Bonuskapitel: Engelskind

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Eine blau karierte Picknickdecke lag auf der saftig grünen Wiese im Central Park. Am Aufbau des Spielplatzes hatte sich in den letzten fünf Jahren nichts verändert. Kinder schaukelten, liefen über die verschlungenen Wege, buddelten im von der Sonne warmen Sand. Lachen erfüllte die Luft. Eine Gruppe Jugendlicher spielte zusammen mit einem Engel und einem Jäger Fußball.

Anmutig breitete Michaela ihre bronzefarbenen Flügel hinter sich aus, während sie schweigend die Sonne genoss. Die unzähligen fotografierenden Passanten, die am Spielplatz vorüberzogen, ignorierte sie gekonnt. Natürlich wurde sie beobachtet, denn einen Erzengel an einem solch friedlichen Ort zu sehen war immer noch eine Sensation. Selbst in einer Stadt wie New York.

„Wenn du nicht willst, dass alle Welt erkennt, wie sehr du ihm verfallen bist, solltest du aufhören ihn so anzusehen", warf Sara Haziz mit einem Lächeln in der Stimme ein, während sie sich ebenfalls auf der Picknickdecke niederließ, „man muss schon lange kein erfahrener Jäger mehr sein, um zu erkennen, dass dein Herz einzig und alleine für Dariel schlägt." Michaela löste ihren Blick für keine Sekunde von den Gewitterwolken-Flügeln des Fährtensuchers. „Es gibt keinen Grund für mich, ihn nicht anzusehen. Wem soll ich denn noch etwas vormachen? Die Welt weiß es längst", murmelte der weibliche Erzengel.

Das glockenhelle Lachen der Gildendirektorin entlockte auch Michaela ein Schmunzeln. „Ein wahres Wort, Lady Michaela, ein wahres Wort", stimmte Sara zu. Als sie dem weiblichen Erzengel einen Pappbecher mit Kaffee entgegenhielt, zögerte diese nicht eine Sekunde. Mit einem Nicken bedankte sich die Königin von Konstantinopel für das Getränk.

Raschelnd faltete Elena ihre Flügel zusammen, nachdem sie trotz ihrer hohen Ankunftsgeschwindigkeit eine einwandfreie Landung hinter sich gebracht hatte. „Habt ihr das gesehen?", die begeisterte Stimme der Jägerin klang wie die eines kleinen Kindes, „die Landung war einfach perfekt!" Während Sara grinsend beide Daumen hob und ihrer Freundin damit stumm ihren Zuspruch gab, schüttelte Michaela tadelnd den Kopf: „Du bist immer noch ein ungeschicktes Küken, Gildenjägerin."

Bevor Raphaels Gefährtin dem weiblichen Erzengel eine giftige Bemerkung an den Kopf werfen konnte, wurde sie in Hüfthöhe stürmisch umarmt. „Tante Ellie!" Zoe Elena Haziz war in den letzten fünf Jahren groß geworden. Ihre Fähigkeiten als geborene Jägerin hatten sich noch nicht gezeigt, doch bereits jetzt war sie schneller und stärker als andere sterbliche Kinder in ihrem Alter. Lächelnd ließ sich der Jägerengel von dem Mädchen an der Hand nehmen und zu den Fußball spielenden Jugendlichen führen.

Raphael, Dariel und Saras Mann, Deacon, hatten sich auf die beiden Mannschaften verteilt und kickten den Fußball in Richtung des gegnerischen Tores. Dass der Erzengel von New York mit Kindern über eine Wiese tollte, war eine Seltenheit. Es zeigte, dass er durch seine Jägerin mehr als nur ein klein wenig sterblich geworden war. Niemals würde er einem Kind etwas zu Leide tun.

„Deine Tochter ist groß geworden", stellte Michaela fest, während sie an ihrem Kaffee nippte. Lächelnd sah Sara zu, wie Zoe sich mit den größeren Kindern in einem Spiel maß. „Fünf Jahre, Michaela", warf die Gildendirektorin mit einem Seufzen ein, „eine lange Zeit im Leben einer Sterblichen. Sie sind viel zu schnell vergangen. Meine kleine Prinzessin wird mit jedem Tag etwas erwachsener."

Der weibliche Erzengel zog die bronzefarbenen Flügel etwas näher an den Rücken und richtete sich ein Stück auf. „Fünf Jahre im Leben eines Engels sind nicht mehr als ein Wimpernschlag", sie verlagerte ihr Gewicht zur Seite und strich den weißen Stoff ihrer fast schon sittsamen Bluse zurecht, „doch die letzten fünf Jahre hatten für mich mehr Bedeutung, als die zweitausend zuvor. Meine Sicht auf die Welt hat sich verändert, seit ich ein klein wenig sterblich geworden bin."

Schmunzelnd musterte Sara den weiblichen Erzengel. Äußerlich hatte sich Michaela nicht stark verändert. Sie war immer noch die schönste Frau der Welt. Ihre Flügel glitzerten bronzefarben in der Sonne. Die langen schwarzen Haare mit den braunen und kupferfarbenen Strähnen trug sie an diesem Tag offen. Die weiße Bluse und die Bluejeans betonten jede Kurve an ihrem Körper. Dennoch sah man ihr die Veränderung in ihrem Inneren an.

EngelsfährteWhere stories live. Discover now