Kapitel 1

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Candra schlich durch die Nacht. Es war stockdunkel, trotz des angekündigten Vollmondes konnte man wegen den dicken, dunklen Wolken am Himmel seine Hand vor den Augen nicht erkennen. Bald würde es regnen, wenn nicht sogar gewittern, das war sicher. Ihre Taschenlampe warf einen schwachen Lichtkegel über das Gestrüpp und zog immer mal wieder eine Motte an, die das weite suchte, als Candra sie mit ihrem Messer verscheuchte. Wie weit konnte denn die entlegene Jagdhütte noch entfernt sein? Die Beschreibung war recht gut gewesen, doch der dichte Wald machte es ihr fast unmöglich auf dem Trampelpfad zu bleiben, dem sie folgen sollte. Leise fluchte das Mädchen vor sich hin, während sie sich immer wieder die dunkelbraunen Haare aus dem bleichen Gesicht streichen musste. Langsam wurde es windiger und die Bäume bogen sich hin und her. Ausgerechnet heute sollte es einen Sturm geben. Aber es war nun mal Vollmond und das Wesen, das Candra jagte, kam in diesen Nächten zum Vorschein. Endlich erkannte sie ein Gebäude im Wald. Während die Äste der Bäume immer mehr hin und her geschleudert wurden, stand dieses Haus fest und solide, nichts bewegte sich daran. Der Kegel der Taschenlampe glitt über das steinerne Fundament und die Wände aus dicken Baumstämmen. Es war eine Waldhütte wie aus einem Horrorfilm, um das Gebäude herum gab es nur Tannen und Laubbäume, die ihre knochigen Äste dem Himmel entgegen streckten. Durch den Herbst, der dieses Jahr besonders früh begonnen hatte, waren die meisten Bäume schon kahl, was sie in der Dunkelheit wie große Skelette wirken lies. Candra hatte keine Angst, oft war sie schon alleine im Wald gewesen. Ein mulmiges Gefühl hatte sie dabei immer im Magen, aber daran musste man sich als Jäger schon gewöhnen. In der Hütte brannte kein Licht, aber Candra war sich sicher, dass jemand dort war. Sie spürte einen beobachtenden Blick hinter den dunklen Fenstern, wie ein Tier, das seine Beute mustert. Das braunhaarige Mädchen war sich sicher, dass dort der Werwolf wartete, den sie schon eine ganze Wochen verfolgte. Immer wieder war er ihr entwischt und in die verschiedensten Städte geflohen. Kaum war sie selbst dort angekommen, war er meist schon weiter. Doch die Verfolgungsjagd sollte nun endlich ein Ende gefunden haben. Aus sicheren Quellen wusste sie, dass der Werwolf hier in Riverton eine Hütte geerbt hatte, weit draußen im Wald. Nachdem sie ihn in der Stadt nicht auffinden konnte, war ihr klar, dass er den nächsten Vollmond hier verbringen würde. Auch wenn er hier oben keine Menschen finden würde und sich wahrscheinlich genau deshalb hier niedergelassen hatte, hatte er schon zu viele Menschenleben auf dem Gewissen als das Candra ihn laufen lassen wollte. Der Blick haftete immer noch auf ihr, als sie tief Luft holte und mit einem beherzten Tritt die Tür öffnete. Ein dunkler Raum lag vor ihr, die nackte Glühbirne an der Decke war entweder nicht eingeschaltet oder hatte schon vor Jahren den Geist aufgegeben. Das Mobiliar war passend dazu kaum vorhanden, der kleine Schrank in der Ecke wirkte als fiele er gleich auseinander, ebenso wie das Bett an der Wand, welches nur mit einem dünnen Leinentuch bedeckt war. Das Licht der Taschenlampe wanderte durch den Raum und blieb auf einem bräunlichen Fell in der anderen Ecke hängen. Als Candra ihre Taschenlampe nach oben bewegte, traf