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"So, schieß los! Seit wann läuft da was mit meinem Bruder", raunt mir Laura mit begierig glitzernden Augen ins Ohr, kaum dass wir uns auf den Weg zu den Toiletten machen. 

"Nicht so laut!", zische ich und senke den Blick um meine Schamesröte zu verstecken, bevor ich sie eilig mit mir die Treppe hinunterziehe. Weg von dem Lokal mit den voll besetzten Tischen, dorthin wo wir ohne fremde Ohren reden können. Erst an dessen Fuße hebe ich den Kopf: "Kommt jetzt eines deiner Kreuzverhöre?"

Sie grinst: "Und ob! Du erzählst mir ja sonst nichts. Also?"

Mittlerweile sind wir bei unserem Ziel angekommen. Ich verziehe meinen Mund und drehe mich schuldbewusst zu ihr um. "Tut mir wirklich Leid, Laula. Ich wollte dir ja wirklich davon erzählen, aber..."

"Darum geht es doch gar nicht", winkt sie ab. "Ich hätte mich an deiner Stelle wahrscheinlich auch nicht gleich eingeweiht. Ist ja schließlich nicht irgendein Typ sondern mein Bruder. Deshalb habe ich dich bisher auch nicht zu mehr Infos gedrängt. ABER jetzt fordere ich mein Recht als beste Freundin ein. Ich will alles wissen!"

"Du lässt nicht locker, was?"

Prompt schüttelt sie den Kopf. 

"Okay", seufze ich schließlich. "Aber dann lass mich wenigstens noch kurz vorher aufs Klo gehen."

Ungeduldig wedelt sie mit ihrer Hand. "Aber schnell!"

Als ich meine Kabinentür ein wenig später wieder aufstoße und heraustrete, steht sie noch immer bei den Waschbecken und frischt sich ihr Make-up auf. "Hah! Ich wusste in dem Moment, als du aufgesprungen bist um mit aufs Klo zu kommen, dass du nicht wirklich musst!", feixe ich, während ich mir meine Hände wasche.

Lachend schließt sie ihren roten Lippenstift und lässt ihn zurück in ihre Clutch gleiten, bevor sie mir einen amüsierten Seitenblick zuwirft. "Und ich wusste, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis ihr zwei zueinander findet!"

Das trifft mich vollkommen unvorbereitet. "Was? Woher...?", stottere ich, während mir das Papierhandtuch beinahe aus der Hand rutscht.

"Also bitte! Du stehst doch schon seit Jahren auf ihn, Emma. Das war mir allerspätestens klar, als alle Typen, die du attraktiv fandest dunkelhaarig, groß und blauäugig waren, du ebendiese aber immer abgewimmelt hast, zeitgleich aber immer rot geworden bist, wenn Basti dich angesprochen hat."

"Oh", ich lasse mich auf die kleine Bank sinken, die gegenüber der Spiegel steht und versuche, ihre Worte zu verarbeiten. Sie wusste also die ganze Zeit über, dass ich etwas von ihrem Bruder wollte? "Warum hast du nie etwas gesagt?"

Schulterzuckend lässt sie sich neben mich sinken. "Am Anfang wollte ich das. Ich sogar einmal eine Phase, in der ich irre sauer auf dich war, nachdem wir auf dem Miley Cyrus Konzert waren und du den ganzen Abend über wie ein Kaugummi an ihm hingst."

"Das war ja schon in der sechsten Klasse!", warf ich erstaunt ein. 

Sie nickt. "Dann aber habe ich mit meiner Mutter darüber gesprochen."

"Was?! Miranda wusste es auch?!"

"Emma, gefühlt jeder bis auf Basti wusste davon! Du bist auf der Rückfahrt damals sogar an seiner Schulter eingeschlafen!" 

"Oh Gott ist mir das peinlich!" Ich schlage mir die Hände vor den Kopf und blinzle durch die Finger zu meiner besten Freundin hindurch, die mich amüsiert beobachtet. "Na los! Spuck's schon aus was sie gesagt hat! Schlimmer kann es wohl kaum werden."

Ein kleines Lächeln schleicht sich auf ihr Gesicht. "Sie hat mir erklärt, dass man sich nicht aussuchen kann, in wen man sich verliebt, sonst hätte sie sicherlich nicht meinen Vater ausgewählt." Ich grinse bei der Vorstellung leicht. Das passt zu ihr. 

"Das hat mich zum Nachdenken gebracht", fährt meine beste Freundin fort. "Aber richtig verstanden, was sie meint, hab ich es erst, als mein Bruder Mike mit nach Hause gebracht hat. Im Prinzip war die Situation ja die gleiche, schließlich war er anfänglich auch nur ein Freund meines Bruders. Im Gegensatz zu dir hatte ich jedoch das Glück eine uninvolvierte Freundin, als Beraterin an meiner Seite zu haben - Dich."

