Epilog

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Sanfte Klänge der Liveband erfüllten den großen Festsaal in Budapest. Einflussreiche Menschen, Vampire und Engel unterhielten sich mit gedämpften Stimmen, lachten leise, schlossen teure Geschäfte ab und genossen die angenehmen abendlichen Temperaturen. Manche Männer tanzten mit ihren Frauen, andere warfen Michaela verstohlene Blicke zu.

Sie war noch immer die schönste Frau der Welt. Dass sie an diesem Abend umwerfend aussah, wusste Michaela auch ohne die bewundernden Blicke der anderen meist männlichen Gäste. Doch während sie äußerlich der perfekte Erzengel war, kämpfte ihr Inneres mit einem ganz anderen Verlangen.

Zwei Monate war es her, dass sie Dariel zuletzt gesehen hatte. Zwei Monate seit die türkisblauen Augen des Fährtensuchers in ihre Seele geblickt hatten, während seine Finger durch ihre bronzefarbenen Federn strichen. Zwei Monate ohne einen Gewittersturm in ihrem Kopf. Zwei Monate seit sie ihr Herz in New York zurückgelassen hatte.

Nichts als endlose Leere herrschte in ihren Gedanken. Keine Blitze, kein Regen. Noch nie hatte die Hohepriesterin von Byzanz so lange ohne einen Mann in ihrem Bett ausgehalten. Auch diesmal hätte sie mehr als eine Gelegenheit gehabt. Sterbliche, wie Unsterbliche warben um ihre Gunst, doch der verführerische Reiz der Versuchung war verflogen.

Mit einem stummen Seufzen auf den Lippen nahm sie einen Schluck von ihrem Champagner. Für sie schmeckte er wie gewöhnliches Wasser. Nichts konnte derzeit die Eintönigkeit aufheben, die sich schwer auf ihre Sinne legte. Auch der Schlaf würde das nicht können. Nur er konnte es. Nur Raphaels Fährtensucher.

„Lady Michaela", die Stimme eines einflussreichen Generals ihrer Streitkräfte, riss den weiblichen Erzengel zurück in die Realität und weg von ihrem Verlangen mit den Fingern durch Dariels Gewitterwolken-Flügel zu streichen, „Ihr seht umwerfend aus." Mit einem höflichen Nicken nahm sie das Kompliment entgegen. Nicht von ihm wollte sie diese Worte hören.

Der Engel sortierte seine weißen Flügel mit den dunkelblauen Tupfen neu. Die kristallklaren Augen hatten die gleiche Farbe wie die Musterung seiner Schwingen. Seine Haare waren strohblond und militärisch kurz geschnitten. Niemand konnte ihn für etwas anderes als einen erfahrenen Krieger halten. Dennoch war Tanic auf eine männliche Art hübsch und wie Michaela aus Erfahrung wusste ein ausgesprochen fähiger Liebhaber.

Wieder nippte der weibliche Erzengel an ihrem Champagner. Dass ihr General gerade ihren Körper mit den dunkelblauen Augen musterte, machte ihr nichts aus. Männer hatten das schon immer getan. Erst recht, wenn Michaela ein Kleid wie dieses trug.

Der weiche, schwarze Stoff schmiegte sich an ihren Körper und betonte jede Kurve auf besonders schmeichelhafte Art und Weise. Während der Ausschnitt nur die Fantasie ihrer Bewunderer anregte, ließ das Kleid ihren Rücken frei. Jeder konnte den empfindlichen Flügelansatz sehen, den Engel für gewöhnlich besonders schützten. Um das verführerische, perfekte Bild abzurunden, trug sie schwarze Highheels, die ihre Beine noch länger wirken ließen.

„Würdet Ihr mir die Ehre erweisen, mit mir zu tanzen?", erkundigte sich Tanic. Seine dunkelblauen Augen hatten die Musterung ihres Körpers beendet und kehrten zu den ihren zurück. Einladend hielt er Michaela eine Hand entgegen. Auf seinen Lippen lag ein Lächeln, das seine wahren Absichten nicht versteckte. Natürlich hatte ein aufmerksamer Krieger wie er bemerkt, dass die schönste Frau der Welt in den letzten zwei Monaten nie in Begleitung eines Mannes gesehen worden war.

Der weibliche Erzengel stellte das leere Champagnerglas auf die Steinbrüstung des Balkons. Ihre hellgrünen Augen hielten Tanics Blick gefangen. Er würde den ihren nicht lange erwidern können. Der General war alt und stark, doch sie war ein Mitglied des Kaders. Das war es, was dieser Engel in ihr sah. Nicht mehr und nicht weniger. „Einen Tanz, Tanic", seufzte Michaela.

