Kapitel 2

634 45 5
                                    

Leider hatte sich das Schicksal wie zu erwarten gegen einen Vertretungslehrer entschieden.

Pünktlich um 14 Uhr kam also Frau Bremer mit einem viel zu enthusiastischen Gesichtsausdruck herein und warf ihre Tasche auf das Pult.

Wenn sie gerade frisch aus der Ausbildung kommen, sind Lehrer meistens so euphorisch, aber die gnadenlose Realität wird auch sie bald in gleichgültige Roboter verwandeln. Und ich weiß nicht, ob es unterhaltsam oder doch eher verstörend ist, ihnen beim Zerfall zuzugucken.

Auch wenn ich zugeben muss, dass ich abwechslungsreichen Unterricht und aufgeschlossene Lehrer bevorzuge, muss man bei dieser Art wesentlich mehr tun, da sie ständig mit irgendwelchen tollen neuen Projekten oder Gruppenarbeiten um die Ecke kommen.

„Ich habe gute Nachrichten für euch", begrüßte uns Frau Bremer mit einem strahlenden Lächeln.

„Die Stunde fällt aus, weil sie Freddie dringend aus dem Kindergarten abholen müssen?", rief ein Junge aus der vorletzten Reihe.

Frau Bremers Lächeln verschwand schlagartig und kehrte dann im Bruchteil einer Sekunde wieder, doch diesmal war es künstlich, sehr künstlich. Daran, dass sie uns von ihrem Meerschweinchen Freddie erzählt hat, wird sie wohl noch lange erinnert werden.

„Auch wenn ich das Szenario, das unsere Stunde ausfällt, ebenfalls begrüßen würde, muss ich dich da doch leider enttäuschen, Phillip."

Irgendjemand in der hintersten Reihe buhte.

„Da die Halbjahreszeugnisse anstehen, werdet ihr alle in den nächsten Wochen an Projekten arbeiten. Diese Projekte werden fünfzig Prozent eurer Endnote ausmachen, also strengt euch an. Die Themen sollen in Partnerarbeit erarbeitet werden, wenn ihr also so freundlich wärt, euch nun in Zweiergruppen zusammen zu tun ..."

In genau solchen Situationen zeigt sich wieder einmal besonders schön die Monarchie einer jeden Schule: Jeder sucht sich einen Partner, der in der gleichen Schublade vor sich hinvegetiert wie er selbst. Die extrovertierte Schülerin, die jeder für zu aufdringlich hält, arbeitet mit ihrer introvertierten Freundin, die niemandem auffällt. Der sportliche Typ arbeitet mit seiner beliebten Freundin. Und Melissa Lord, unsere Queen Bee, erweist einem ihrer treuen Fans die Ehre.

Auch das ist eigentlich ganz einfach: So war es schon immer und so wird es auch immer sein. Und ganz ehrlich? Ich finde das nicht mal schlimm, schließlich kann so jeder in seiner eigenen Komfortzone bleiben. Jedenfalls wenn man mal von den armen Seelen absieht, die gerade eine gerade Anzahl an Freunden im Kurs haben und dann mit jemandem arbeiten müssen, mit dem sie sonst wohl nie im Leben gesprochen hätten.

Ich wurde von Frau Bremers immer noch viel zu motivierter Stimme aus meinen Gedanken gerissen.

„Okay, meine Lieben, hat jetzt jeder einen Partner?"

Ich bemerkte, wie alle meine Klassenkameraden ihre Köpfe verdrehten, und instinktiv tat ich dasselbe. Wie sich dadurch herausstellte, starrten sie alle auf ein Mädchen in der dritten Reihe. Ich kannte sie flüchtig, da sie außer Bio noch einige weitere Kurse mit mir zusammen hatte, doch hatte ich vermutlich noch nie ein Wort mit ihr gesprochen. Jedenfalls nicht, dass ich mich daran erinnern könnte ...

Dennoch war ich mir ziemlich sicher, dass sie eine von Melissas besten Freundinnen war, was auf jeden Fall erklären würde, warum sie alle anstarrten. Jemand aus der High Society findet keinen Partner? Skandalös, sowas gehört auf die Titelseite der Bild!

Ich grinste in mich hinein, während Frau Bremer damit beschäftigt war, das verlassene Mädchen in einer Gruppe unterzubringen.

„Vera?" Ich riss den Kopf zur Tafel. „Ja?"

„Du hast doch auch noch keine Gruppe, oder? Möchtest du nicht gerne mit Minou zusammenarbeiten?"

Ich lachte unbeabsichtigt auf und erntete dafür direkt einen strafenden Blick von Frau Bremer. „Sorry", versuchte ich die Wogen zu glätten, „aber mir geht's gut, ich arbeite mit Simon."

Simon, Lina und ich sind seit dem Kindergarten befreundet, aber ich war noch nie so erfreut darüber, im gleichen Kurs zu sein wie mein bester Freund, wie heute.

„Tut mir leid, Vera, aber Simon ist bereits in einer Gruppe mit Isa."

Ich drehte den Kopf nach links und starrte meinem verräterischen Freund in die Augen. Er strich sich eine blonde Strähne aus der Stirn und formte tonlos mit den Lippen die Wörter „Es tut mir leid".

Trotzig reckte ich das Kinn vor, musste mir dann jedoch auf die Lippe beißen, um nicht zu grinsen, als ich sah, wie Simon einen unsicheren Blick zu Isa herüber warf. Seit wir in die Mittelstufe kamen, stand er auf das schüchterne Mädchen, hatte sich jedoch nie getraut, sie anzusprechen. Und ich schwöre, würde das nicht bedeuten, dass ich mit einer der besten Freundinnen der Klassenzicke zusammenarbeiten müsste, hätte ich mich sogar für ihn gefreut.

Ich richtete meine Aufmerksamkeit wieder auf unsere junge Biologielehrerin, die nicht so recht zu wissen schien, wie sie mit der Situation umgehen sollte.

„Hubs", sagte ich und lächelte sie strahlend an. „Dann arbeite ich natürlich gerne mit Minou."

Man konnte in Frau Bremers Gesicht ganz genau sehen, was in ihrem Kopf vorging: Kurz schien sie zu überlegen, ob ich von dem ganzen vielleicht doch nicht so angetan war, wie ich es zum Ausdruck brachte, doch dann entschied sie sich wohl doch gegen diese Theorie und ihre Gesichtszüge entspannten sich und sie lächelte mich an. Wenigstens ihre Welt war wieder heil.

Ich warf einen Seitenblick zu Minou, die immer noch von allen, die nicht gerade damit beschäftigt waren, mich zu beobachten, angestarrt wurde. Ihr Gesicht war hellrosa angelaufen, aber es wunderte mich, dass man das unter der Schminke überhaupt erkennen konnte.

Ich persönlich hatte die ganze Sache mit dem Schminken bereits mit dreizehn aufgegeben, nachdem Lina es geschafft hatte, mich dazu zu überreden, sie an meinem Gesicht rumzuexperimentieren zu lassen, denn das war ein fataler Fehler gewesen: Nicht nur, dass es unglaublich merkwürdig ausgesehen hatte, es hatte sich auch einfach nur falsch angefühlt. An dem Tag hatte ich also beschlossen, – sehr zum Leidwesen Linas – dass Schminken einfach nichts für mich ist und dabei blieb es auch.

Minou schien es da ganz anders zu gehen. Wie auch Melissa und die anderen weiblichen Mitglieder der Elite hatte sie mehr Kosmetikartikel im Gesicht, als ich hätte benennen können, auch wenn ich fairer Weise zugeben muss, dass das eine sehr niedrige Messlatte ist.

Ich beschloss, dass es ein ziemlich hohes Risiko war, die Hälfte meiner Gesamtnote in Bio von einem Mädchen abhängig zu machen, dessen bisher größte Leistung es war, Melissa Lord nachzulaufen und anderen das Leben zur Hölle zu machen und entschied mich dazu, dass Projekt allein zu bearbeiten.

Minou aber schien mindestens genau so unglücklich über die Situation zu sein wie ich, was ich absurd fand, wenn man bedenkt, dass ich in Bio locker drei Noten über ihr stehe. Sie sollte dem Schicksal also dankbar sein, aber stattdessen wirkte es eher so, als wäre ihre einzige Sorge, was die andern von ihr denken würden, jetzt, wo sie mit jemandem wie mir arbeiten musste. Fast wäre ich gekrängt gewesen. Idiotin.

Zebrawelt ✔Where stories live. Discover now