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Bastis Sicht:

Ich halte Emma am Arm zurück, als sie den Laura und Mike nach draußen zu meinem Auto folgen will. Überrascht sieht sie zu mir auf.

"Warte." 

Sanft greife ich nach dem Reißverschluss ihres grauen Mantels und ziehe ihn bis unter ihr spitzes Kinn zu. Sie verfolgt meine Bewegung. "Ich kann auch selbst meine Jacke zuzumachen."

Mein Grinsen wird breiter, als ich mich zu ihr vorbeuge. Dabei achte ich darauf, dass wir uns im Schutz des dunklen Eingangsbereichs befinden, weil ich weiß, dass es ihr unangenehm wäre, wenn Laura und Mike etwas von unserer Vertrautheit mitbekommen. "Oh, dass hoffe ich doch. Aber du hättest es nicht getan und ich kann unmöglich verantworten, dass du krank wirst."

"Spinner!", gespielt genervt rollt sie ihre Augen. 

"Dein Spinner", erwidere ich schlicht, bevor ich ihr einen Kuss auf die wunderschön geschwungenen Lippen hauche. Ihre Augen weiten sich, bevor sich ihre Mundwinkel endlich zu einem kleinen Grinsen anheben. Obwohl sich dadurch der aufgewühlte Ausdruck in ihren Augen etwas legt, der seit heute morgen sichtbar ist, verschwindet er nicht vollständig. Noch immer sehe ich in dem Grau ihrer Iris, die heute eine dunklere Nuance hat, das irgendetwas sie durcheinanderbringt. 

Besorgt runzele ich die Stirn. "Alles in Ordnung?" 

Sie zögert, öffnet ihren Mund. Für einen Moment scheint es, als wolle sie etwas sagen, dann jedoch verziehen sich ihre Lippen lediglich zu einem Lächeln. Beruhigend drücken ihre zierlichen Finger meine Hand. "Ja. Lass uns gehen, bevor die anderen noch ohne uns fahren und wir an Weihnachten mit leeren Händen dastehen."

"Das werden sie sich nicht trauen." 

"Weil sie es sonst mit dir zu tun bekommen?"

"Genau!" Obwohl ich grinse, werde ich das Gefühl nicht los, dass sie mir etwas verheimlicht. Dennoch möchte ich sie nicht dazu drängen, mit der Sprache herauszurücken, weshalb ich ihr schließlich folge. 

***

"Wir müssen unbedingt zu Mango, Zara, Douglas und in die Parfümerie", zählt meine Schwester auf dem Weg in die Innenstadt eifrig auf. Sie läuft voller Euphorie über die anstehende Shoppingtour sogar voraus, was sonst selten der Fall ist.

Mike und ich werfen uns gequälte Blicke zu und fragen uns wohl oder übel, was uns nochmal zu der Entscheidung bewogen hat, mitzukommen. Dann aber fällt mir wieder ein, dass ich bisher kaum Geschenke für Weihnachten beisammen habe. Womit wir offensichtlich nicht die Einzigen sind. Die Fußgängerzone ist nämlich gut gefüllt, als wir ankommen und wir müssen aufpassen, uns in dem Gedränge nicht zu verlieren. 

"H&M und die Buchhandlung dürfen wir aber auch nicht vergessen!", erinnert Emma uns, während sie bei dem Gedanken an den bevorstehenden Kaufrausch spürbar ausgelassener wird.

Auf einmal bin ich mehr als froh, den Tag nicht wieder allein mit Mike auf der Piste, sondern zusammen mit ihr zu verbringen. Sie läuft so nah neben mir, dass es ein Leichtes gewesen wäre, nach ihrer Hand zu greifen und unsere Finger miteinander zu verschränken. Doch im letzten Moment widerstehe ich dem Drang und begnüge mich stattdessen damit, ihr einen belustigten Blick von der Seite zuzuwerfen. "Noch mehr Bücher?"

Entrüstet erwidert sie meinen Blick: "Natürlich! Davon kann man nie genug haben."

Ich grinse. Sie sieht so süß aus, wenn sie sich aufregt, dass ich sie am liebsten sofort zu einem Kuss an mich ziehen würde.

Seit ich mich erinnern kann, gehören Bücher zu ihren ständigen Begleitern. Bei unseren bisherigen Skiurlauben, bei Autofahrten zu diversen Ausflügen, zu denen meine Familie sie mitgenommen hatte (von Tiergartenbesuchen, über Theatervorstellungen bishin zu Konzerten) -  ja sogar damals schon im Schulbus. Nirgends ging sie ohne Buch im Rucksack hin und in jeder freien Minute zog sie es heraus um ihre feine Nase hineinzustecken. Schon damals, als ich noch keinen wirklichen Gedanken an das andere Geschlecht verschwendete, hatte ich ihr gerne dabei zugeschaut. Denn wenn sie las, vergaß Emma ihre Schüchternheit und verwandelte sich selbst in ein offenes Buch. Dann war ihr jede einzelne Emotion, die die Geschichte in ihr auslöste, augenblicklich anzusehen. 

Kein Wunder also, dass sie auch diesmal mehr als fündig wird, als wir ein paar Stunden später zu zweit den kleinen gemütlichen Laden betreten (während der arme Mike von meiner Schwester dazu verdonnert wurde, sich neue Schuhe zu kaufen). 

Mit glitzernden Augen gleitet Emmas Blick über all die Buchregale, bevor anschließend zögerlich näher tritt, als überschreite sie die Grenze zu einer magischen Welt. Und dann taucht sie darin ein. Gleitet gedankenverloren mit den Fingerspitzen über die Buchrücken, zieht den ein oder anderen Wälzer heraus und saugt den Klappentext begierig in sich auf. 

Ich lasse sie machen und suche mir währenddessen einen Platz in einer ruhigeren Ecke, um auf sie zu warten. Bei dem Bild, das Laura mir wenig später sendet, lache ich unwillkürlich auf. Darauf zu sehen ist Mike, während er zwei unterschiedliche Paare Schuhe an den Füßen trägt und mit einem weiteren so tut, als möchte er diesen wutentbrannt nach der Fotografin werfen. 

Gerade, als ich eine Antwort tippen möchte, rutscht mir ein Buch in den Schoß. Erschrocken hebe ich den Kopf und entdecke Emmas rosiges Gesicht hinter einem riesigen Bücherstapel, den sie mehr oder weniger erfolgreich auf ihren Armen balanciert. 

"Sorry. Leg es einfach wieder obendrauf."

Entgeistert sehe ich sie an: "Willst du die etwa alle kaufen? Das sind doch locker...", schnell überfliege ich den Stapel. 

"- zwölf", beendet sie stolz meinen Satz.

"ZWÖLF?! Wann willst du die denn alle lesen?"

"Keine Sorge, das ist doch nur meine Vorauswahl." Sie stellt den instabilen Stapel auf dem Tischchen neben mir ab und breitet die Bücher vor sich aus. Dann seufzt sie leise.

"Was ist?"

"Jetzt beginnt der schwierige Teil des Bücheraussuchens", erklärt sie. Erstaunt betrachte ich, wie sie alle Bücher nochmals inspiziert und sie dann sortiert, wobei manche Bücher zuerst auf dem linken, kleineren Stapel landen und anschließend doch wieder auf den rechten gelegt werden.

"Und wie viele willst du kaufen?"

Einen Moment kaut sie gedankenverloren auf der Lippe. "Am liebsten alle."

"Und warum dann dieser Aufwand?", ich deute auf das riesige Durcheinander. 

"Na, weil das doch nicht geht."

"Warum nicht? Ich kaufe sie dir."

"Nein", bestimmt schüttelt sie den Kopf. Dann deutet sie um sich. "Die Auswahl ist doch das schönste an der ganzen Sache. Ich muss entscheiden, welche Bücher es wirklich wert sind, gelesen zu werden. Welche mich bereits vom Einband, dem Klappentext und den ersten paar Sätzen so neugierig auf mehr machen, dass ich sie kaufen MUSS." 

Obwohl ich nicht ganz verstehe was sie meint, schleicht sich bei ihrer Lebhaftigkeit ein Lächeln auf meine Lippen. Und dann kann ich nicht mehr anders als sie auf meinen Schoß zu ziehen und zu küssen. "Was machst du nur mit mir?", frage ich sie leise und aufrichtig, weil ich es selbst nicht ganz verstehe. 

Sparkling eyesWhere stories live. Discover now