Prolog - Das Brüllen eines Raubtieres

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Sammy beschleunigte seine Schritte und zog die Träger seines Rucksacks enger. Er war spät dran. Sein Herz raste und seine Finger zitterten leicht. Er hatte im Leben noch nie so eine Angst gehabt. Er bog um die Kreuzung. Es war ein trüber Morgen und der Wind war deutlich zu kühl. Das er kaum geschlafen hatte macht die Sache nicht leichter. Er sah auf die Uhrzeit. Er war nicht mehr so ganz pünktlich. An der Bushaltestelle stand niemand mehr. Warum hätte sie auch warten sollen? Bis zur Schule war es noch ein ganzes Stück und zu spät kommen wollte sie sicher nicht.

Die Enttäuschung breitete sich langsam in seinem Bauch aus. Fühlte sich an wie ein Schlag in die Magengrube. Einen Moment dachte er nach. Was wenn er einfach wieder Heim ging? Seine Mutter würde inzwischen zur Arbeit sein und sein Vater machte sich auch bald auf den Weg. Einfach wieder ins Bett und die Decke über den Kopf ziehen. Er seufzte schwer und ging los. Irgendwie würde er den Tag schon hin bekommen. Er ging an der Kirche vorbei und an den kleinen Häusern die hier standen. Manche waren über hundert Jahre alt. Er hörte die Stimme seines Lehrers. Wann immer sie hier lang kamen, er erzählte vom historischen Ortskern und der Schönheit des Landlebens. Was kümmerte ihn die Vergangenheit? Er war Dreizehn und hatte viel größere Sorgen als irgendwelche Kriege und wiederaufbauten, die ewig her waren.

Sammy sehnte sich grade eher nach der Großstadt. Oder zumindest einem Ort wo mehr los war. Es mehr Ablenkung gab. Er ging am Kiosk vorbei, bis zur Schule war es von hier nicht weit und seine Freunde meinten immer, der Laden wäre ohne die Schüler längst pleite. Er würdigte den Laden keines Blickes. Schaut einfach auf den Bürgersteig, die zwei Meter direkt vor ihm und hob den Blick nicht. Hinter ihm hörte er die Türe des Kiosks aufgehen. Dieses fröhliche Spiel aus Glöckchen, wann immer jemand die Türe bewegte. Es ging ihm schwer auf die Nerven.

Dann hörte er etwas anderes. Eine Stimme die viel fröhlicher als das Glöckchenspiel war. Und er brauchte einen Moment bevor er es wirklich begreifen konnte. „Hey Sammy! Du bist ma wieder zu spät!“ Er drehte sich mit einem Ruck um. Die Überraschung und die Erleichterung mischten sich in seinem Gesicht, so schnell das er selbst nicht wusste wie er guckte. Da war sie. Das schönste Mädchen der Welt. Die Sonne an einem Regentag. Sein Herz sprang wild in seinem Brustkorb umher. „Hi... Is... Ja ich... Also...“ Sie kicherte und verstaute die Tüte mit ihrem kleinen Einkauf im Kiosk in ihrem Rucksack. Dann knuffte sie ihm leicht gegen die Schulter.

„Na komm, ich hab für dich auch schon was für die Pause geholt.“ Er wusste nicht wie im geschah. Aber seine Stimme übernahm das Reden: „Ach so, also warst du darum nich an der Haltestelle...“ Sie nickte und lächelte ihn an. Sie war strich sich eine ihrer blonden Ponysträhnen aus dem schmalen Gesicht, hinter das spitze Ohr. Sie war nicht die einzige Elfe an der Schule, aber für Sammy schon irgendwie. Er kicherte unsicher und trat nervös von einem Fuß auf den anderen. „Danke Katja... Ich... Hätt jetzt glatt vergessen was zu holen...“

Sie grinste ihn an. Sammy fühlte wieder dieses Kribbeln im Bauch und in den Zehenspitzen. Er konnte es nicht erklären. Es war als wenn ihn ein Blitz treffen würde. Oder doch eher wie das Gefühl vom Fünf Meter Brett zu springen? Dieses lange Fall? Sie mochte ihn wirklich. Und in ihren Augen funkelte etwas. Er traute sich kaum den Gedanken zu ende zu denken. Empfand sie wirklich das gleiche? Wenn, dann war sie sich dabei aber viel sicherer als er. Sie legte den Kopf schief.

