Kapitel 16

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Ich sprang auf und versuchte mich an den anderen vorbei aus der Bank zu schlängeln.

„Vera?", ich hätte nicht sagen können, ob Verwunderung oder Sorge in Minous Stimme mitschwang, aber das war im Moment für mich auch nicht relevant. Ich verließ fluchtartig das kleine Diner und rannte, als ich endlich auf der Straße angekommen war, einfach los.

Ich hätte auch nicht sagen können, wie lange ich so gerannt bin, aber ich machte erst halt, als ich bemerkte, dass ich meine Umgebung nicht mehr zuordnen konnte. Ich blieb stehen und stütze mich auf meinen Knien ab, während ich versuchte, japsend wieder zu Luft zu kommen.

Als sich mein Puls einigermaßen wieder beruhigt hatte, setzte ich mich auf den Bordstein des Bürgersteigs und ließ meinen Blick durch den mir unbekannten Weg streifen. Schnell blieben meine Augen an einem der blauen Schilder hängen, auf dem in weißer Schrift der Name der Straße stand.

Ich zog mein Smartphone aus meiner Hosentasche und suchte auf Google Earth nach dem schnellsten Weg nach Hause.

Fast erwartete ich, eine Nachricht von Minou zu erhalten, bis mir auffiel, dass wir nie unsere Nummern ausgetauscht hatten. Kurz hatte ich ein schlechtes Gewissen, da sie sich vielleicht Sorgen um mich macht, dann wurde mir jedoch klar, dass sie das vermutlich nicht tat. Wieso sollte sie auch?

Mein Handy hatte mittlerweile trotz meiner erbärmlich langsamen Mobilen Daten die Route berechnet und ich sah, dass ich mich in die entgegengesetzte Richtung begeben hatte. Seufzend machte ich mich dennoch auf den Nachhauseweg.

Ich brauchte geschlagene 30 Minuten, bis ich endlich vor unserer Haustür angekommen war. Ich durchsuchte meine Tasche noch nach dem Schlüssel, als die Tür auch schon von innen aufgerissen wurde.

Meine Mutter umarmte mich stürmisch. „Vera, wo zur Hölle hast du nur gesteckt?", rief sie laut.

Ich sah sie verwundert an. „Ich war Schwimmen mit Lina und Simon ... das hatte ich dir doch erzählt."

Sie schüttelte den Kopf. „Minou hat gemeint, du wärst weggelaufen. Und dann hast du auf keinen meiner Anrufe reagiert!"

Ich zog mein Smartphone aus der Tasche und stellte fest, dass sie tatsächlich mehrmals versucht hatte mich anzurufen, mein Handy jedoch auf lautlos gestellt war.

„Sorry, ich wollte nur ...", ich hielt mitten im Satz inne. „Moment mal, wie meinst du das, dass Minou gemeint hätte, ich wäre weggerannt?"

Eine zweite Gestalt tauchte hinter meiner Mutter im Türrahmen auf. Ich schluckte.

„Hey", begrüßte mich Minou vorsichtig; ich wäre am liebsten wieder geflohen.

„Was machst du hier?", ich verfluchte mich innerlich dafür, dass meine Stimme zitterte.

Minou biss sich auf die Innenseite ihre Wange. „Ich habe mir Sorgen gemacht, als du so plötzlich aus Cardy's abgehauen bist und keine Ahnung, ich dachte, du wärst vermutlich nach Hause gelaufen und darum bin ich hergekommen."

„Was war denn los?", fragte meine Mutter besorgt. Ich schüttelte langsam den Kopf. „Nichts, mir ist nur echt schlecht geworden und ähm ich hatte Sorge, mich vor allen zu übergeben." Minou runzelte die Stirn, doch meine Mutter schien mir zu glauben.

„Geht es dir denn wieder besser?", fragte sie und strich mir über den Rücken. Ich nickte.

„Dann ist ja gut." Sie lächelte, doch dann schien ihr wieder einzufallen, dass sie vergessen hatte, mich dafür zur Schnecke zu machen, dass ich einfach verschwunden war. „Und du geht von jetzt an immer an dein Telefon, wenn ich dich anrufe, verstanden? Ich war krank vor Sorge!"

Ich wusste, dass sie übertrieb, nickte aber dennoch brav. „Versprochen."

Meine Mutter schien zufrieden und wandte sich an Minou. „Willst du vielleicht noch zum Essen bleiben?"

Minou schien zu zögern und sah mich unsicher an. „Wäre das okay für dich?"

Nein. Nein, das wäre es definitiv nicht, aber ich wusste, dass meine Mutter dafür sorgen würde, dass ich den heutigen Abend nicht überlebe, wenn ich jetzt nein sagen würde. Also nickte ich. „Ja, klar."

Minou lächelte vorsichtig. „Dann würde ich gerne bleiben."

Meine Mutter nickte. „Super, aber es dauert bestimmt noch ein Weilchen. Wollt ihr zwei nicht so lange hoch gehen?"

Nein, das wollte ich auch nicht, aber wieder stimmte ich zu und so machten wir uns auf den Weg die Treppe noch.

In meinem Zimmer angekommen, ließ sich Minou auf der Kante meines Bettes nieder. „Wenn du reden willst ..."

Ich schüttelte vehement den Kopf. „Nein danke."

„Okay ...", die Selbstsicherheit, die sie normalerweise ausstrahlte, begann zu bröckeln.

Ich setzte mich an meinen Schreibtisch und öffnete Instagram. Ich scrollte einige Minuten durch meine ‚Für Dich'-Seite, bis ich einen Blick auf mir ruhen spürte. Ich blickte auf und sah Minou in die Augen. „Was ist?"

Sie öffnete den Mund, schloss ihn dann jedoch wieder, ohne etwas gesagt zu haben. Dann schüttelte sie den Kopf, griff nach ihrer Tasche und verließ das Zimmer. Einige Augenblicke später hörte ich ein „Sorry, Frau Drehler, aber ich muss leider los" von unten hoch klingen und ließ mich auf mein Bett fallen.

Nur Sekunden nachdem die Haustür ins Schloss gefallen war, stand meine Mutter auch schon in der Tür. „Was war das denn?"

Ich vergrub meinen Kopf in meinem Kissen. „Ihr war auch schlecht. Vermutlich war das Essen in der Schulkantine gestern verdorben. Ich habe dir ja schon immer gesagt, dass die eigentlich gar keinen Cateringdienst haben, sondern die Schüsseln einmal in den Kompost tauchen und uns das dann als Mahlzeit vorsetzen."

Meine Mutter seufzte und setzte sich auf die Bettkante, genau an der Stelle, wo vor einer Minute noch Minou gesessen hatte.

„Sag mir doch bitte, was los ist", bat sie.

„Es ist nichts, Mom!"

Sie schüttelte den Kopf und wollte mir über den Kopf streichen, doch ich schlug ihre Hand weg.

„Fass mich nicht an!", fauchte ich.

„Wenn du hier wie ein Kleinkind schmollen willst, dann nur zu. Wenn du es dir anders überlegst, kannst du ja gleich noch runterkommen und mit uns zu Abend essen", sie klang genervt, doch ich wollte ihr nicht antworten.

Nachdem sie mein Zimmer verlassen hatte, drehte ich mich auf den Rücken und starrte an die Decke. Meine Mom hatte recht: Ich benahm mich wie ein Kleinkind. Aber das war mir gerade ziemlich egal.

Zebrawelt ✔Where stories live. Discover now