Bevor ihre Finger die Hand des Generals berühren konnten, zuckten Blitze durch ihren Kopf. Donner grollte in ihren Gedanken und der Geruch nach Regen schob sich vor ihre Sinne. Fast kam es Michaela so vor als könnte sie die Tropfen auf ihrer Haut spüren. Mit einem Mal löste sich die Eintönigkeit im Nichts auf und ihr Herz machte einen Satz.

Hastig zog sie ihre Hand zurück. „Verzeih mir, Tanic", der weibliche Erzengel hatte Mühe ihre Stimme ruhig und hoheitsvoll zu halten, „ich muss unseren Tanz leider verschieben. Ein Gast aus New York ist eingetroffen. Es wäre unhöflich ihn warten zu lassen." Ohne auf die Antwort ihres Generals Rücksicht zu nehmen trat Michaela zurück in den mit Gästen gefüllten Saal.

Wie von selbst flog ihr Blick zum Eingang. Ein junger Vampir, der seinen Dienstvertrag noch nicht abgearbeitet hatte, öffnete die Türe. Helles Grün traf auf Türkisblau. Nur mit Mühe konnte Michaela das Zittern ihrer bronzefarbenen Flügel verstecken. Hastig faltete sie neu zusammen und zwang sich, einen neutralen Gesichtsausdruck aufzusetzen, bevor sie langsam und hoheitsvoll durch den Saal schritt.

Natürlich zog sie die Blicke vieler Anwesender auf sich. Es kam nicht oft vor, dass ein Erzengel persönlich neue Gäste empfing. Als man in dem Engel Raphaels Fährtensucher erkannte, schoben die meisten Michaelas Verhalten dem neu geschlossenen Bündnis zu. Niemand wusste, dass die schönste Frau der Welt für diesen Mann ein klein wenig sterblich geworden war und daran sollte sich auch in naher Zukunft nichts ändern.

„Fährtensucher", ihre Stimme klang melodisch und verführerisch wie immer. „Lady Michaela", Dariel verneigte sich, griff nach ihrer Hand und hauchte einen zärtlichen Kuss darauf, „Raphael bittet mich Euch die besten Grüße zu übermitteln." Das Lächeln auf ihren Lippen wurde eine Spur breiter: „Spielt er immer noch mit seiner Jägerin?" Donner grollte in ihrem Kopf. Genauso, wie ich gedenke mit dir zu spielen, Mika.

Am liebsten hätte ihn Michaela sofort an sich gezogen und geküsst. Dieser Mann brachte mit seiner bloßen Anwesenheit ihr Herz zum Rasen und ihre Schilde zum Einsturz. „Tanz mit mir", ein klarer Befehl, dem sich Dariel nur zu gerne beugte. Er zog sie an der Hand, die er zuvor geküsst hatte, auf die Tanzfläche. Seine Finger schlossen sich um ihre, während seine andere Hand auf ihrer Hüfte lag.

Alle Augen und mehr als eine Kamera waren auf sie gerichtet, als Raphaels Fährtensucher die schönste Frau der Welt sanft im Takt zur Musik wiegte. Hast du mich vermisst? Beinahe wäre Michaela bei seiner Stimme in ihren Gedanken ein leises Stöhnen entwichen. Die Stille war verschwunden, denn das Gewitter war zurückgekehrt. Mehr als du dir vorstellen kannst.

Blitze zuckten durch ihren Kopf. Ihre bronzefarbenen Flügel knisterten unter der aufkochenden Energie, die nur Dariel in ihr freisetzen konnte. Raphael meinte, ihr hättet über einen Botschafter im Territorium des jeweils anderen gesprochen. Er hat mich gefragt, ob ich mir vorstellen könnte, in seinem Namen mit der Hohepriesterin von Byzanz zusammenzuarbeiten.

Hellgrüne Augen starrten ihn ungläubig an. Was hast du deinem Sire geantwortet, Fährtensucher? Ihre geistige Stimme zitterte vor Anspannung. Dass ich noch nie eine Eignung für einen Diplomatenposten in meinen Fähigkeiten erkannt hätte, aber dass ich niemals zulassen würde, dass er einen anderen Mann zu meiner Mika schickt. Du wirst mich demnach für eine lange Zeit erdulden müssen, Erzengel.

Wieder zuckten die bronzefarbenen Flügel kaum merklich und das verführerische Lächeln auf ihren Lippen wurde eine Spur breiter. Für den Rest der Unsterblichkeit?, erkundigte sich Michaela, während ihre Finger sich in seinen Nacken legten. Türkisblau traf auf helles Grün. Gewitterwolken in ihrem Kopf, der Geruch nach Regen vor ihren Sinnen. Für den Rest der Unsterblichkeit, meine Mika.

EngelsfährteHikayelerin yaşadığı yer. Şimdi keşfedin