keine Spur zu sehen. Sonst ist sie immer mit ihm.
"Mateo, warte."

Ich weiß nicht genau wie, aber ich schaffe es, dass er stehenbleibt.
Die Sonne scheint erbarmungslos auf uns hinunter. Ich kann den heißen Asphalt durch die Sohlen meiner Schuhe spüren.

Ich habe ihn noch nicht ganz eingeholt, als er plötzlich etwas sagt. "Teo." Er sagt es so leise, dass ich ihn fast nicht verstanden habe.

"Was?", frage ich. Ich bleibe mit einem gewissen Abstand hinter ihm stehen. Weiter traue ich mich nicht.

Teo dreht sich um und ich habe plötzlich Angst, ihm ins Gesicht zu sehen. Was ist, wenn ich da etwas finde, das ich nicht sehen will?
Aber außer die vertrauten und doch irgendwie fremden dunklen Augen sehe ich nichts.

"Du hast Mateo gesagt. Das ist falsch, das weißt du."

Wir haben seit über zwei Wochen nicht geredet und das ist es, was er sagt.

Teo hat die Hände in den Taschen seiner kurzen Shorts vergraben. Ich kann sehen, dass er sie zu Fäusten geballt hat.

"No. Mí amigo se llama Teo. Du bist nicht mein Freund."

Seine Gesichtszüge fallen schlagartig und ich fühle mich schlecht, dass ich das gesagt habe. Aber es ist die Wahrheit, dieser Teo ist nicht mein Freund.
Teo schaut weg und ist einen Moment lang still. Ich kann sehen, wie er schluckt.
Ich will mit ihm reden. Ich will wissen, warum.
Aber plötzlich ist es, als hätte mir jemand den Hals zugeschnürt.
Ich mag dieses Gefühl nicht.

"Tut mir Leid, Milo. Wirklich." Er schaut mich wieder an und ich sehe seine dunklen Augen mit Tränen glitzern.
Ich werde wütend. Wenn es ihm wehtut, warum macht er das?

"Ich kann das nicht mehr", sagt er. "Ich kann nicht darüber reden. Es tut mir Leid." Er schüttelt den Kopf und dreht sich um. Er geht weg.
Ich werde noch wütender.
Ich bin sonst nie wütend.

"Was hab ich getan?", rufe ich ihm hinterher. Mein Atem geht schwer.

Teo bleibt kurz stehen. Er hebt den Arm und wischt sich über die Augen.
"Nichts, Milo. Das ist nicht deine Schuld. Quédate como estás, por favor."

Bleib bitte, wie du bist.

Warum hört sich das an, wie ein Abschied? Ich bin nicht bereit, mich von ihm zu verabschieden. Nicht jetzt, nicht für immer.

"Bin ich dir egal?", frage ich.

"Egal?", lacht Teo gequält und das Geräusch bricht mir das Herz. Ich wusste nicht, dass Worte sowas können. "Du wirst mir nie egal sein, Milo."

"Warum bist du dann so?", frage ich frustriert und kämpfe plötzlich mit den Tränen. Jetzt weiß ich, wie Teo sich an dem Tag im Bus gefühlt hat. Er gleitet mir gerade durch die Finger, ohne dass ich etwas dagegen tun kann. Wie Sand.

Teo dreht sich endlich wieder zu mir um. Ich mag es nicht, wenn er mir den Rücken zudreht.
Seine Wangen sind mittlerweile nass und ich verstehe ihn nicht.
Ich verstehe ihn nicht.

Teo schaut mich an und sagt nichts. Ich sage auch nichts, denn ich habe Angst. Ich habe Angst, dass ihn ein Wort von mir wieder wachrüttelt.
Aber das passiert nicht. Er geht nicht weg.
Er kommt plötzlich auf mich zu.
Ich weiß nicht, warum ich nervös werde. Teo und ich waren uns schon unzählige Male näher.
Aber irgendwas ist jetzt anders.

Er kommt direkt vor mir zum Stehen. Ich muss den Kopf leicht nach hinten legen. Teo war schon immer größer als ich. Ich spüre seinen Atem in meinem Gesicht.
Dann lehnt er sich vor und berührt mit seiner Stirn ganz kurz meine. Wie der Flügelschlag eines Schmetterlings.

"Lo siento, Milo", wispert er.

Ich kann spüren, wie meine Knie plötzlich nachgeben. Nicht wegen ihm, nicht wegen seiner Nähe.
Ich falle in mich zusammen wie ein Häufchen Elend.
In dem unpassensten Moment schlafe ich einfach ein.

Als ich wieder aufwache, liege ich nicht auf dem Asphalt, wo ich eigentlich eingeschlafen bin.
Ich liege auf weichem Gras, unter meinem Kopf liegt eine dunkle Sweatjacke. Zusammengeballt, wie ein Kissen.
Das ist Teos Jacke.

Ich stehe auf und ziehe mir die Jacke nach kurzem Zögern über. Mir ist nicht kalt. Ich will ihn nur ein bisschen spüren. Und wenn es durch seine Jacke ist.
Sie riecht nach ihm. Mein Lieblingsgeruch. Er erinnert mich immer an die Zeiten, als wir noch klein und naiv waren und mit Abel und Héctor auf dem Spielplatz spielten. Er erinnert mich an die Zeit vor der Narkolepsie.

Ich laufe nach Hause, alleine. Meine Mamá öffnet mir die Tür und fragt nicht einmal mehr, wo Teo ist. Sie hat vor ein paar Tagen aufgegeben.
Als sie die Jacke sieht, hebt sie eine Augenbraue. Aber sie sagt nichts und ich bin froh darüber.

Ich bin den ganzen Tag am Überlegen, ob ich Teo die Jacke wieder zurückgebe. Es ist seine, das weiß ich.
Aber Teo hat mir immer noch nicht gesagt, was los ist. Was mit uns passiert ist, warum das mit uns passiert ist.
Ich kann das nicht mehr, hat er gesagt.
Was kann er nicht mehr?
Für mich dasein, wenn ich einschlafe?
Ich wünschte, ich könnte ihm sagen, dass mir das egal ist. Ich will ihn einfach nur an meiner Seite haben. Er muss mir nicht helfen oder auf mich aufpassen. Das habe ich nie von ihm verlangt. Mir reicht es, wenn er bei mir ist.

Als ich am Abend ins Bett gehe, hängt Teos Jacke immer noch über meinem Bett.

Ich werde es ihm morgen sagen. Dass er nicht für mich dasein muss, wenn ich einschlafe.

One Night Is All He WantedWhere stories live. Discover now