~Kapitel 17~

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Alles passierte auf einmal. Blitze drangen in den Drachen ein, ein Pfeil bohrte sich in eine Weichstelle zwischen den Schuppen, mehrere Klingen flogen wie von Geisterhand bewegt auf den Drachen zu, von oben wurde ein Dolch in das riesige Meeresungeheuer gestoßen, ein Schatten weitete sich kurz aus, bevor eine Gestalt auf dem Drachen erschien und zwei Schwerter sich in die Rippen des Tieres bohrten.

Der Meeresdrache stieß eine markerschütterndes Brüllen aus und brach auf dem Deck zusammen, wobei er krampfhaft zuckte, sich wand und dunkles Blut aus allen möglichen Richtungen auf das Schiff strömte. 

Enya hielt die Luft gegen den Gestank nach Eisen, der schwer in der Luft hing, an und watete durch die dunkle, zähflüssige Masse hindurch. Vor dem Drachenkopf blieb sie stehen. Die funkelnden Augen des Drachens sahen sie trüb vor Schmerz an. Beende es! schien das Tier ihr sagen zu wollen. Ja, es war vielleicht ein Ungeheuer, doch trotzdem hatte es nicht verdient zu leiden.

Also hob Enya das Schwert und rammte es dem Wesen in die Kehle. Der Drache gab ein gurgelndes Geräusch von sich, dann gab er ein Seufzen von sich und sah kurz dankbar zu Enya, bevor seine Augen glasig wurden und starr geradeaus sahen. Enya drehte sich zu ihren Teammitgliedern um und musste sich zusammenreißen, um sich nicht wegen des Gestanks und des Blutes, das an ihren Händen und Beinen klebte, zu übergeben. Sie holte zittrig Luft. 

,,Wir sollten ihn hier vom Schiff runter schaffen", beschloss sie und deutete auf den toten Körper des Meereswesens. Elian nickte und wollte gerade mit seiner Telekinese den Drachen ins Meer befördern, doch Enya gab ihm ein Zeichen, kurz zu warten. Sie hob noch mal das Schwert und stach dem Meeresdrachen ein Auge aus. Als sie es aufhob war es in etwa so groß wie eine Orange und sah sie kalt und dennoch feurig an. Enya nickte dem blonden Jungen zum der nun den Drachen ohne sich dabei zu bewegen, anhob, ihn über das Schiff und die Reling schweben ließ und ihm dann mit einem lauten Platschen ins Wasser fallen ließ. 

Vom Wasser her hörte man gieriges Knurren und kurz darauf wurde der Meeresdrache von seinen Artgenossen nach unten gezogen, während sie sich darum stritten, wer ihn fressen durfte. 

Enya verzog das Gesicht. Es gehörte sich nicht, seine Artgenossen zu fressen. Immer noch etwas mitgenommen ließ sie sich etwas abseits von den anderen nieder und schaute dabei zu, wie Elian das Blut aus dem Holz des Schiffes löste und in das Wasser schweben ließ, doch das bekam sie nur am Rande mit, viel zu sehr war sie damit beschäftigt, das zu verarbeiten, was gerade passiert war. 

Gedankenverloren holte sie das Auge des Meeresdrachen aus ihrer Tasche und drehte es hin und her. Die Pupille war zu einem Schlitz verengt, das Mondlicht brachte das Auge zu leuchten und es sah wirklich so aus, als wurde es in kalten Flammen stehen. Das Orange des Auges schien ihr förmlich entgegen. Ja, eine eisige Hölle war wirklich die beste Beschreibung für dieses Auge. 

Plötzlich nahm Enya eine Bewegung wahr. Ilyas ließ sich neben ihr nieder und richtete seine kristallblauen Augen auf sie. ,,Warum hast du das gemacht?", fragte er und deutete auf das orangene Drachenauge in ihrer Hand. 

,,Ich weiß nicht... es fasziniert mich", gab Enya zu. ,,Schau, die Farbe ist orange und flammendarbend, doch der Blick in diesen Augen wirkt so kalt. Es ist ein Widerspruch in sich, aber trotzdem passt es so gut", fuhr sie in ihrer Erklärung zu und hielt ihrem Freund das Auge hin, damit er es näher betrachten konnte. 

Ilyas nahm es vorsichtig in die Hand, als hätte er Angst, es kaputt zu machen und betrachtete es nachdenklich. ,,Ja, du hast recht", stellte er dann fest und Enya lächelte ihn an. Zum Glück konnte er verstehen, was sie meinte und hielt sie nicht für verrückt oder psychopathisch. 

Ilyas gab ihr das Auge zurück, dann stand er auf. ,,Du solltest mal nach den anderen schauen", riet er ihr und lehnte sich an die Reling, den Blick aufs Meer gerichtet. 

Enya beschloss seinem Ratschlag nachzugehen und stand auf, um sich nach den anderen umzusehen. Zuerst lief sie auf Freya und Naemi zu. Die beiden hatten sich dicht nebeneinander auf die Treppe gesetzt und Freya hatte ihren Kopf auf Naemis Schulter abgelegt, die sanft über die Hand des blonden Mädchens strich und sich leise mit ihr unterhielt. Enya fühlte sich fast ein wenig schlecht dabei, die beiden zu stören, dennoch trat sie zu den beiden und setzte sich neben Naemi. ,,Ist alles in Ordnung bei euch?", fragte sie fürsorglich und sah zu den beiden. 