der Lichtstrahl auf zwei gelbe, starre Augen und ein fieses, tierisches Grinsen. Ihr Herz setzte kurz einen Schlag aus, der Gesichtsausdruck des Monster zeigte ihr, dass es nur auf sie gewartet hatte. Speichel tropfte von seinen langen Zähnen und bildete auf dem Boden eine kleine Pfütze. Einige Sekunden harrten sie so aus, starrten sich gegenseitig in die blitzenden Augen. Doch mit einem Mal sprang der Werwolf auf das Mädchen zu, das glücklicher Weise auf den Angriff vorbereitet war und sich zu einer Seite abrollte. Krachend sprang das Monster durch die viel zu kleine Öffnung der Tür. Holz splitterte in alle Richtungen. Candra lag auf dem Boden, doch rappelte sich schnell wieder auf um ihr Messer zu werfen. Es war aus reinem Silber und sollte es den Werwolf ins Herz treffen, konnte er nichts mehr gegen seinen Tod ausrichten. Doch so gut sie auch im Messerwerfen war, der Dolch verfehlte sein Ziel und fügte dem Werwolf nur eine große Schnittwunde am Arm zu. Er heulte auf, das Silber schien zu wirken, doch mehr als eine Wunde war nicht entstanden. Es hatte ihn nur noch wütender gemacht. Aus ihrem Gürtel zog sie ein zweites Messer und stach zu, als der Werwolf erneut auf sie zu stürmte. Blut floss aus einer weiteren Wunde an der Schulter, die dieses Messer verursacht hatte. Auch wenn es ihm große Schmerzen bereitete, zog er das Messer mit seinen Pranken heraus und warf es auf den Boden. Die Taschenlampe hatte Candra zu Boden fallen lassen, in der Dunkelheit erkannte sie gerade so die Umrisse des riesigen Monsters, welches etwa doppelt so groß war wie sei selbst, und seine gelben Augen. Sie waren zusammengekniffen und voller Hass. Ein drittes Messer flog durch die Luft, doch ein einfacher Hieb mit der Klaue reichte aus, um auch dieses in die Dunkelheit des Waldes zu schleudern. Er heulte erneut auf, doch fletschte die Zähne, als er Candras Entsetzen darüber sah. Normalerweise brannte Silber bei diesen Monstern so auf der Haut, dass sie es nicht anfassen wollten. Dieser Werwolf war stärker als gedacht, er schien das Silber auszuhalten, auch wenn es ihm Schmerzen bereitete. Das dickflüssige Blut färbte sein Fell rötlich, doch es schien in nicht zu kümmern. Er war kaum geschwächt und jetzt waren auch noch alle Messer weg, die sich bei sich hatte. Auf dem schmutzigen Waldboden waren sie nicht mehr zu finden, der verhangene Mond trug auch nicht gerade zur guten Sicht bei. Candra verfluchte sich selbst in Gedanken, sie hätte mehr Waffen mitnehmen sollen. Schießen konnte sie nicht, hatte sie noch nie gekonnt, aber mit Messern, Dolchen und allem was dem ähnlich war konnte sie gut umgehen. Wieso war sie nur so überstürzt aufgebrochen als sie von der Waldhütte erfahren hatte? Mit den Augen suchte sie nach den Messern im Gestrüpp, doch sie hätte ihre Blicke lieber auf dem Monster belassen sollen. Im nächsten Moment spürte sie messerscharfe Krallen in ihrer Brust und wurde zu Boden gedrückt. „Anfängerfehler." dachte sie noch, bevor sie auf dem Boden aufschlug und nur noch das verschwommene Bild des hämischen, animalischen Grinsens vor ihr sah. Ein Schuss hallte durch die Nacht, trotz des Sturmes der nun immer mehr Äste abknickte und sie durch die Gegend schleuderte, bis sie mit einem dumpfen Geräusch ins Gebüsch fielen. Candra konnte nur noch verwundert ihre Stirn runzeln, bevor ihr schwarz vor Augen wurde, schwärzer als die dunkle Nacht um sie herum.