„Willste dann ma weiterlaufen? Die Stunde bei Frau Letrowski schwänzen gibt Ärger!“ Sie lächelte ihn wieder an und ging los. Sammy ließ sich einfach mitreißen. Er öffnete und schloss nervös seine Hände. Und überlegte fieberhaft was er nur sagen könnte. Aber Katja übernahm das für ihn: „Hast du gestern Witchhunt gesehen?“ Er nickte. Sie bogen von der Straße auf den Weg durch die Felder ab. Der Asphalt war alt und uneben. Aber Sammy lief auf Wolken. Er selbst merkte nicht wie sehr seine Gefühle Achterbahn mit ihm fuhren. Grade noch traurig und nun plötzlich doch wieder fröhlich.

„Ich hab den Anfang verpasst, kam zu spät vom Training.“ Gab er zu. „Aber hab nich gedacht das die echt zeigen wie die Verbrannt wird.“ Katja schauderte. „Ja, voll eklig. Ich hab mir die Augen zugehalten.“ gab sie grinsend zu. Sammy zucke die Schultern. „Mädchen eben...“ Sagte er kichernd. Katja knuffte ihm wieder die Schulter. Sie lachte und langsam verging Sammy die Anspannung. Er schaute nach vorne und sah ein Auto auf dem Weg stehen. Der Fahrer hatte die Motorhaube offen und schien ein Problem zu haben.

Sie machten beide einen Schritt zur Seite um an dem Auto vorbei zu gehen. „Meinst du wir bekommen die Mathearbeit wieder?“ wechselte sie das Thema. Sie klang etwas besorgt. Sammy schüttelte den Kopf. „Nee, Herr Weiß hat die nie im Leben...“ Weiter kam er nicht. Etwas hatte ihn umgestoßen und im Gesicht getroffen. Er saß benommen am Boden und spürte wie sich der dumpfe Schmerz langsam ausbreitete. Was war passiert? Es ging einfach zu schnell. Er schmeckte Blut. Grade als seine Sinne begannen zu schwinden, hörte er Katja schreien. Es war hinter ihm. Er drehte den Kopf und sah den Mann und das Auto. Ein junger Typ, mit kurzen roten Haaren und unrasiert.

Er hatte seine Arme um Katjas Brustkorb gelegt und zog sie auf den offenen Kofferraum zu. Sie schlug nach dem Mann und strampelte mit den Beinen, aber er war stärker. Sie brüllte um Hilfe und ihre Blicke trafen sich. Sammy sah das flehen in ihrem Blick. Als hätte sie gesagt, ich will nicht sterben. Er dachte nicht nach und sprang auf. Blutige Nase hin oder her. Er rannte auf den Mann zu und trat ihm von hinten in die Kniekehle. Er sackte weg und gab mehr ein Stöhnen als einen Schrei von sich. Katja konnte sich halb befreien und trat zu. Sie traf den Mann zwischen die Beine. Er ließ locker und sie zog die Arme aus den Trägern ihres Rucksacks.

Der Mann hatte sich noch nicht erholt, sie rannten beide los. Querfeld ein. Das brach liegende Feld entlang und auf das Haus auf der anderen Seite zu. Katja war schneller, aber Sammy war fast hinter ihr. Hinter ihnen hörte er ein Brüllen. Es waren keine Worte und es klang auch nicht Menschlich. Es hörte sich an wie das Brüllen eines Raubtiers das seine Beute verloren hatte. Sie waren weit genug. Sie würden es schaffen. Er konnte sie nicht einholen, sagte sich Sammy. Ein lauter Knall erfüllte die Luft und schien ewig in Sammys Ohren nachzuhallen. Er lief plötzlich nicht mehr. Seine Beine waren weg. Er fiel nach vorne auf den nassen Boden. Ein Schmerz breitete sich in seinem Rücken aus. Es war schlimmer als alles was er jemals gefühlt hatte. Der nasse Boden war so kalt. Er wollte den Kopf heben. Es fehlte die Kraft. Müdigkeit legte sich über ihn. Er schloss die Augen. Nur einen Moment ausruhen. Nur einen Moment. Dann verlor er das Bewusstsein...

Wenn es nur noch Rache gibt...Where stories live. Discover now