Kapitel 3

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!Triggerwarnung!

𝓗eute Morgen zeigte meine Waage leider immer noch 56,8 Kilogramm an. Es hatte sich also nichts verändert, obwohl ich gestern sogar mehr Kalorien verbrannt als zu mir genommen habe. Ich verstehe die Welt nicht mehr und bin mehr als enttäuscht, von mir und meinem Leben und dass es mir anscheinend einfach nicht gegönnt ist schön zu werden. Warum kann ich nicht einfach abnehmen? Ich mache doch schon alles dafür, dass es klappt, aber vermutlich reicht es nicht aus. Bloß nicht den Mut verlieren, Aurelia, du schaffst das! Lass dich davon nicht unterkriegen und streng dich endlich richtig an, damit du dich deinem Ziel näherst. Reiß dich zusammen!, versuche ich mir einzureden, auch wenn es mir dennoch schwer fällt. Ich muss es schaffen!

Also beschließe ich, auf meinem Laptop im Internet nach neuer Motivation zum Abnehmen zu suchen. Dabei bleibe ich bei meinem Desktop-Hintergrund stehen und schaue es mir genauer an. Auf dem Foto bin ich zusammen mit Liv und Grace zu sehen, was bereits einige Jahre her ist.

Ich erinnere mich daran, wie ich gerne gegessen und nicht aus Angst davor Verabredungen abgesagt habe. Plötzlich kommen viele schöne Erinnerungen hoch, die tatsächlich mit Essen verbunden sind. Doch ich muss besonders daran denken, wie ich selbst zu diesem Zeitpunkt noch war.

Ich war immer ein völlig normales Mädchen. Auch wenn man überhaupt nicht festlegen kann, was normal ist und was nicht. Ich war schon immer riesig und schlank, mittlerweile war ich bei 1,76 Meter angelangt. Sozusagen hatte ich genau die Modelmaße, jedenfalls was die Größe angeht.

Außerdem war ich ein Perfektionist und nie zufrieden, egal mit was. Doch vor allem war ich immer mit mir unzufrieden. Niemals war ich gut oder schön genug. Schon früher habe ich mich selbst sehr kritisch angesehen und zu viele Fehler bemerkt, besonders was mein Aussehen betrifft. Ich habe angefangen mich und mein Äußeres zu hassen, weil ich auch schön sein wollte wie all' die anderen Mädchen in meinem Alter.

Ich habe es geliebt, wenn ich irgendwo die Dünnste war und konnte kaum ertragen, sobald jemand in meiner Nähe war, der dünner war als ich. Dementsprechend gab es für mich nie ein dünn genug, weil ich immer weniger sein wollte als die Menschen um mich herum und es waren immer Leute da, die noch weniger wogen als ich. Doch das hatte mich nie so sehr gestört, dass ich ernsthaft mit dem Gedanken spielte, ich müsste abnehmen. Ich habe so gerne gegessen, was ich mir auch leisten konnte, weil ich erstens eine einigermaßen gute Figur hatte und zweitens nicht zunahm.

Für mich war es schon seit ich denken kann toll, meine Knochen zu spüren, weil mir das zeigte wie dünn ich doch war.

Irgendwann habe ich lediglich aus Interesse angefangen Kalorien zu zählen. Allgemein interessierte ich mich sehr für den menschlichen Körper und Medizin. Ich hatte nicht die Absicht abzunehmen, ich wollte einfach nur wissen, wie viel ich ungefähr am Tag esse. Das nahm ich auch nicht allzu ernst, ich schrieb nicht alles auf, sondern nur grob. Schließlich gab es keinen Grund, um genau zu zählen, wie viele Kalorien ich zu mir nehme, es war einfach nur aus Spaß.

Doch wenn ich ehrlich war, dann mochte ich es, wenn ich am Ende des Tages unter meinem Kalorienziel blieb. Ich wusste nie, weshalb das so war, aber es verlieh mir seltsamerweise ein gutes Gefühl, auch wenn ich wusste, dass es nicht gesund war. Also habe ich damit begonnen, immer öfter unter meinem Ziel zu bleiben, da es mir dann besser ging.

Der andere Punkt, der ebenfalls dafür sorgte, dass ich mich gut fühlte, war die Kontrolle über mich selbst. Ich dachte, ich habe mich und meinen Körper unter Kontrolle, wenn ich selbst entscheide, wann oder ob ich überhaupt etwas esse.

In meinen Augen war es einfach nur ein guter Nebeneffekt, dass ich nebenbei ein paar Kilo abnehme. Es konnte schließlich nicht schaden, auch wenn ich überhaupt nicht zu dick war. Aber es sollte ja nicht viel sein, sondern eben nur ein bisschen, dann würde ich definitiv damit aufhören. Ich wusste, was Essstörungen waren und da wollte ich definitiv nicht hineinrutschen! An mir selbst konnte ich mir solch eine Krankheit aber sowieso nicht vorstellen, denn früher mochte ich es zu essen. Also konnte ich so oder so nicht in eine Magersucht hineinrutschen, das war praktisch unmöglich.

Die magere WahrheitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt