1-vergangenheit

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„Avery gib mal ein bisschen Gas!" leise ging ich den Gang entlang, um Mom ein bisschen zu erschrecken. Als ich um die Ecke kam, war sie schon aus der Tür. „Komm, ich habe noch einen Termin bevor wir zu den Lancesters fahren!" Sie half mir ins Auto und ich machte es mir im Kindersitz bequem. Obwohl ich es kaum erwarten konnte, endlich in keinem Kindersitz mehr sitzen zu müssen, gab ich zu das es sehr angenehm war. Schon als wir um die erste Kurve bogen fielen mir meine Augen zu und ich driftete ab.

„Hey, Paul! Gib das her!", lachte ich und riss meinem besten Freund meinen Amethysten aus der Hand. „Mom hat gesagt, dass sie mir daraus eine Kette macht, damit ich ihn immer dabei hab!" Paul nickte und deutete auf sein Handgelenk, auf dem er ein Armband mit einem Bernstein trug. „Wir müssen noch schnell die Hausaufgaben machen, damit wir später noch üben können!", meinte er und wir machten uns an die Arbeit.

Ich sah Mom entsetzt an. „Was? Ich dachte ich muss nur solange üben, bis ich meine Gabe gefunden habe?" sie blickte in meine Augen. „Ja Schatz. Aber ich war doch letztens bei Waltraud und sie hat mir und Patrizia etwas gesagt..." Waltraud. Diese alte Hexe die anscheinend immer alles wusste. „Also kannst du mir jetzt mal erklären, warum ich ein Jahr Schulpause machen muss? Andere Mütter würden ihr Kind auslachen, wenn es mit 13 die Schule abbrechen wollen würde!" Ich verlor fast meine Fassung. „Avery. Du weißt, dass es in unserer Blutlinie immer wieder Hexen gibt. Ich bin eine, dein Grandma war eine und du auch. Bis jetzt haben wir gedacht, dass du so wie ich eine bestimmte Gabe haben wirst, die sich aber erst später zeigen wird. Doch es gibt da so etwas wie ein Orakel, was bestimmte Prophezeiungen machen kann." Ich fühlte mich wie im falschen Film. Was kam als nächstes? Vampire? „Auf jeden Fall heißte es, dass es in dieser Generation unserer Familie und der der Lancesters eine Hexe gibt, die eine ganz besondere Gabe haben wird. Die mächtiger sein wird als jeder Hexe es gewesen ist. Und da die Lancesters ja nur einen Sohn, also Paul, haben... Du bist die einzige Hexe in der Generation. Waltraud hat gemeint, dass du direkt morgen zu ihr nach Pennsylvania fliegen wirst und sie dich dort auf deine Aufgabe vorbereiten wird."

„Ich kann das nicht!", grummelte ich vor mich hin. Waltraud sah mich vorwurfsvoll an. „Konzentrier dich! Du musst dich ganz auf deinen Amethysten konzentrieren." Vor mir stand Henry. Er war ein Soldat gewesen, der im 2. Weltkrieg gefallen war. Seit seinem Tod hatte er immer versucht, seine Aufgabe zu erfüllen und endlich auf die andere Seite zu kommen, doch es war ihm nicht gelungen. Seine hoffnungsvollen Augen gaben mir Motivation. Ich war seine letzte Hoffnung. Mit meiner Gabe konnte ich erkennen, was die Geister für eine Aufgabe haben und ihnen so helfen endlich ihren Frieden zu bekommen. Ich schloss die Augen und konzentrierte mich auf den kühlen Stein in meiner Hand. Es war zunächst dunkel, und gerade als ich dachte, dass ich es wieder nicht geschafft hatte, blitzte es und ich war mitten auf einem Schlachtfeld.

Waltraud brachte mir mein Abendessen aufs Zimmer. „Das hast du heute gut gemacht! Henry kann nun endlich in Frieden ruhen!" Ich nickte ihr zu und sank in mein Kissen. Ich war komplett ausgelaugt, das Erkennen der unerfüllten Aufgabe hatte mir jegliche Kraft geraubt.

Erschrocken wachte ich auf. Es war kalt in meinem Zimmer. Ich sah auf meinen Wecker. 5:30. Seufzend starrte ich an die Decke. Immer öfter träumte ich nachts nicht mehr sondern erlebte bestimmte Momente meiner Kindheit immer und immer wieder. Es war anstrengend genug, das alles einmal zu erleben, da brauchte ich es nicht jede Nacht nochmal tun. Als ich erkannte, dass ich nicht mehr einschlafen konnte, stand ich auf und zog mir meine Sportklamotten an. Draußen begann ich langsam loszulaufen, als ich plötzlich eine Gestalt am Straßenrand erkannte. Ich ging langsam auf sie zu. Es war ein Mädchen in meinem Alter. „Hey, alles in Ordnung?", fragte ich sie besorgt, da sie weinte. „Du kannst mich sehen? Gott sei Dank!" Ich nickte. „Also bist du ein Geist?" Sie nickte. „Ich habe keine Ahnung was passiert ist, aber ich kann kein Geist sein! Ich will lieber ganz tot sein! So könnte ich wenigstens meinen Dad wiedersehen." Ich sah sie lange an. „Du bist hier, weil du eine Aufgabe hattest, die du in deinem zu kurzen Leben nicht erledigen konntest. Wenn du diese Aufgabe erfüllst, kannst du auf die andere Seite." Ihr Gesicht hellte sich auf. „Ich weiß was es ist! Ich muss bestimmt den frischen Orangensaft meiner Mom trinken!" ich schüttelte den Kopf. „Das ist ein sehr ungewöhnliches..." ich kam nicht dazu, ihr meine Hilfe anzubieten. Sie war weg. Ich lächelte und setzte dann meinen Lauf fort.

other side | julie and the phantomsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt