Sheriarty🕵🏻‍♂️🍎

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Seit dem Tag seines Freispruches kann Sherlock an niemand anderen als Moriarty denken.
Die Presse zeriss sich die Mäuler über den genialen Kriminellen, selbst in Johns Block drehte sich alles um ihn.
James Moriarty. James Moriarty.
Jeder redete von ihm.
Es war zum kotzen.
Jeder stellte ihn als "der Erzfeind des großen Sherlock Holmes" vor.
John selbst hatte ihm mal gesagt 'Man hat keine Erzfeinde'.
Doch noch schlimmer waren sie.
Seine wirklichen Erzfeinde.
Journalisten.
Sie waren überall, hatten immer Augen und Ohren offen oder einen Notizblock gezückt.
Er hasste die Medien mehr als alles andere.
Er hatte seinen Job als Consulting Detective viel mehr genossen, als noch nicht halb Groß Britanien von ihm wusste.
Es war frustrierend.

"Sherlock?"
"Was?"
"Sind Sie in der Baker Street?"
"Ja natürlich. Wo sollte ich sonst sein? Wo sind Sie? Warum rufen Sie mich an?"
"Ich bin auf dem Weg zu Jessica von deinem Bruder angerufen worden."
"Mycroft? Was wollte er?"
"Du sollst ihn zurückrufen. Es ist unmöglich, jetzt meldet er sich schon bei mi--"

Sherlock starrte auf seinen Finger, der immer noch über dem roten Knopf schwebte, mit dem er seinen Mitbewohner gerade abgewürgt hatte.
Was wollte sein Bruder von ihm?
Er hatte sich schon seit der Gerichtsverhandlung Moriartys nicht mehr gemeldet.

Die Frage wurde aus seinem Kopf gespüllt, wie Sand von einer Welle ins Meer, als er ein Geräusch vernahm.
Nur ein vorheriges Mal in seinem Leben hatte der Consulting Detective dieses Geräusch gehört und es hatte nichts gutes bedeutet.
Oder?
Es war das einfache Knarzen einer Treppenstufe, das Sherlock in Panik versetzte.
Er sah sich in der kleinen Wohnung um.
Such' dir eine Beschäftigung. Irgendetwas. Steh' nicht so verloren in der Mitte des Raumes rum.

Tritt man in das Wohnzimmer im ersten Stock der Backer Street, so sieht man nun einen jungen Mann, der einen Bogen auf die Saiten einer Geige legte.

Die Tür schwang auf.

"Wie geht es Ihnen? Möchten Sie Tee? Ich kann einen aufsetzten."
"Viel zu freundlich, nein danke. Ich brauche nichts."

Sherlock senkte den Geigenbogen und drehte sich langsam um.
Er betrachtete James Moriarty von oben bis unten.
Jedes einzelne Detail.
Er konnte nichts erkennen.
Nichts aus dem nagelneuen Anzug seines Gegenüber lesen.
Nur in den dunkelbraun funkelnden Augen des Genies sah er Freude und den kleinen Stich Wahnsinn, den diese Augen immer in sich trugen.

"Wenn Sie wieder nur gekommen sind, um eine Botschaft in meinen Apfel zu ritzen, muss ich Sie enttäuschen. Wir haben keine Äpfel mehr hier."

James Moriarty lachte leicht.
Es war kein besonders fröhliches Lachen.

"Keines Wegs, Mr. Holmes. Ich möchte ihnen nur Auf Wiedersehen sagen."
"Auf Wiedersehen? Wieso das?"
Moriarty rieb sich entnervt die Schläfen mit Daumen und Zeigefinger.
"Offensichtlich habe ich vor zu gehen."
Nun war es an Sherlock, leicht zu lachen.
Sein größter Freind amüsierte ihn jedes Mal auf's Neue.
Doch noch besser: er beschäftigte ihn, hielt ihn von Langeweile ab.
"Nun gut. Wo werden Sie hin gehen und warum haben Sie sich dazu entschlossen, sich von mir zu verabschieden."
Jim began in dem gemütlichen Wohnzimmer der Nummer 221b herumzulaufen, nahm immer wieder Gegenstände auf, stellte sie allerdings gleich wieder ab.
"Ich werde in die Schweiz fliegen. Ich denke, dort werde ich sicher sein, jedenfalls die nächsten paar Monate."
Sherlock betrachtete den anderen Mann neugierig.
"Sicher? Vor wem? Sie sind freigesprochen worden. Niemand wird sie zurück ins Gefängnis zwingen. Sie sind ein freier Mann, Moriarty."
"Ach. Freiheit. Was bringt mir diese süßliche, atemberaubende, langweilige Freiheit, wenn ich keine Aufmerksamkeit bekomme?"
James Moriarty blieb in der Küche stehen, öffnete den Kühlschrank und schloss ihn, bei dem Anblick der in Plastiktüten eingewickelten Augäpfel, sofort wieder.
Jeder seiner Schritte wurde von Sherlock beobachtet, jede Bewegung analysiert.
Der Consulting Detective konnte nichts aus ihm lesen, egal wie sehr er sich anstrengen mochte.
"Die haben sie. Die Presse, die Gesellschaft, einfach jedes Gespräch dreht sich um Sie und Ihren Freispruch."
Moriarty setzte sich wieder in Bewegung und blieb nun einige Schritte vor Sherlock stehen.
"Nein! Nein! Das ist es ja!"
Seine überdramatisierten Bewegungen verwirrten Sherlock Holmes für einen Moment, dann fing er sich wieder und sah auf den Verbrecher hinab.
"Die Presse schreibt über Sie. Ihre Zeugenaussagen, Ihren Auftritt in meiner Gerichtsverhandlung. Mein Freispruch wird nur in Nebensätzen erwähnt."
Auf dem Gesicht Sherlock Holmes' breitete sich ein überlegenes Lächeln aus.
"Wenn ich Sie mir so anhöre, würde ich fast behaupten, sie wären verletzt. Eifersüchtigt."
Moriarty drehte sich weg, sah aus dem Fenster.
Er schien zu überlegen, zu zögern.
Sherlock hatte ihn noch nie zögern sehen. Gut, er hatte ihn noch nicht sehr oft in seinem Leben gesehen, und doch hatte der geniale Mörder nie gezögert. Bis jetzt.
"Warum sind Sie hier?"
Moriartys Blick fokussierte sich wieder auf seinen Gegenüber.
"Ich bin mir ganz sicher, Sie erinnern sich noch an ihre erste Vorladung in den Zeugenstand."
"Natürlich."
"Ihren Worten nach hatten wir etwas 'Besonderes'. Nun, dieser Satz ist mir nicht mehr aus dem Kopf gegangen."
Dem Consulting Detective wurde es langsam zu viel.
Er kannte Moriartys kleine Spielchen noch nicht gut genug, um auf jeden Satz kontern zu können, demnach schwieg er, bis es ihm wirklich zu viel wurde.
"Gut, Sie haben sich an etwas erinnert, was ich mal gesagt habe. Warum haben Sie sich nun dazu entschieden, sich von mir zu verabschieden?!", fuhr er James an, welcher daraufhin den Kopf senkte.
Er schien ehrlich verletzt.
"Nun, mit so etwas habe ich nicht gerechnet, während ich versuche, Ihnen--"
"Mir was? Was wollen Sie mir mitteilen? Und wenn Sie mir gerade versuchen Ihre Liebe zu gestehen, dann tut es mir leid, ich bin nicht interessiert", fiel Sherlock ihm ins Wort und sah über den Kopf seines Feindes hinweg in Richtung Tür.
Moriartys Blick senkte sich.
"Nun, nicht ganz. Allerdings ist dort schon etwas."
Sherlock stoppte.
Wie immer, wenn jemand anfing von Gefühlen zu reden, wurde er verlegen und unsicher.
Er hatte nicht die leiseste Ahnung, was er mit Moriartys kleinlauter, verletztlicher Stimme anfangen sollte.
"Was ist es, Professor Moriarty? Ich gehe nicht davon aus, Sie sind hergekommen, um mich anzuschweigen."
"Aber natürlich nicht. Was ich Ihnen gegenüber empfinde ist keine Liebe, ich liebe nicht, viel mehr eine Sucht. Ich sehne mich nach diesem Nervenkitzel, den nur Sie und Ihre Intelligenz mir geben können. Das einzige, was meiner würdig ist.
Ich bin süchtig danach. Obwohl--"
Moriarty stockte.
Er wurde von Sherlock gemustert, der Consulting Criminal allerdings hatte seinen Blick auf den Teppich gerichtet.
Angst durchfuhr ihn.
Es war etwas, was er noch nie zuvor gespürrt hatte.
Seine Gedanken rasten.
Okay, cool bleiben. Spiel es runter, es ist nur ein scheiß Gefühl. Bleib lässig, so als hättest du das hier alles geplant.
Sein leistungsfähiges Gehirn arbeitete auf Hochturen.
Das kann nicht sein. Er ist mein Erzfeind.
Das darf nicht sein.

"Moriarty! Was um Himmels Willen ist denn mit Ihnen los?"
Moriarty sah wieder auf.
Kein Zweifel, er hatte sich geirrt.
Verdammt.
Bald schon hatte er sich wieder gefasst und wusste was zu tun war.
"Nun gut, dann wäre ich hier fertig. Auf Wiedersehen, Mr. Holmes. Haben Sie keine Sorge, es wird eines geben."
Sherlock sah erst recht verwirrt drein, dann ergriff er die ausgestreckte Hand - das Kribbeln gekonnt ignorierend - und verabschiedete sich ebenfalls.

Während James Moriarty die kleinen, schmale Treppe zur Haustür hinablief verfluchte er sich selbst.
Die Tür hinter ihm war geschlossen.
Er konnte nicht zurück.
Konnte Sherlock Holmes seine neueste Erkennstnis nicht mitteilen.
Konnte ihm seine ehrliche, aufrichtige Liebe nicht gestehen.
Bis heute hatte er immer gedacht ein James Moriarty liebt nicht.
Er lag falsch.

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