Naemi nickte. ,,Ja, wir sind unverletzt. Aber was machen wir, wenn die Seedrachen zurückkommen?", fragte Naemi besorgt und richtete ihre dunklen Augen auf Enya, die ihr ermutigend zulächelte. ,,Mach dir da mal keine so großen Sorgen. Die sind zu sehr damit beschäftigt, ihren toten Artgenossen zu fressen", erklärte sie, wobei sie das Gesicht verzog. Dann klopfte sie ihr noch einmal auf die Schulter, sprach noch kurz mit Freya und suchte dann nach Cera und Elian. Die beiden schienen gerade in ein Gespräch verwickelt zu sein, weshalb Enya beschloss, sie in Ruhe zu lassen und sah sich nach Neo um. 

Sie entdeckte ihn an der Reling stehend, das Mondlicht ließ seine Haare silbern schimmern und Enya kam dieser Moment so bekannt vor. Das letzte Mal, als sie ihn so gesehen hatte, war sie wieder gegangen und hatte sich einfach schlafen gelegt. Dieses Mal würde sie zu ihm gehen. 

Leise trat sie nun also neben ihn und stützte sich mit ihren Unterarmen auf der Reling direkt neben ihm ab. ,,Bist du verletzt?", fragte sie ihn und sah zu ihm, er erwiderte ihren Blick, seine silbergrauen Augen schienen durch das Mondlicht noch heller und leuchteten förmlich. ,,Nein, mir geht es gut. Wir sind wirklich gerade noch mal gut weggekommen", bedachte er und Enya war sich sicher, dass er auch etwas blasser um die Nase geworden war, wahrscheinlich bei dem Gedanken an das ganze Blut, das immer noch in getrockneter Form an Enyas Kleidern hing. 

,,Das wird nicht das letzte Wesen sein, dass wir umgebracht haben", gab sie zu bedenken und sah zu Neo auf, der sie anscheinend auch zuvor die ganze Zeit angesehen hatte, denn er richtete erst jetzt leicht beschämt den Blick auf seine Hände und nickte langsam. ,,Ja... bei weitem nicht."

,,Bereust du es, an diesen Spielen teilgenommen zu haben?", fragte Enya plötzlich gerade heraus. 

,,Nein. Auf gar keinen Fall", kam es sofort ohne ein Zögern von Neo zurück und er sah ihr entschlossen in die Augen. 

,,Ich bereue es auch nicht", stimmte Enya ihm zu. Ja, sie hatte durchaus einige Zweifel gehabt, doch ihre Entscheidung hatte sie nie bereut, was vielleicht auch daran lag, dass sie sich wegen ihres Stolzes nicht eingestehen wollte, wenn sie einen Fehler gemacht hätte. Auf einmal fiel ihr wieder etwas ein. ,,Du meintest einmal zu mir, dass du solche Typen wie Elian kennst, oder? Woher?", fragte sie neugierig. 

Neo seufzte und schloss die Augen, er schien innerlich mit sich zu ringen, ob er es ihr erzählen sollte. Enya lächelte ihm nur ermutigend zu, als er fragend zu ihr sah, also holte er tief Luft und begann zu reden. ,,Weißt du, ich hatte mal eine kleine Schwester, Alva. Als sie vierzehn war, hat sie einen Jungen kennengelernt. So wie Elian gut aussehend, muskulös, auf den ersten Blick ein Mädchenschwarm. Sie hat ihn wirklich geliebt, doch für ihn war sie nur eine kleine Beschäftigung, eine von Tausenden, die er haben konnte. Er hat eine Beziehung mit ihr angefangen. Zwei Wochen lang war Alva das glücklichste Mädchen, das ich je gesehen habe. Sie ist vollkommen aufgeblüht und war durchgehend am lächeln und hat bei mir immer von ihrem tollen Freund geschwärmt. Doch nach zwei Wochen hat er sie fallen gelassen, sie einfach weggeschmissen, als wäre sie nichts, einfach ein Spielzeug, das nun nicht mehr gebraucht wurde. Sie ist in ein tiefes Loch gefallen, aus dem sie nicht mehr hinaus kam. Einmal waren wir zusammen schwimmen und irgendwann ist sie einfach untergetaucht. Ich dachte, sie würde nur Spaß machen und gleich wieder auftauchen, doch das war nicht so. Irgendwann bin ich ihr dann nachgetaucht und habe sie bewusstlos, halb ertrunken am Grund des Sees gefunden. Wir konnten ihr nicht mehr helfen, sie war eine halbe Stunde später tot. Ich wollte nicht, dass dir das gleiche passiert, vor allem, da...", seine Stimme versagte, er schaute nur auf seine Hände, die sich verkrampft am Geländer festhielten. 

Enya hatte die ganze Zeit nur bestürzt zugehört, jetzt zog sie Neo in eine Umarmung und drückte ihn fest an sich. ,,Das tut mir so leid für dich", flüsterte sie und spürte, wie Neo sanft über ihren Rücken strich und ein wenig mit einer ihrer Strähnen spielte, während sie seinen Geruch nach Wald, Lagerfeuer und Kräutern einatmete. Wahrscheinlich war seine Mutter Heilerin und er war oft im Wald. Nach einer Weile lösten die beiden sich wieder voneinander, Enya lächelte Neo noch mal zu, dann machte sie sich auf den Weg zum Bug, um Ausschau nach möglichen weiteren Meeresdrachen zu halten und auf den Sonnenaufgang zu warten. 

Kampf auf den WellenWhere stories live. Discover now