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"Emma! Die Tür!"

Tatsächlich klingelt es keinen Moment später, als hätte meine Mutter bereits vor dem Fenster gestanden und durch die Vorhänge gespäht.

Das muss Laura sein, die mich für unseren gemeinsamen Trip in die Skihütte ihrer Eltern abholt, zu welchem sie mich erst einen Tag zuvor spontan eingeladen hat.

Ich werfe einen letzten Blick in den Spiegel und überprüfe, ob mein glattes, blondes Haar sicher in seinem Pferdeschwanz befestigt ist. Anschließend schnappe ich mir grinsend meinen Rucksack - der Rest meines Gepäcks steht bereits unten in der Diele bereit - und eile die Treppenstufen hinunter ins Erdgeschoss, wo meine Mutter bereits mit tadelnder Miene auf mich wartet.

"Dass du nie pünktlich fertig sein kannst...", schimpft sie.

Schnell schlüpfe ich in meine schwarzen Stiefel, bevor ich mich mit strahlendem Lächeln zu ihr umdrehe. "Ich hab dich lieb." - Mit Blick auf die Gesichter meiner zwei kleineren Halbgeschwister, die mit großen Augen aus dem Wohnzimmer luken, korrigiere ich mich. "Euch alle!"

Besänftigt tätschelt meine Mutter meine Wange, als ich einen kurzen Kuss auf ihre drücke. "Pass gut auf dich auf. Hast du auch alles?"

Augenverdrehend greife ich nach meinem grauen Mantel und hänge ihn mir über den Arm. "Du tust ja gerade so, als wäre ich noch nie mit Laura in die Skihütte ihrer Eltern gefahren."

In diesem Moment klingelt es erneut und bevor meine Mutter einen weiteren Kommentar abgeben kann, reiße ich endlich die Haustüre auf.


"Emmchen!"

Noch ehe die Tür richtig geöffnet ist, schmeißt Laura sich mir bereits quiekend in die Arme. Taumelnd versuche ich, ihr Gewicht aufzufangen und uns beide auf den Beinen zu halten. Erfolgreich.

"Erdrück mich nicht! Ich hänge an meinem Leben", japse ich lachend.

Mit leuchtenden Augen hält sie mich eine Armlänge von sich weg - wohl um sich zu vergewissern, dass ich wirklich noch atme, bevor sie mich erneut an sich zieht. "Du hast mir so gefehlt, Bummelbiene!"

Erneut drückt sie mir beinahe die Luft ab, während der Hauch von Sauerstoff, der durch ihr dunkles volles Haar zu mir durchdringt, von ihrem Parfüm getränkt ist. Doch diesmal ist es mir egal. So groß ist die Freude über unsere Wiedervereinigung und darüber, dass es immer noch der vertraute Geruch von Coco Chanel ist, den sie trägt.

Euphorisch wiegen wir einander in unserer Umarmung, während mir prompt Glückstränen in die Augen schießen. "Du hast mir auch gefehlt, Laula!"

Viel zu lange ist unser letztes Treffen mittlerweile her. Woran, - ehrlicherweise - niemand geringeres als ich selbst Schuld bin, da ich direkt nach unserem Abschluss ein halbes Jahr ins Ausland abzischen musste.

"Du musst mir alles über Australien erzählen, dass weißt du, oder?!", fordert sie.

"Dabei warst du doch quasi live mit vor Ort", bemerke ich grinsend und spiele auf unsere täglichen FaceTimeSessions an.

"Telefonieren ist ja wohl nicht das gleiche!", entrüstet sie sich.

Wo ich ihr nur zustimmen kann, da mir der Unterschied, nun, da wir uns tatsächlich wieder richtig gegenüberstehen, mehr als bewusst wird. "Jetzt, wo du's sagst... Wo sind denn die schlechte Wlanverbindung, samt stockender Ton- und Bildqualität? Sag mal, bist du echt?"

Theatralisch patsche ich ihr im Gesicht herum, wobei ich darauf achte, weder ihre Frisur, noch ihr Make-up zu ruinieren.

Mit wedelnder Hand, als verscheuche sie eine lästige Fliege, wehrt sie mich ab. "Du bist so eine Spinnerin! Und nur um dir das in Erinnerung zu rufen: DU warst die mit der schlechten Wlanverbindung, mitten im Urwald!"

"Hach, ein Glück magst du Spinnerinnen", seufze ich erleichtert und drücke sie einmal mehr an mich, was sie mehr als bereitwillig über sich ergehen lässt.

Wer weiß wie lange wir noch mit Begrüßungsduseleien beschäftigt gewesen wären, hätte uns in diesem Moment nicht ein ungeduldiges Hupen unsanft in die Realität zurückgeholt.

"Ich störe ja ungern, Baby, aber wir stehen im Halteverbot!", ruft eine mir bekannte Stimme.

Synchron heben wir die Köpfe, während ich meine Augen zusammenkneifen muss, um durch den dichten Nebel in der Stadt etwas zu erkennen. Es ist ein rotblonder Typ, der sich aus dem heruntergelassenen Beifahrerfenster des schwarzen Q8 lehnt, welcher auf der gegenüberliegenden Straßenseite wartet. "Sag bloß... Wenn das mal nicht Mike Roberts ist!"

Wie von selbst bewegen sich meine Beine auf den eleganten Schlitten zu, während sich der rotblonde hochgewachsene Kerl bereits aus dem Wagen schält, um mir ebenso erfreut entgegen zu kommen. "Ein Glück bist du endlich wieder zurück. Laura hat die letzten Tage von nichts anderem mehr geredet!", witzelt er, als wir uns voneinander lösen.

"So ist das eben mit Legenden", zwinkere ich.

Atemlos kommt Laura bei uns an und wirft mir einen entschuldigenden Blick zu. "Sorry, ich konnte die Jungs nicht davon abhalten, mitzukommen. Aber mir wurde versprochen...", sie piekst ihrem Freund vielsagend in den Bauch, "dass sie uns nicht den ganzen Urlaub über am Arsch kleben werden."

"Was eine Herausforderung wird, da ich deinen Arsch liebe."

Während die beiden herumturteln, als wären sie frisch verliebt und nicht schon über zwei Jahre ein Pärchen, registriere ich dumpf, dass Laura die Pluralform verwendet hat.

Noch bevor diese Information weiterverarbeitet und mir die Tragweite dessen klar werden kann, spüre ich plötzlich, wie sich die Atmosphäre um mich herum verändert, als jemand zu mir tritt.

Meine Kopfhaut prickelt, jedoch nicht vor Kälte und zeitgleich dazu verdoppelt sich mein Herzschlag. Noch bevor ich seine Stimme höre, weiß ich, dass er es ist.

"Kann ich dir das abnehmen?", langgliedrige Finger deuten in Richtung meines Rucksackes, den ich noch immer geschultert trage. Seine Stimme ist samtweich und geht mir direkt unter die Haut. Ohne etwas dagegen tun zu können, inhaliere ich seinen moschusartigen Geruch. Visionen aus der Vergangenheit erfassen mich und drohen, mich mit sich zu reißen.

Langsam hebe ich meinen Blick und treffe auf ein Paar kristallblauer Augen.

Just in diesem Moment setzt mein Herz einen Schlag aus, bevor es mir in freiem Fall bis in die Hose rutscht.

Fuck.

Sparkling eyesWhere stories live. Discover now