So hatte ich das Ganze nie betrachtet. Aber tatsächlich, nun wo sie es sagte, fielen mir die Parallelen wie Schuppen von den Augen.

Doch etwas entfachte noch immer meine Neugier. "Und warum meintest du vorhin, dass es klar war, dass wir früher oder später zueinander finden würden?"

Die eigentliche Frage, die in mir brannte, die ich mich aber nicht zu stellen traute, war, ob auch Basti schon seit Jahren auf mich stand. Ohne dies aussprechen zu müssen, verstand Laura, worum es mir wirklich ging. 

"Für uns Umstehende war das schon immer klar, weil ihr wie die Faust aufs Auge zueinander passt. Von eurem Drang zur Ironie, den gleichen Essensvorlieben, eurer Art zu sprechen und die Tatsache, dass ihr Beide alles für die Leute tun würdet, die euch am Nächsten stehen. So wie du Mike bei unserem ersten Streit zur Rede gestellt hast und Basti sich damals die Narbe über seinem Auge für mich eingefangen hat, als der Nachbarjunge mich gehänselt hat. Wir haben bloß darauf gewartet, dass auch er sich eingesteht, warum er nie die Augen von dir lassen kann und dir gegenüber schon seit jeher einen ausgeprägten Beschützerinstinkt hat. Aber Jungs sind ja bekanntlich immer Spätzünder. Und er offensichtlich der Allergrößte davon!"

Unweigerlich denke ich an seine Worte von heute Nachmittag: "Mir tut es Leid, dass ich so ein Idiot war. Dass ich so lange verleugnet habe, dass ich mehr für dich empfinde, als man es für die beste Freundin einer kleinen Schwester normalerweise tut - sogar vor mir selbst." 

"Aber jetzt bist du dran!", reißt Laura mich aus meinen Gedanken. "Also erzähl schon, wie hat er den ersten Schritt gemacht und vor Allem wann?"

"Nun... Um genau zu sein...- war das ich." Und dann erzähle ich ihr endlich alles. Beginnend von der Abschiedsparty bis jetzt. Jedes kleinste Detail - na gut, abgesehen von unseren Knutschereien und der Tatsache, wie gut er küssen kann natürlich.


Als wir schließlich wieder zu unserem Tisch zurückkehren, hat sich das Restaurant bereits beträchtlich geleert und die Jungs sehen sich irgendwelche Fußballvideos an, heben jedoch die Köpfe, als sie uns entdecken.  

"Na endlich! Wir dachten schon, ihr seid ins Klo gefallen!", neckt Mike, während Basti einen Arm um meine Hüfte schlingt und mich zu sich heranzieht. "Alles in Ordnung?", raunt er, sodass nur ich es höre. Ich finde es süß, dass er sich vergewissert, ob ich Lauras Inquisition heil überstanden habe. Nickend lege ich die Arme um seine Schultern und flüstere. "Ja, aber jetzt werd ich langsam müde."

"Wenn das so ist, sollten wir mal zahlen und dich ins Bett schaffen, Baby." Er greift nach meiner Hand und drückt einen sanften Kuss in die Innenfläche, was augenblicklich ein Ziehen in meinem Unterleib auslöst. Dann lächelt er liebevoll zu mir auf, was mich dahinschmelzen lässt. 


***

Später liege ich in seinen Armen und beobachte in dem dämmrigen Licht der Nachtischlampe, wie sein Daumen immer wieder sanft über meinen Handrücken streicht. Die dazugehörige Hand ruht auf seiner Brust, direkt über seinem Herzen und ich kann seinen Herzschlag durch das T-Shirt hindurch spüren. Obwohl ich vorhin noch so müde war, kann ich nun kein Auge zumachen, da es vorerst unsere letzte gemeinsame Nacht ist. Deshalb genieße ich die letzten Stunden unserer Zweisamkeit, bevor es am nächsten Morgen zurück nach Hause geht. 

"Woran denkst du?", murmelt er leise gegen meine Schläfe.

Ich schlucke. "Daran, dass ich es vermissen werde, dich die ganze Zeit um mir zu haben. Dich vermissen werde."

Nun ist es raus. Mit klopfendem Herzen warte ich auf seine Reaktion.

Der Griff um mich wird fester und ich spüre, wie er seine Nase in meinem Haar vergräbt. "Ich werde dich auch vermissen, Emm." Seine Stimme klingt rau. "Aber wir haben noch ein paar Tage, bis ich wieder in die Uni muss und auch dann werden wir uns so oft es geht sehen. Das hier ist nicht das Ende sondern der Anfang, Baby."

Es sind seine schönen Worte und all die Versprechungen die in ihnen mitschwingen, mit welchen mir schließlich die Augenlider zufallen und ich in einen tiefen Schlaf gleite.




Sparkling eyesWhere stories live. Discover now