Kapitel 10

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𝓖enervt schaue ich auf mein Handy, um zu erfahren wie lange ich hier noch festhänge. Die letzte Stunde zieht sich wie ein Kaugummi, besonders weil es Physik ist und ich das Fach hasse. Doch mein Blick fällt zuerst auf die Nachricht, die mir mein Sperrbildschirm anzeigt.

'Hey, alles klar bei dir?', lese ich, doch die Nummer ist mir fremd. Da ich ohnehin gelangweilt bin, entsperre ich mein Handy und öffne die Mitteilung, um vielleicht herauszufinden von wem die Nachricht stammt, was jedoch nicht der Fall ist, weil mir kein Profilbild angezeigt wird.

Also antworte ich schnell 'Hi, ja, danke der Nachfrage. Darf man fragen, wer du bist?' und konzentriere mich anschließend wieder auf den Unterricht, der total spannend ist — nicht. Ehrlich gesagt gelingt es mir auch nicht wirklich, weil ich ziemlich neugierig bin und unbedingt wissen will, wer mir geschrieben hat und besonders woher die Person meine Nummer hat.

Endlich ertönt der Pausengong, sodass ich meine Sachen einpacke und glücklicherweise nachhause gehen kann. Aber dann kommt mir in den Sinn, dass es doch nicht so fantastisch ist, weil meine Mutter sicherlich schon mit dem Essen auf mich wartet ... Allerdings habe ich nichts gefrühstückt und meine Pausenbrote wie immer entsorgt. Damit habe ich insgesamt schon ungefähr um die 400 Kalorien gespart. Ich werde einfach nicht viel zu mir nehmen und das meiste mit Sport wieder verbrennen. Die ganzen Wochen und Monate habe ich es geschafft, also werde ich jetzt bestimmt nicht aufgeben oder schwach werden.

Als ich nachhause komme, stelle ich meine Tasche im Flur ab, werfe meine Jacke über die Garderobe und ziehe meine Schuhe aus. Ängstlich — aufgrund des bevorstehenden Essens — gehe ich in die Küche, wo meine Mutter bereits schon am gedeckten Tisch sitzt und mich mit einem gezwungenen Lächeln ansieht. »Hallo mein Schatz, wie war die Schule?«

»Wie immer. Ganz in Ordnung«, antworte ich nur, während ich meine leere Brotdose in den Geschirrspüler lege. Ich hasse diese Frage. Schule ist wie Schule eben ist — langweilig und beschissen.

»Komm, setz dich.« Erst jetzt erblicke ich die Nudeln mit Tomatensoße auf dem Tisch und würde am liebsten schreiend weglaufen, doch stattdessen versuche ich ruhig zu bleiben und lasse mich auf dem Stuhl gegenüber von ihr nieder. Leider muss ich feststellen, dass die Idee nicht sonderlich schlau von mir war, da meine Mutter mich die ganze Zeit beim Essen anstarren kann und ich nicht weiß, ob ich das aushalte. Viel schlimmer ist jedoch, dass die Tomatensoße 28 und die Nudeln 342 Kalorien haben, was mich im wahrsten Sinne des Wortes zum Schwitzen bringt.

»Hallo ihr beiden!«, ruft Lyra fröhlich und setzt sich neben mich. »Hey Schwesterherz«, sage ich und auch Mama begrüßt sie herzlich. Immerhin befindet Lyra sich neben mir und kann mich nicht so sehr anstarren wie unsere Mutter.

»Nehmt euch, Kinder«, fordert sie und gleich darauf schlägt meine Schwester ohne zu zögern zu und füllt ihren Teller bis oben hin mit dem Essen, dessen Duft in meine Nase steigt. Ich müsste lügen, wenn ich behaupten würde, dass es nicht gut riecht und auch nicht schmeckt. Unsere Mutter kocht hervorragend, auch wenn ich momentan nicht alles essen darf.

Dennoch spüre und höre ich meinen knurrenden Magen, der sich beschwert, nur weil er einige Stunden nichts zu essen bekommen hat. Es ist mir mehr als unangenehm, doch tief im Inneren habe ich Hunger. Das Gefühl der Leere lässt mich gut und leicht fühlen, es macht mich glücklich. Bloß darf ich die Kontrolle nicht abgeben, ich bin stärker als der Hunger.

Widerwillig kaue ich auf den Nudeln herum bis kaum noch etwas übrig ist, doch ich bringe es nicht übers Herz, das Zerkaute einfach herunterzuschlucken. Angeekelt von mir selbst greife ich zu dem Glas Wasser und trinke es mit einem Mal aus, da ich das schließlich vor jeder Mahlzeit mache. Ich spüre die Blicke von den anderen auf mir und fühle mich somit noch viel schrecklicher. Ich schäme mich einfach so sehr für alles. Dafür, dass es mir derart schwer fällt normal zu essen und dass ich überhaupt esse und meine ganzen Erfolge dementsprechend zerstöre.

Die magere WahrheitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt