22. Tür

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Ich werde mit dem Gefühl eines warmen Körpers an meinem wach. "Das ist viel besser als Bohnen.", brumme ich verschlafen und ziehe den Heizofen näher an mich heran. 

Ein lautes Schnauben lässt mich widerwillig meine Augen öffnen und in das belustigte Gesicht meines Freundes gucken. Nachdem gestern die Katze aus dem Sack gelassen wurde und wir meinen Eltern von unserer Beziehung erzählt haben, haben sie Magnus gnädigerweise erlaubt, mit mir zusammen in meinem alten Kinderzimmer zu schlafen.

"Hast du gerade wirklich meine unglaublich attraktive Nähe und Hitze mit der Wärme verglichen, die du von dir gibst, wenn du Bohnen isst?", leicht gekränkt zieht Magnus eine Augenbraue nach oben.

Ich lege gespielt nachdenklich meinen Kopf schief und berühre mit meinen Fingerspitzen die Haut auf seinem Arm. Als ich nach mehreren Minuten immer noch nicht geantwortet habe, zieht er mir liebevoll an den Haaren. "Das gibt es doch nicht. Zuerst würde er mich essen und jetzt vergleicht er mich mit einer stinkenden Masse von Luft.".

Bei unserem liebevollen Geplänkel breitet sich Hoffnung in mir aus und verscheucht die Angst der letzten paar Tage. Wenn er wirklich mit mir Schluss machen möchte, würde er doch jetzt nicht so mit mir scherzen.

"Alles in Ordnung bei dir?", fragt er mich leise. Seine Finger spielen mit meinem Haar. Ich lege meinen Kopf auf seiner Brust ab und lausche dem Klopfen seines Herzen. "Das Übliche.", weiche ich aus.

Mit einem ernsten Blick mustert Magnus mich. "Du lügst.", antwortet er mir schlicht. "Kann sein.", brumme ich, "Du verschweigst mir aber auch verschiedene Dinge.". Er hält in seiner Bewegung inne. "Das stimmt.".

Er zögert einen Moment und nur noch das Klopfen seines Herzens ertönt in meinem Ohr. "Ich möchte das zwischen uns nicht zerstören.", gesteht er mir leise ein, "Ich habe Angst. Was ist, wenn ich es ausspreche und nichts mehr so ist, wie es mal war?".

Ein Kribbeln breitet sich von meinem Nacken nach unten aus. "Ist es denn so schlimm?". In meinem Hals entsteht ein riesiger Kloß , der mir die Luft abschnürt. Ich bin mir nicht sicher, ob ich seine Antwort wirklich hören möchte.

"Für mich nicht.", flüstert er, "Aber ich habe Angst, dass du dich danach von mir distanzieren wirst. Vielleicht empfindest du es nicht genauso wie ich.".

Mein Herz setzt einen Schlag aus, bevor es schneller anfängt zu schlagen und regelrecht versucht aus meiner Brust zu fliegen. "Alexander. Versprich mir, egal was passiert, wir werden immer Freunde bleiben. Versprich es mir.". Ich kann die Angst in seiner Stimme hören. Er möchte unsere Freundschaft nicht zerstören.

Ein beklemmendes Gefühl breitet sich in mir aus. "Okay.", antworte ich ihm. Es ist alles andere als Okay. Sollte er sich von mir trennen und einfach nur wieder mein bester Freund sein wollen, wird es mir das Herz brechen. "Willst du wissen, was es ist?", fragt er mich. Seine Stimme kommt nur einen Windhauch gleich.

Gestern im Auto dachte ich noch, dass ich es lieber sofort wissen möchte. Doch inzwischen bin ich mir nicht mehr sicher. Das Gefühl seiner Haut auf meiner und in seinen Armen liegen zu können, lässt mich weich werden. Es benebelt regelrecht mein Gehirn und berauscht all meine Sinne.

Ich möchte nichts anderes, als die Zeit mit ihm zu genießen, die mir noch bleibt. Und wenn ich dafür die nächsten paar Tage in einer Fantasie - Blase leben muss, dann ist es eben so. "Nein.", antworte ich ihm, "Lass uns nach den Feiertagen drüber sprechen und die restlichen Tage über das ganze einfach genießen.".

Ich bin mir nicht sicher, ob Magnus erleichtert oder enttäuscht über meine Antwort ist. Die Anspannung weicht aus seinem Körper und er beginnt wieder meine Haare zu kraulen. Ich bin mir sicher, dass ich in diesem Moment in ihm lesen könnte, wie in einem Buch. Doch ich traue mich nicht, meinen Kopf zu heben und ihm ins Gesicht zu gucken. Ich kenne ihn dafür zu gut. Er kennt mich zu gut. Meine Gefühle wären ebenfalls ein offenes Buch für ihn.

"Dann nach den Feiertagen.", sagt er. Magnus schlingt seinen Arm fest um meinen Oberkörper und zieht mich näher zu sich heran. "Ich wünschte, die Zeit würde jetzt einfach anhalten.".

Seine Worte sind so unglaublich süß. Meine Lippen verziehen sich zu einem Lächeln und liebevoll drücke ich ihm einen Kuss auf die Brust, genau auf die Stelle, wo ich sein Herz unter der Haut pochen spüre. "Geht mir auch so.".

Ein lautes Klopfen an der Tür ertönt und die Stimme meiner Schwester schallt hindurch. Sie erinnert uns daran, dass wir lieber besser aufstehen, da wir nach dem Frühstück noch ein paar Kekse backen wollen.

Mir entkommt ein lauter Protest - Laut, als Magnus sich von mir löst und sein TShirt vom Boden angelt. "Wir sollten uns lieber anziehen und runter gehen.", sagt er und grinst mich an, "Ansonsten kommt Isabelle beim nächsten Mal ins Zimmer und schleift uns an den Haaren hinter sich her.".

Hochkonzentriert rolle ich den Teig, der vor mir auf dem Tisch liegt, aus. "Das ist doch blöd.", brumme ich verärgert, als er schon wieder am Nudelholz kleben bleibt. Frustriert lasse ich es fallen und fahre mir mit meinen Händen durch die Haare.

Ein schwarzer Haarschopf taucht neben meinen Kopf auf und gibt mir einen kurzen Kuss auf die Wange. "Hast du es schon einmal mit Mehl probiert, Alexander?". Schmollend schiebe ich meine Unterlippe vor, "Da ist doch Mehl im Teig. Wozu soll ich dann noch welches benutzen.".

Magnus greift in die Tüte Mehl und streut etwas davon über den Tisch und den Teig, bevor er sich das Nudelholz schnappt und es mit langsamen Bewegungen ebenfalls mit dem weißen Pulver bestreicht.

Sein Mund wandert zu meinem Ohr, während ich ihn dabei beobachte, wie seine schlanken Finger über die glatte Oberfläche streichen. "Das Mehl sorgt dafür, dass der Teig nicht mehr überall kleben bleibt.". Ich kann seinen Atem auf meiner Haut spüren. Eine Gänsehaut breitet sich auf meinen Rücken aus und meine Wangen röten sich.

"Das ist sehr interessant.", entkommt es mir stockend. Ich recke meinen Kopf zur Seite und biete ihm meinen Hals an. Ich kann das kleine Lächeln auf seinen Lippen spüren, als er die stumme Einladung annimmt und sanfte Küsse darauf verteilt.

Ein lautes Räuspern lässt uns auseinander fahren. Erschrocken drehen wir uns um und gucken ertappt in die grauen Augen meines kleinen Bruders. Er verschränkt seine Arme vor der Brust und guckt uns tadelnd an. "Ihr sollt den Teig ausrollen und nicht in der Küche übereinander her fallen.". Sein Gesicht verzieht sich zu einer Grimasse, "Das möchte doch keiner sehen.".

Grinsend hebt Magnus eine Augenbraue, "Ich glaube ein Haufen Leute, würden das gerne sehen.".

Mein Gesicht gleicht inzwischen das einer Tomate. Mir ist das Ganze unglaublich unangenehm, schließlich ist mein Bruder noch ein Kind - auch wenn er es inzwischen eigentlich nicht mehr ist. In meinen Augen wird er immer der kleine neunjährige Junge bleiben, der mit verwuschelten braunen Haaren, einer Brille auf der Nase und einem Comic in der Hand, auf einem Sessel hockt.

Während ich versuche den Teig auszurollen, gucke ich im Augenwinkel zu Magnus hinüber, der gerade eine Debatte mit meinem Bruder führt. Seit unserem Gespräch heute Morgen benehmen wir uns so, als hätte es die letzten paar Tage nicht gegeben.

"Es gibt bestimmt sogar Leute, die würden haufenweise Geld bezahlen, um Alexander und mich in Action zu sehen.", protestiert Magnus laut und verschränkt seine Arme vor der Brust.

Entsetzt starre ich die beiden an. "Könnten wir bitte aufhören, über dieses Thema zu sprechen?", unterbreche ich sie. "Der Teig ist ausgerollt, ihr könnt jetzt mit dem ausstechen beginnen.".

Malec - 24 TürenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt