Kapitel 9 - Die Röte auf seinen Wangen

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Vri'lias schmale, aber warme Hand beruhigte Cale auf eine Weise, die er noch nie zuvor gespürt hatte, aber sie sorgte immerhin dafür, dass der ganze Trubel in ihm etwas gedämpft wurde. Sie hatte ihm ein Tuch gegeben, das er nun auf den blutenden, tiefen Schnitt drückte und sich von ihr durch die Fluren führen ließ, bis sie schließlich zu einer Tür gelangten, wohinter sich vermutlich ihr Quartier befand. Es war still, roch immer noch leicht nach den Putzmitteln und Cale vermutete, dass sie bisher kaum hier drin Zeit verbracht hatte, doch die etwas zerknitterte Bettwäsche sagte aus, dass sie diese Nacht etwas Ruhe in diesem Quartier gesucht hatte.
Sie ließ ihn sich auf ihr Bett setzen und Cale bemerkte sofort, dass es nach ihr roch.
„Warten Sie kurz, ich hole kurz den Verbandskasten.", meinte sie und verschwand im angrenzenden Bad. Ein privates Bad - Luxus, den nur Commander oder Generäle bekamen, dachte sich Cale und seufzte schmunzelnd. In seinem gesamten Leben hatte er zusammengerechnet höchstens einige Stunden für sich alleine gehabt, was sich aus ein paar Minuten, in denen er früh morgens kurz alleine in den Duschräumen gewesen war, zusammensetzte.
Als Vri'lia wieder zu ihm kam, lächelte sie ihn leicht an, doch Cale merkte, dass dies eine Angewohnheit von ihr war, denn in ihren Augen lag pure Besorgnis, was bei anderen menschlichen Wesen nicht zu einem solchen Gesichtsausdruck geführt hätte. Sie öffnete den Kasten, nahm einige Tupfer heraus und deutete ihm an das Tuch von seiner linken Gesichtshälfte zu nehmen.
„Aus drei Narben werden also vier, hm?"
Er schnaubte.
„Ich schätze schon."
„Ihr Gesicht könnte man schon als Magnet bezeichnen. Woher stammen die drei Narben?", fragte sie, während sie Blut von seiner Stirn tupfte.
„Die Große hatte ich mir von einem Raubtier auf Felucia zugezogen, die andere durch einen Kommandodroiden und die letzte... stammt schon von Nax."
Stille herrschte, Vri'lia erstarrte mitten in ihrer Bewegung. Als er zu ihr hinauf sah, entdeckte er, wie sie ihn geschockt ansah, während sie versuchte ihre Augen trocken zu halten.
„Sie... Sie tragen bereits eine Narbe von ihm?"
Cale nickte stumm.
Sie wich zurück, legte das Tupfer weg und fuhr sich verzweifelt durch die Haare.
„Himmel..."
Als sie die Hände am Kopf behielt, merkte er, dass an dem Tag etwas anders an ihr war. Ihre Haare waren nicht mehr in manchen Strähnen geflochten, sondern heute hatte sie sie hochgebunden und gaben ihr schmales, auch hübsches Gesicht mit vielen Sommersprossen frei. Ihre Wange waren leicht rosa. Als sie sich wieder zu ihm drehte, fühlte Cale sich plötzlich ertappt und nahm schnell den Blick von ihr.
„Wie ist das mit der ersten Narbe von ihm passiert?"
„Ich weiß nicht so genau... Ich hatte bei ihm einen sehr schlechten Moment erwischt. Wir haben uns etwas gestritten und dann ist er vollkommen ausgetickt."
Seufzend setzte Vri'lia sich neben ihn aufs Bett und legte die Hände auf die Oberschenkel.
„Wieso habe ich nicht früher schon etwas unternommen?"
„Es ist nicht eure Schuld.", entgegnete er und wischte sich erneut mit dem Tuch das Blut ab, das in seinen Mund lief. Als Vri'lia den Blick hob und ihn direkt traf, war er gefangen, er konnte sich nicht mehr von ihren Augen lösen, die so klar und strahlend an diesem Tag waren, dass es ihm die Sprache verschlug. Auch sie sagte nichts, dann färbten sich ihre Wangen mehr rot als rosa und sie senkte den Kopf. Errötete sie wegen ihm?
Cale hatte noch nie eine Frau in Verlegenheit gebracht, geschweige denn gesehen, wie ihre Wangen sich rot färbten. Doch er wusste nicht, was er tun sollte, außer sie weiter anzusehen, wie sie verlegen auf den Boden starrte und einige lose Haarsträhnen ihr ins Gesicht fielen. Ihr Haar war äußerst schön, glatt, weich und hatte eine schöne, leicht rötliche Färbung im Licht.
„Darf ich Sie etwas fragen, Cale?", meinte sie plötzlich, drehte sich ihm wieder zu und begann den Schnitt erneut zu versorgen.
„Natürlich."
Als ihre Hand seine Wange berührte, während sie weiter die Wunde säuberte, legte sich Gänsehaut auf seinen Körper, ihm wurde plötzlich ganz warm.
„Wie alt sind Sie?"
„Vierundzwanzig, Ma'am."
Sie nickte.
„Sie sind einer der frühen Sorte. Und lassen Sie das mit dem ‚Ma'am', sagen Sie einfach Cease zu mir."
„Verstanden... Cease.", antwortete er und realisierte, dass ihr Name schön auszusprechen war. Doch für ihn fühlte es sich ungewohnt an sie bei ihrem vollen Namen anzusprechen - Sonst war sie für ihn immer Vri'lia gewesen. Nun musste er umdenken.
Cease legte das Tupfer weg, als die Blutung stoppte und sah ihn an.
„Es wäre wir lieber den Schnitt mit Synfleisch zu versorgen und ihn zuzukleben, aber ich befürchte, dass ihre Wunde zu tief ist, Cale."
Er hob die Mundwinkel.
„Eine weitere Narbe ist mir egal, seht mich doch an."
Und sie tat es. Cease musterte sein Gesicht, seine Narben, die sich vom Kinn über sein Gesicht bis ins Haar zogen, dann blieb sie an seinen Augen hängen.
„Ich sehe einen schönen, jungen Mann, der Hinterlassenschaften des Krieges auf seiner Haut trägt, Cale. Das sind Sie."
Noch nie hatte er sich so geschmeichelt gefühlt. Hitze stieg ihm in die Wangen.
Wurde er gerade etwa rot?
Verlegen senkte er den Blick, aber konnte ein breites Lächeln nicht verhindern, als sie kicherte und ihre Hand an seine Wange legte, damit er seinen Kopf wieder zu ihr drehte. Sie desinfizierte seine Wunde und es brannte höllisch, doch Cale verschlug es lediglich das Lächeln, die Röte auf seinen Wangen jedoch nicht.
„Schmerzt es?", fragte Cease.
„Ein bisschen.", antwortete er und sah zu, wie sie alles auf den Tisch vor sich legte und aufstand.
„Sie müssen sich jetzt hinlegen, damit ich besser ihre Wunde nähen kann."
Sie richtete ihr Kopfkissen und Cale legte sich nur zu gerne auf das weiche Bett, welches sich so gut anfühlte wie noch nie, dazu Cease' Duft, der ihn umhüllte und in ein ganz anderes Universum schleuderte. Als ihr Gesicht über ihm aufragte und sie begann die Nadel in seine Haut zu stechen, schloss er die Augen und blendete den Schmerz aus, bis sie ihn erneut aus seinen Gedanken riss.
„Wie geht es ihrem Zug?"
Cale blinzelte.
„Die meisten haben es halbwegs überstanden... Aber fünf Männer haben es nicht geschafft. Doch wir sind nicht die einzigen, die es hart getroffen hat. Die gesamte Legion."
Er hörte, wie sie seufzte.
„Das ist der Krieg... Ich bin keine Sympathisantin davon, einige Strategien der Republik unterstütze ich manchmal auch nicht, aber wie Commander Drayk immer zu mir gesagt hatte: Wir müssen uns damit abfinden, so schwer es auch sein mag.", erzählte sie ihm und er sah, wie ihr Blick traurig wurde.
„Gestattet ihr mir eine Frage?"
„Natürlich."
„Wie alt seid ihr?"
Cease lächelte.
„Vierundzwanzig, wie Sie es sind. Oder doppelt so alt, abhängig davon, wie man es betrachtet."
Cale lachte leise. Er spürte, wie sie die Naht vollendete, und sie schließlich desinfizierte, bevor sie alles zusammenpackte und die benutzten Tupfer wegschmiss. Widerwillig setzte er sich wieder auf und sah zu, wie sich Cease neben ihn setzte und so aussah, als würde sie über etwas nachdenken. Dann sah sie ihn an.
„Sie sind ein guter Mann, Cale. Ich... Ich möchte Ihnen sagen, dass Sie in jeder Angelegenheit, die Sie bedrückt, zu mir kommen können. Und wenn es wirklich etwas gibt, das Sie zurzeit bedrückt, dann können Sie sich auch jetzt an mich wenden."
Er schluckte, dann sah er sie wieder an.
„Nun... Ich muss zugeben, dass ich zögere, doch... Ich weiß nicht, wie ich es beschreiben soll. Damals, vor einem Jahr... Wir wussten alle, dass er gefährlich war, wenn er schlechte Laune hatte und dass irgendetwas ihn so gemacht hatte, wie er nun ist, aber als... Als er dann das erste Mal das Messer gezogen hatte, fühlte es sich an, wie der schrecklichste Verrat. Wir waren Brüder. Dann hatte Nax es zerstört.", erzählte er ihr und spürte, nachdem er seinen letzten Satz beendet hatte, ihre schmale, kleine Hand auf seinem Unterarm. Es fühlte sich warm an, geborgen, es gab ihm die Gewissheit, dass er dort nicht alleine saß. Sie war so, wie ein Zuhause sich anfühlen sollte. Doch Cale besaß keins. Er besaß gerade nur diesen Moment mit Cease.
