XII

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„Die menschliche Natur", fuhr ich fort, "hat ihre Grenzen: sie kann Freude, Leid, Schmerzen bis auf einen gewissen Grad ertragen und geht zugrunde, sobald der überstiegen ist." - J. von Goethe

Chatsworth House, 1943

Die letzten Stühle wurden gerade in Position gebracht, als ich in den wunderschönen Garten des Anwesens ging. Dicht gefolgt von Ane, der es sichtlich unangenehm war heute Abend anwesend zu sein. Denn meine Eltern gaben eine große Gartenparty und hatten darauf bestanden, dass Ane auch kommen sollte, das Problem war nur, heute Abend würden hauptsächlich wichtige Vertreter der Zaubererwelt anwesend sein, die fast alle Reinblüter waren. „Was ist, wenn mich jemand schikaniert?", hatte meine Freundin mich hundert Mal gefragt, während ich sie immer wieder vor den großen Spiegel in meinem Schlafzimmer zerren musste, damit sie ein Kleid nach dem anderen anprobieren konnte. „Dann bekommt er es mit mir zu tun", hatte ich daraufhin nur schlicht erwidert und ihr erneut ein Kleid gereicht, von dem ich dachte, dass es ihr eventuell gefallen könnte. Am Ende unserer Ankleidestunde hatten sich ihre Zweifel noch immer nicht vollends gelegt, aber wenigstens wollte sie am Anfang ein wenig an dem Fest teilnehmen, aber sehr früh ins Bett gehen. Immerhin hatte sie ein Kleid gefunden, das sie tragen wollte. Es war ein schlichtes schwarzes Kleid, zu dem sie schwarze Lackschuhe und etwas Perlenschmuck trug. Eigentlich hatte ich vorgehabt sie zu etwas pompöserem zu überreden, aber da sie sowieso nicht wirklich Spaß daran hatte, heute Abend da zu sein, wollte ich nicht auch noch riskieren, dass sie sich unwohl in ihrem Outfit fühlte. Ich hingegen hatte mich für ein himmelblaues Kleid entschieden, das mir bis knapp über die Knie ging, dazu trug ich schneeweiße Absatzschuhe und in meinen nach oben gesteckten Haaren hatte ich eine schöne Spange befestigt. Auch Ane hatte ich dazu überreden können, dass sie ihre Haare nach oben band, jedoch lösten sich bereits einige Haarsträhnen ihrer widerspenstigen Locken.

Um ehrlich zu sein freute es mich ziemlich auf den heutigen Abend, immerhin würde auch Evangeline anwesend sein und sie hatte mir erzählt, dass auch Abraxas Malfoy kommen würde, wobei sie ein vielversprechendes Lächeln aufgesetzt hatte. Zudem würden endlich mal wieder Mary und Sarah in Chatsworth House zu Besuch sein, denn Sarah verließ Alnwick Castle kaum noch und Mary war zu sehr mit ihrer Ausbildung, zur Heilerin in London, beschäftigt. „Das Sankt Mungo ist einfach fantastisch und die Arbeit macht mir sehr viel Spaß", schwärmte sie immer in ihren Briefen und natürlich freute ich mich für sie, dass sie ihre Bestimmung gefunden hatte, jedoch machte es mich traurig sie kaum noch zu sehen. Vor allem da Nigel zunehmend schlimmer wurde, manchmal bekam ich ihn tagelang nicht zu Gesicht, da er sich ständig in seinem Zimmer verkroch und dort auch sein Essen zu sich nahm und wenn er dann mal zu sehen war, hatte er dunkle Schatten unter den Augen und seine Haut wirkte seltsam fahl. Mutter hatte diese Veränderung ebenfalls bemerkt, aber als sie ihn darauf angesprochen hatte, hatte er sie nur mit den Worten: „Schulkram", abgewimmelt und hatte sich irgendwo versteckt. Selbst Quidditch schien ihm keinen Spaß mehr zu machen, denn normalerweise übte er in den Sommerferien immer stundenlang irgendwelche Spielzüge und neue Techniken, die er dann mit seiner Mannschaft ausprobieren wollte. Doch in diesem Sommer hatte er seinen Besen noch kein einziges Mal herausgeholt. Und auch sein Interesse an Mädchen hatte er komplett verloren, denn Eva erwähnte er mit keinem Sterbens Wörtchen mehr, was natürlich nicht schlimm war, da sie ja Abraxas hatte. Jedoch hatte uns diesen Sommer Grace Cunningham besucht, die augenscheinlich ziemlich für meinen Bruder schwärmte. Allerdings hatte er keine einzige Sekunde seiner wertvollen Zeit entbehren können, weswegen ich ewig lange mit ihr durch die Gärten gewandert war, wobei sie immer wieder hoffnungsvolle Blicke zu unserem großen Anwesen geworfen hatte, wohl in der Hoffnung Nigel würde doch noch erscheinen. Am Abend war sie dann mit Tränen in den Augen und fleckigem Gesicht wieder verschwunden und seitdem hatte niemand mehr was von ihr gehört. Vater hatte daraufhin gemeint es wäre nur eine Phase, allerdings machte ich mir Sorgen um ihn. Immerhin widersprach sein derzeitiges Verhalten vollkommen dem, was wir die letzten Jahre mit ihm erlebt hatten. Er war ein notorischer Herzensbrecher gewesen, der jedes Wochenende ein anderes Mädchen nach Hogsmeade ausgeführt hatte und zudem war das Glanzstück der Hausmannschaft von Gryffindor gewesen. Nun wusste ich nicht einmal mehr, ob er es in die Mannschaft schaffen würde, sofern er überhaupt versuchte. Zudem war mir neben den dunklen Schatten unter seinen Augen, auch aufgefallen, dass er stark an Gewicht verloren hatte, früher war er recht athletisch gebaut gewesen, doch nun sah ich deutlich, dass seine Hosen und Hemden ihm eigentlich viel zu groß waren.

Afterglow - TOM RIDDLE Where stories live. Discover now