02. Oktober 2023 - Natasha und Rain

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Ein Wecker klingelte schrill. Natasha stöhnte leise auf, sie hasste Rains Wecker. Sie hasste Wecker generell, aber diesen ganz besonders. Es lag vermutlich daran, dass sie ihn seit über vier Jahren fast täglich ertragen musste - es war sozusagen ein wiederkehrendes traumatisches Erlebnis. Das eigentlich Frustrierende daran war, dass ihrer Freundin das grausame Klingeln überhaupt nichts auszumachen schien. Sie war morgens wenige Sekunden nach dem Klingeln so wach, dass sie aufstehen konnte, dabei grausam gut gelaunt - und schaffte es auch noch jeden Morgen ausnahmslos, das auf Natasha zu übertragen. 

Auch heute verstummte der Wecker nach einigen Sekunden und nach wenigen weiteren raschelte neben Natasha die Bettdecke. Sie hielt ihre Augen geschlossen. Selbst durch ihre Augenlider bemerkte sie, wie das Licht anging, dann hörte sie tapsende Schritte und schließlich schloss sich die Badezimmertür. 

Seufzend drehte sich Natasha auf den Rücken und blinzelte. Montagmorgen, der erste Tag des Semesters. Im Grunde freute sie sich sogar darüber, war jedoch noch zu schläfrig, dass diese Emotion ihr Hirn ernsthaft erreicht hatte. Sie schloss die Augen wieder. Zwei Minuten brauchte Rain im Bad, wie jeden Morgen. Diese zwei Minuten Ruhe konnte Natasha nutzen, um noch einmal kurz...

"Guten Morgen!"

Und natürlich war sie wieder eingeschlafen, wie jeden Morgen. Mit einem leisen Grunzen schälte sie sich unter der warmen Bettdecke hervor und tapste ins Bad. Im Halbschlaf stand sie am Waschbecken, die Zahnbürste im Mund, als Rain hereinkam, vollständig angezogen. Natasha hatte noch nie verstanden, warum Rain erst ins Bad ging, sich dann anzog und dann noch einmal ins Bad ging, um sich die Zähne zu putzen und fertig zu machen. Anstatt das zusammen zu machen. Es war viel effektiver! 

Aber naja, ihre Freundin legte nicht viel Wert auf Effektivität. Oder auf Ordnung. Aber dafür war sie Optimistin, man konnte also sagen, sie glichen sich gegenseitig ganz gut aus. Natasha beendete ihr Zähneputzen und machte Rain am Waschbecken Platz. Sie setzte sich auf den geschlossenen Klodeckel und versuchte, ihre vielen Zöpfe zu ordnen, bevor sie aufgab, und ins Schlafzimmer zurückging, wo sie den Schrank öffnete. 

Obwohl ein reger Austausch an Kleidung herrschte, waren ihre Stile so unterschiedlich, dass nach wie vor eine gewisse Teilung in ihrem gemeinsamen Kleiderschrank vorhanden war. Natashas Sachen hingen gebügelt oder lagen ordentlich gestapelt auf der linken Seite des Schrankes, der rechte Teil hingegen war ein einziges Chaos und wenn Rain eine gebügelte Bluse brauchte, dann erledigte sie das am entsprechenden Morgen und keine Minute früher. 

Seufzend griff Natasha nach einer Jeans und einem T-Shirt, schaute kritisch nach draußen und schnappte sich dann auch noch einen Pullover (er war weinrot und hatte ein großes weißes N darauf, von Molly Weasley zum letzten Weihnachten mit lieben Grüßen und einem Augenzwinkern). 

Zwanzig Minuten später tauchte Rain in der Küche auf, wo Natasha sich schon ihr Frühstück zubereitete. Das Radio war aufgedreht und mittlerweile war auch sie bei einer Wachheit angelangt, wo man gute Laune haben konnte. Sie beobachtete Rain grinsend, die sehr albern durch die Küche wippte und dabei mit ihrem Zauberstab eine Schüssel dirigierte, die sich daraufhin mit Müsli und Joghurt füllte. 

Natasha setzte sich mit Toast und einer Mandarine an den Tisch und begann, die Frucht zu schälen. 

"Was ein wunderbarer Tag!", freute sich Rain und öffnete mit ihrem Zauberstab die Balkontür, woraufhin ein eisiger Oktoberwind in die Küche hinein fuhr. 

"Mach die Tür zu, es zieht." Natasha hob ihren eigenen Stab, die Tür schloss sich. 

"Ach, du bist ein Langweiler!", protestierte Rain, tänzelte mit ihrer Schüssel an Natasha vorbei, drückte ihr einen Kuss auf die Lippen, als Ablenkung, um sich unbemerkt zwei Stücken der Mandarine zu klauen. Natasha verdrehte die Augen. 

Rain III - SnapshotsWhere stories live. Discover now