„Menschen ändern sich, Cale. Und das meistens aus den schlimmsten Gründen, besonders im Krieg. Nax hat viel durchgemacht, wir wissen nicht was, aber es muss so traumatisch für ihn gewesen sein, dass er nun so ist. Aber ich kann nicht länger zulassen, dass er länger eine Gefährdung für Sie darstellt."
Als Cale wieder in ihre Augen blickte, entdeckte er kleine, helle und dunkle Punkte in ihrer Iris, die so schön, wie das Wasser auf Kamino waren, wenn für einen kurzen Moment die Sonne durch die Wolken brach. Cease war eine hübsche Frau, obwohl sie für ihn wie ein Mädchen war. Ein Mädchen, das für etwas zu kämpfen gezwungen wird, das keiner versteht.
„Ich weiß. Und ich danke euch dafür."
Sanft legte er seine Hand auf ihre und bekam ein Lächeln.
„Ich habe etwas für Sie."
Mit diesen Worten stand sie auf und lief zu einer Ledertasche, die an der Wand angelehnt stand, und wühlte dort herum. Als sie sich wieder zu ihm setzte, drückte sie ihm eine kleine Packung in die Hände.
„In der 546sten waren alle süchtig nach denen. Vielleicht mögen Sie sie ja auch. Dafür dass Sie heute so tapfer waren."
Cale lachte und auch Cease kicherte mit ihm.
„Karamellisierte Warranüsse... Interessant. Ich hab noch nie etwas anderes außer das Kantinenessen und Rationswürfel gegessen, ehrlich gesagt."
„Probieren Sie."
Grinsend öffnete er die kleine Packung und direkt kam ihm ein angenehmer Geruch von karamellisiertem Zucker entgegen. Dann nahm er eine der kleinen, unförmigen Nüssen heraus, betrachtete sie und steckte sie dann in den Mund. Als er den wundervollen Geschmack wahrnahm, seufzte er laut.
„Ihr hattet recht, Cease... Diese Nüsse sind wundervoll."
Cease strahlte.
„Essen Sie sie lieber auf, bevor ihre Brüder sie sehen."
Während Cale weiter genüsslich die Nüsse mampfte, schien sie an einem weiteren Gespräch interessiert zu sein.
„Wie haben Sie eigentlich ihre linke Hand verloren?"
„Hm, eine Bombe...", antwortete er kauend. „Hätte mich fast in Stücke zerrissen. Aber die Neue ist fast genauso in Ordnung... Das Synfleisch und die verschiedenen Synapsen und Bindungsstellen darunter machen sie empfindungsfähig. Zwar kein Schmerz, aber ich kann jedes kleinste Detail spüren. Jede. Kleine. Wundervolle. Warranuss."
Cale merkte gar nicht, wie gesprächig er plötzlich war, denn etwas in dieser Umgebung ließ ihn sich wohl fühlen, ließ ihn sich beruhigen und für eine kurze Zeit abzuschalten. Und mit dieser Köstlichkeit in seinen Händen war dies noch viel leichter.
„Das ist schön zu hören. Naja, bis auf das mit der Bombe. Cale... ähm... Ich möchte Ihnen noch etwas sagen. Ich weiß, dass mein Start in diese Legion sehr holprig und ungeplant war, und ich weiß auch, dass Sie mich vielleicht fehl an meinem Platz finden, aber ich möchte Ihnen sagen, dass Sie mir vertrauen können."
Er hörte auf zu kauen und sah sie mit geweiteten Augen an.
„Nein... Nein, Ma'am, äh, Cease... Ich habe nie behauptet, dass-"
„Ist schon in Ordnung, Cale.", meinte sie und lächelte sanft. „Ich werfe es Ihnen auch nicht vor, es ist nur so, dass ich ihr Unbehagen gespürt habe. Und das ist in Ordnung. Unbekanntes fühlt sich zu Beginn immer falsch an, doch wenn es bekannt wird, verliert man darüber keinen Gedanken mehr. Ich vertraue Ihnen, Cale, und sie können mir ebenfalls vertrauen."
Eine Weile sah er Vri'lia nur an spürte immer noch die Hitze in seinen Wangen.
„Ich vertraue euch ebenfalls, Cease."
Sie lächelte.
„Wenn Sie wollen, sind Sie hiermit entlassen, Lieutenant.", meinte sie, erhob sich und streckte ihm die Hand entgegen. Cale stand auf und überragte sie um fast mehr als einen Kopf. Lächelnd sah er auf sie hinab, musste sich zusammenreißen, um nicht noch einen Schritt vor zu treten. Sie wirkte so klein und zerbrechlich, als bräuchte es nur einen Droiden, der auf sie fallen müsste und all ihre Knochen wären gebrochen.
Dennoch - Cale reichte ihr die Hand.
„Auf Wiedersehen, Cease."
Dann schenkte sie ihm ihr schönsten Lächeln, das er je gesehen hatte.

White ArmorWhere stories live. Discover now