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"Familie, Pflicht und Ehre" - G.R.R Martin

Chatsworth House, 1939

Durch die große, reichverzierte und sehr schwere Holztür hindurch, konnte ich noch immer, die erhitzen Stimmen meiner Eltern hören, die nun schon seit fast einer Stunde im Salon stritten. Es ging um irgendetwas politisches, das ich nicht ganz nachvollziehen konnte, vor allem da sie sich offenbar über die Politik der Muggel unterhielten. Und dennoch trübte es diesen wundervollen Sommertag. Die Sonne stand hoch am Himmel und ich war mir ziemlich sicher, dass mein Bruder und meine Schwester im Labyrinth Verstecken spielten. Normalerweise hätte ich mich ihnen sofort angeschlossen, wenn ich heute Morgen nicht Post bekommen hätten. Nicht nur, dass es das erste Mal in meinem Leben war, dass ich einen Brief bekommen hatte, der ganz alleine an mich gerichtet war, denn die unzähligen Einladungen zu Sommer und Winterfesten zählten nicht, denn Kinder wurden dazu nur aus Höflichkeit eingeladen und waren eigentlich nicht erwünscht. Nein, es war ein Brief nur für mich alleine und obwohl ich den Inhalt des Schreibens bereits an der wunderbaren, verschnörkelten Handschrift, die meinen Namen formulierte, und dem roten Sigel, erahnen konnte. So ließ ich es mir dennoch nicht nehmen, den Brief eigenhändig mit dem goldenen Brieföffner meines Vaters zu öffnen.

Es war meine Einladung nach Hogwarts, die Schule für Hexerei und Zauberei. Zusammen mit meiner Bücherliste und allerhand anderer Sachen, die ich benötigen würde. „Es war doch klar, dass du den Brief bekommen würdest", erwiderte Nigel, mein Bruder, nachdem ich ihm den Inhalt ungefähr zehnmal vorgelesen hatte. „Vielleicht bin ich ja eine Squib, hätte doch sein können", erwiderte ich ihm empört, denn für mich war der Brief noch immer ein kleines Wunder. „Ja klar und meine Haare waren letztes Jahr ganz zufällig leuchtend rot, nachdem wir uns gestritten hatten und das natürlich genau an dem Abend, an dem ich zum Dinner bei den Percys eingeladen war", argumentierte meine Schwester Sarah, die bis dahin aufmerksam ihre Bücherliste studiert hatte. „Also ich würde jetzt gerne noch ein wenig den schönen Tag genießen, bevor wir wieder mit Lernen beschäftigt sind. Wer hat Lust in den Garten zu gehen?", schlug meine andere Schwester, Mary, daraufhin vor, die ihre Liste zwar kurz angeschaut hatte, aber sie dann beiseitegelegt hatte. Nigel sprang sofort auf, er war schließlich immer für ein Abenteuer in der Natur zu begeistern war. Jedoch zögerte Sarah kurz, ehe sie dann dankend ablehnte. Sie hatte kaum noch Zeit für irgendetwas das Spaß machte, seitdem sie siebzehn geworden war und wenn man sie danach fragte, mit was sie den ganzen lieben langen Tag beschäftigt war, meinte sie immer, dass sie nun sowohl Verantwortung in der Zaubererwelt hatte, als auch in der Muggelwelt. Ich war mir ziemlich sicher, dass sie damit ihr Debüt am Hofe meinte, auf dass sie sich im nächsten Jahr vorbereiten musste und worüber sie immer sagte: „Ich habe ja leider nicht so viel Zeit mich darauf vorzubereiten, wie diese ganzen muggelstämmigen Mädchen".

Auch ich lehnte Marys Einladung zum Spielen ab, da ich Mutter sofort fragen wollte, wann wir in die Winkelgasse gehen würden, um die Einkäufe für Hogwarts zu erledigen. Zwar wusste ich, dass das normalerweise die Bediensteten erledigten, allerdings brauchte ich ja einen Zauberstab, den mir wirklich niemand anderes besorgen konnte und außerdem schenkte Vater jedem von uns ein Tier, das wir mit nach Hogwarts nehmen durften. Nigel hatte auf seins damals verzichtet, da er meinte, dass wir sowieso genügend Eulen in Hogwarts und unserer privaten Eulerei hier in Chatsworth House hatten und hatte sich stattdessen lieber einen Besen gewünscht. Sarah hatte sich damals eine große Schleiereule ausgesucht, die sie dann Darcy genannt hatte, nach unserer Urgroßmutter. Leider wurde nur ein Jahr später unsere Cousine auch Darcy genannt, die keiner leiden kann und seitdem heißt ihre Eule nur noch Darc. Mary hingegen hatte sich eine ziemlich fette, grau-getigerte Katze gekauft, die den ganzen Tag auf einem Sessel im Hufflepuff Gemeinschaftsraum schlief.

Leider hatte ich nicht sehr großen Erfolg damit meine Mutter danach zu fragen, wann wir endlich aufbrechen würden. Denn noch bevor ich sie hatte sprechen können, informierte mich eine Hauselfin darüber, dass meine Eltern momentan nicht gestört werden wollten, weswegen ich im Ahnenzimmer wartete, bis sie endlich fertig waren, was ziemlich lange dauerte. „Bis die fertig sind, kann ich mich euch fast schon anschließen", grummelte ich vor mich hin, während ich vom Boden aus, auf den riesigen Wandteppich schaute, der unseren Familienstammbaum darstellte. Er war uralt und manche Zeichnungen und Namen verblasten bereits auf dem alten Stoff. Zudem musste er inzwischen erweitert werden, da auf dem originalen Stück niemand mehr Platz hatte. Dennoch musste ich offen zugeben, dass sich deutlich eine Linie von Merkmalen durch den Stammbaum der Cavendishs zog. Viele der dargestellten Personen, hatten goldenes Haar. Nicht jenes strohblonde Haar, das im Sonnenlicht golden schimmerte, sondern echtes, goldenes Haar, zumindest wirkte es so. Auch die Bilder meiner Geschwister, sowie mein eignes und das meiner Mutter waren mit diesem Merkmal gekennzeichnet, sowie es auch im echten Leben war. Sarah meinte immer, dass man dafür auf Bällen und bei Dinnern beneidet wurde, aber was interessierte es mich was irgendwelche Muggel dachten? Dennoch musste ich zugeben, dass dieses Merkmal langsam etwas verblasste, ab und zu trat es war noch häufiger oder stärker in Erscheinung, aber selbst die Haare meines Bruders glänzten nicht mehr so stark und gingen fast schon in einen bräunlichen Ton über, was vermutlich daran lag, dass Ehepartner „von außen" verschiedene Merkmale in unseren Stammbaum miteinfließen ließen. So war es zum Beispiel inzwischen soweit, dass ein Ast immer mehr schwarzhaarige Personen beinhaltete, da sie sich vor Generationen mit den Blacks verheiratet hatten und wo sich der Stammbaum mit den Malfoys schnitt, wurden unsere Haare immer hellblonder als golden. Auch ein anderes Merkmal ging immer mehr verloren, nämlich die golden schimmernden Augen, die früher anscheinend normal in meiner Familie gewesen waren. Doch heute hatte selbst meine Mutter haselnussbraune Augen und auch die meiner Geschwister waren allesamt braun, außer meine, die nach etlichen Generationen wieder einen starken, goldenen Unterton hatten, wofür mich Mary immer beneidete. Wohingegen Sarah immer sagte, dass sie froh war eine normale Augenfarbe zu haben, immerhin bekam sich manchmal schon komische Fragen, wegen ihrer Haarfarbe gestellt, auch wenn ich wusste, dass sie es liebte im Mittelpunkt zu stehen.

Eine Bewegung an der Tür riss mich aus meinen Studien und sofort erkannte ich das schwache Lächeln meiner ältesten Schwester: „Hier bist du also", meinte sie vergnügt, während sie sich neben mich auf den Boden setzte. Sarah war ziemlich groß und schlank und hatte ihre Haare jeden Tag zu einer aufwändigen Frisur nach oben gesteckt. Früher hatten ihr dabei immer die Hauselfen behilflich sein müssen, doch inzwischen durfte sie ja alleine zaubern. „Die beiden führen noch ein wichtiges Gespräch...es geht wohl um irgendeinen deutschen Mann...", erklärte ich ihr beiläufig, während ich meinen Blick wieder auf den alten Stammbaum richtete. Jedoch hätte ich schwören können, dass ich zuvor einen Schatten gesehen hatte, der über das Gesicht meiner ältesten Schwester gehuscht war. „Ja, dort drüben passieren zurzeit schlimme Dinge", erwiderte sie, doch ließ ihr Ton erahnen, dass sie dieses Gespräch nicht weiterverfolgen wollte, da ich mit meinen elf Jahren wahrscheinlich eh zu jung dafür war.

„Irgendwann wird unter deinem Namen auch Duchess stehen", versuchte ich das Thema zu wechseln und deutete auf das kleine Porträt unserer Mutter, unter deren normalem Namen zudem Duchess von Devonshire stand. „Ja und nein, vermutlich werde ich Duchess von Newcastle, was allerdings unser Blut verunreinigen würde, da Thomas nur ein Halbblut ist", dabei warf sie mir einen belustigten Blick zu: „Aber du weißt doch das Chatsworth House an Nigel geht und damit auch der Titel des Duke von Devonshire", meinte sie freundlich, doch ein Hauch von Trauer schwang in ihrer Stimme mit. Ich wusste, dass sie Chatsworth House liebte und bestimmt gerne seine Führung übernommen hätte, vor allem da Nigel alles andere als geeignet für den Titel des Dukes war. Er war einfach zu wild, zu unbesonnen und außerdem hatte er ständig irgendwelche Flausen im Kopf. „Aber du könntest Marquess werden", schlug Sarah mir vor. „Niemals, das wird doch davor noch Mary...", erwiderte ich, da ich nicht zugeben wollte, dass ich Jungs blöd fand. „Ich denke nicht, dass Mary auf diese Weise heiraten wird, wahrscheinlich sucht sie sich irgendeinen Rein oder Halbblüter und zieht sich voll und ganz in die magische Welt zurück", erkläre mir meine Schwester, weshalb ich sie verwundert ansah. Vermutlich konnte sie meine Verwirrung wahrnehmen, denn ohne zu zögern fuhr sie fort: „Mary hat vielleicht eine sanfte Seele, aber sie mag die Muggel nicht besonders, vermutlich hat sie sogar Angst vor ihnen. Und du siehst ja an unseren Eltern", dabei deutete sie auf die Tür, die zum Salon führte: „, dass sie sich nicht aussuchen können, ob sie Kontakt zur Muggelwelt haben oder nicht. Immerhin sind sie darin zu sehr verwickelt." „Aber ich kenne die Muggel doch auch nicht" „Oh im Grunde sind sie nicht großartig anders als wir, nur lösen sie ihre Probleme ohne Magie", doch noch bevor ich weiter nachhaken konnte, wurde die Tür zum Salon geöffnet. Zuerst trat eine große, schlanke Frau hinaus, deren goldenes Haar zu einem langen Zopf nach hinten geflochten war und kurz danach erschien ebenso großer Mann hinter ihr im Türrahmen, jedoch war sein dichtes, dunkelbraunes Haar bereits von grauen Strähnen durchzogen.

„Na sieh mal einer an wer hier sitzt", scherzte unsere Mutter, als sie Sarah und mich am Boden sitzen sah, weswegen wir uns beide augenblicklich erhoben. „Ich habe heute meinen Hogwartsbrief bekommen", erzählte ich voller Freude, weshalb das Lächeln auf Mutters Gesicht noch breiter wurde und auch mein Vater gab einen vergnügten Laut von sich. „Dann können wir ja endlich zusammen die Winkelgasse besuchen", erwiderte Mutter fröhlich, was meine Augen zum glänzen brachte. „Ohja! Gleich heute?", fragte ich, da ich es kaum abwarten konnte, endlich all die bunten Schaufenster zu sehen, von denen mir meine Geschwister bereits so viel erzählt hatten. „Lieber erst morgen, ich habe heute noch einiges zu tun und wie wäre es, wenn ihr zwei euch die Füße im Garten vertretet? Es ist so ein schöner Tag", schlug sie uns beiden vor, weswegen wir brav nickten. „Ich komme dann nachher raus und spiele eine Runde Quidditch mit euch", meldete sich mein Vater zu Wort und ich wusste genau, dass sich Nigel sicherlich darüber freuen würde. Bereits wenige Minuten später war ich in den Kieshof gerannt und schlug einen Weg in Richtung des Seepferdchenbrunnens ein. Ich wusste, dass irgendwo hinter mir auch Sarah war, jedoch wusste ich, dass sie niemals rennen würde, da es sich für eine Dame von Welt nicht schickte.

Afterglow - TOM RIDDLE Where stories live. Discover now