Als sie wieder wach wurde konnte sie ihre Augen kaum öffnen, so hell war es an dem Ort wo sie war. Als sie es endlich geschafft hatte und sich ihre Augen an das Licht gewöhnt hatten, erkannte sie, dass es nicht von einem gleißenden Licht am Ende eines Tunnels kam, so wie sie es vermutet hatte, sondern von einer weißen Wand vor ihr und dem unglaublich intensiven Licht einer Deckenlampe. Ihr Blick fiel auf ihren eigenen Körper, der in einen Kittel gehüllt unter einer dünnen Decke auf einem Bett lag. Allein das Bett, der Kittel und auch ihr verbundener Körper deuteten auf ein Krankenhaus hin und als sie dann auch noch den Mann sah, der gerade zur Tür herein gekommen war, verhärtete sich dieser Verdacht. „Guten Tag, Miss Livgren. Schön, dass Sie endlich aufgewacht sind." sagte der Arzt und reichte ihr freundlich die Hand. Sie nahm sie etwas verwirrt an. Miss Livgren? Das war sicher nicht ihr Name, auch wenn sie ihn kannte. Wer hatte sie nur hier eingeliefert? Das letzte woran sie sich erinnern konnte waren die Klauen des Werwolfs in ihrem Leib und seine glühenden Augen vor ihrem Gesicht. Sie schwieg und versuchte ein Lächeln, doch der Arzt sprach direkt weiter. „Ich bin Dr. Holzman, ihr Arzt. Der Bär hat sie wirklich schlimm erwischt, aber die Operation ist sehr gut verlaufen. Sie könne heute bereits nach Hause gehen, wenn Sie wollen. Haben Sie noch Schmerzen?" sagte er. Er war ein hochgewachsener Mann mit dunkelblonden, kurzen Haaren und wirkte in seiner ganzen Erscheinung professionell. „Danke, es geht." murmelte Candra nur, immer noch ein wenig verwirrt. „Sehr gut. Ich sehe mir noch ein Mal die Nähte an, dann sage ich ihren Brüdern Bescheid." „Brüder?" fragte Candra, während der Arzt die Einstichstellen der Werwolf-Klauen unterhalb ihres linken Schlüsselbeins untersuchte, knapp über dem Herzen. Ein weißer Faden hatte die Wunden verschlossen und sie vom Verbluten gerettet, tatsächlich hatte sie sonst kaum Verletzungen. Ihr Hinterkopf schmerzte ein wenig und an ihrem Arm zeichneten sich einige blaue Flecken ab, doch ansonsten schien alles in Ordnung zu sein. „Ja, Sie haben ganz wundervolle Brüder. Hätten die Beiden Sie nicht gefunden und sofort hierher gebracht, hätten Sie vielleicht nicht überlebt." Er zog den Kittel wieder über die Wunde. „Sehr schön, Sie kommen bitte in einer Woche her um die Fäden ziehen zu lassen, in Ordnung? Dann können Ihre Brüder sie gleich mitnehmen." Candra nickte. „Sehr schön." sagte Dr. Holzman und nickte ihr zum Abschied zu, bevor er den kleinen Raum durch eine Tür, die ebenso weiß war wie die Wand, verließ. Er sprach draußen etwas und bekam auch eine Antwort, was es genau war konnte Candra jedoch nicht verstehen. Candra nutzte die Gelegenheit und schwang sich aus dem Bett. Ihr war etwas schwindelig, die schnelle Bewegung tat ihrer Gehirnerschütterung nicht besonders gut. Mit einigen schnellen Schritten war sie beim Fenster und wollte es öffnen. Sie war zum Glück in einem Zimmer im ersten Stock des Krankenhauses, einen Sprung aus dieser Höhe würde sie verkraften. Sie hatte ja keine Brüche durch den Werwolf erlitten, was wirklich ein Glücksfall war. Auch wenn sie ihren Helfern danken sollte, musste sie bestimmt viele Fragen beantworten. Es war besser wenn sie verschwinden würde, dachte sie sich. „Willst du uns nicht lieber danken statt zu verschwinden?" hörte sie in diesem Moment eine tiefe Stimme und sie hielt in ihrer Bewegung inne.

Herzräuber (Supernatural Fanfiction)Where stories live. Discover now