Kapitel 5

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Mein Vorhaben, mich am Mittwoch vor dem Treffen mit Minou nicht kirre zu machen, scheiterte erbärmlich.

Nun lag ich also auf meinem Bett, starrte die Decke an und zählte die Minuten, bis das Mädchen hier auftauchen würde. Ich warf einen Blick auf meinen alten Digitalwecker: 18:56. Noch vier Minuten, bis mir eine nervige Zicke den Abend versauen würde.

Aber das hatte sie eigentlich schon getan.

Ich stand auf und lief einige Schritte durch mein Zimmer, wobei mein Blick langsam zu dem Wandspiegel wanderte. Doch ich guckte direkt wieder weg. Mir doch egal, wie ich aussah, ich hatte wichtigeres im Kopf, zum Beispiel das Biologieprojekt.

Plötzlich kam mir der Gedanke, was Minou überhaupt von meinem Zimmer halten würde. Nervös zuckte mein Blick über die Poster an der Wand und die Tonnen von Taschenbüchern in den Regalen. Ich griff nach einigen peinlichen Selfies von mir und Lina, die in Bilderrahmen an der Wand hingen und wollte sie gerade abnehmen, als ich eine belustigte Stimme von hinten hörte.

„Was machst du da?"

Ich wirbelte herum und sah Minou im Türrahmen lehnen.

„Eh, nichts?", hektisch versuchte ich die Fotos wieder an die Wand zu hängen, wobei eines jedoch runterfiel. Ohne nachzudenken, versuchte ich, den Bilderrahmen unauffällig mit meinem Fuß unter mein Bett zu schieben, was natürlich in Anbetracht dessen, dass Minou mich aufmerksam musterte, ziemlich sinnlos war.

Sie lachte, doch es klang nicht wirklich gemein, sondern eher freundlich. Doch das war mir eigentlich ziemlich egal, ich sah sie trotzdem wütend an. „Wer hat dich überhaupt reingelassen? Ich habe es gar nicht klingeln gehört."

Sie zuckte mit den Schultern. „Als ich klingeln wollte, hat dein Bruder gerade sowieso die Tür geöffnet, um das Haus zu verlassen. Er hat mir dann gesagt, wo dein Zimmer ist."

Ich blickte sie verwirrt an. „Ich habe gar keinen Bruder ..."

Sie zog scharf die Luft ein, doch dann lachte sie. „Scheiße, Vera, dein Dad ist heiß."

Als Minou mein verstörtes Gesicht sah, musste sie noch mehr lachen. Ich ließ mich auf meinem Schreibtischstuhl nieder und legte meinen linken Knöchel auf mein rechtes Knie ab. Sie machte mir nicht nur meinen Abend kaputt, sondern auch meinen Vater, na vielen Dank auch ...

Minou hatte derweilen aufgehört zu lachen und griff jetzt nach ihrer Handtasche. Einer sehr hässlichen Handtasche für meinen Geschmack, aber was weiß ich schon über Handtaschen.

Sie zog einige gefaltete Zettel hervor und strich sie auf ihrem Schoß glatt.

„Okay, also ich habe mir mal den Wikipedia-Artikel zu Syndesmose durchgelesen und ..."

„Symbiose", unterbrach ich sie.

„Hm?", sie guckte mich verständnislos an.

„Unser Thema ...", versuchte ich es ihr zu erklären, „... heißt Symbiose, nicht Syndesmose. Das für beide Seiten vorteilhafte Zusammenleben von zwei Organismen, keine unechten Gelenke."

Es folgte ein kurzes Schweigen, dann überflog sie den ersten ihrer Zettel. „Fuck, bist du dir sicher?" Ich nickte und bis mir auf die Unterlippe, um nicht laut loszulachen. Minou steckte die Zettel peinlich berührt wieder weg.

„Hey", sagte ich versöhnlich, „ich kann das hier wirklich allein machen, ich denke, das wäre für uns beide von Vorteil ..."

Das war offensichtlich nicht das, was sie hören wollte, denn sie starrte mich mit einem eiskalten Blick an, der sogar Frosty the Snowman hätte vor Kälte zittern lassen. „Ich weiß ja, dass du denkst, ich wäre total zurückgeblieben und dass du generell alle und jeden hasst, aber ich versuche hier wirklich nur unser verdammtes Bioprojekt zu bearbeiten! Wenn du also deine Vorurteile mir gegenüber mal ganz kurz vergessen könntest, wäre ich dir wirklich sehr verbunden!"

Versuchte sie mich hier gerade wirklich als die Böse hinzustellen? Ich meine, klar, ich mochte sie nicht, aber daran war sie doch selbst schuld, oder nicht? Ich meine, sie ist doch diejenige, die andere schikaniert und so ein Zeug.

„Ich weiß, dass du mich nicht magst, Vera, du tust ja nicht gerade viel, um das zu verbergen, aber ich werde dennoch an diesem Projekt mitarbeiten. Punkt."

„Warum zur Hölle ist dir das eigentlich so wichtig?", schnauzte ich sie an.

„Ich wüsste nicht, was dich das angehen sollte", erwiderte sie trotzig.

Ich stand auf und stellte mich vor sie. Ich hatte irgendwann mal gelesen, dass man während eines Streits versuchen sollte, höher zu stehen als die andere Person. Das soll angeblich autoritär wirken. „Weißt du was? Wenn du der Meinung bist, deine Mitarbeit würde das Projekt verbessern, schön! Aber beschwer dich nicht, wenn wir am Ende eine schlechte Note dafür bekommen!"

Jetzt erhob sich auch Minou und baute sich vor mir auf. Sie musste Schuhe mit niedrigeren Absetzten tragen als Montag, denn wir standen uns nun auf Augenhöhe gegenüber.

„Hast du gerade gesagt, ich würde deine Note runterziehen? Und ich dachte, du hättest einfach keinen Bock auf andere Menschen, aber das ...", sie geriet kurz ins Stocken, „... das ist dermaßen überheblich!"

Sie hatte recht und mir war auf der Stelle peinlich, was ich gesagt hatte. „Ich wollte doch nur ...", fing ich an, doch Minou schnitt mir das Wort ab. „Ich mag vielleicht nicht so intelligent sein wie du, aber das heißt noch lange nicht, dass ich es nicht bemerke, wenn andere mich beleidigen!"

Mir wurde das alles zu viel. „Es tut mir leid, okay?", fuhr ich sie an. „Aber es stimmt doch!"

Minou seufzte. „Vielleicht sollten wir das wann anders klären? Ist wohl nicht der richtige Augenblick, um jetzt gerade zusammen zu arbeiten. Vielleicht sollte ich gehen und wir treffen uns dann einfach nochmal?"

Ich nickte und sie trat zur Seite. Ich wollte nicht, dass sie sah, wie scheiße es mir ging und setzte mich deshalb auf mein Bett und senkte den Kopf. Minou schnappte sich ihrer Tasche und griff dann nach meiner Zimmertür.

Aber sie ging nicht.

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