Kapitel 9

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Nach der Schule beschlossen Simon, Lina und ich in die Innenstadt zu gehen. Die Sonne schien und eine kleine Eisdiele hatte gerade neu eröffnet.

Wir besetzten einen der Tische im Freien, von wo aus man den winzigen Marktplatz sehen konnte, auf dem einige Kinder lachend herumrannten und ein paar Tauben stolz gurrend auf dem Boden nach Krümeln suchten.

Schnell griff ich nach einer der beiden Speisekarten, die auf dem Tisch lagen, und Lina, die offensichtlich ebenfalls den Mangel bemerkt hatte, tat es mir gleich. Simon, der deshalb leer ausgegangen war, seufzte und lehnte sich dann zu mir rüber, um über meine Schulter mitzulesen.

„Blake meinte heute in Informatik übrigens, dass angeblich Antonia diejenige gewesen ist, die überfallen wurde", eröffnete Simon das Gespräch.

Lina guckte verwundert. „Echt? Ich habe gehört, dass es angeblich Thalia gewesen sein soll."

Simon schüttelte energisch den Kopf. „Auf keinen Fall, wenn es Thalia gewesen wäre, wüsste Blake davon!"

Ich überlegte, ob ich ihnen erzählen sollte, dass sie beide falsch lagen. Eigentlich sprach nichts dagegen.

„Es war Minou." Sofort fuhren zwei Köpfe zu mir herum.

„Ja, dass meinte Ellen auch, aber ich glaube irgendwie nicht, dass es eine von Melissas Freunden gewesen ist, die hätten doch locker eine riesen Nummer daraus gemacht", erwiderte Lina achselzuckend.

„Es war wirklich Minou, sie hat es mir erzählt. Aber sie meinte auch, dass es nicht wirklich ein Überfall war, da war nur so ein Typ, der ihre Tasche wollte, sie aber nicht mal bekommen hat."

‚Oder eine Typin', fügte ich in Gedanken hinzu.

„Hm, okay", für Simon war die Sache damit wohl vom Tisch, aber Lina wirkte stattdessen noch neugieriger.

„Sekunde mal, du machst doch dieses Projekt mit ihr, oder?", rief sie.

Ich zögerte kurz. „Ja?"

Lina starrte mich an. „War sie etwa bei dir, bevor sie überfallen wurde?"

Ich nickte vorsichtig. Lina sprang auf. „WIESO SAGST DU DAS ERST JETZT?", schrie sie. „OH MEIN GOTT, DAS IST JA VOLL GRUSELIG!"

Die Leute an den Nebentischen starrten uns alle an, weshalb Simon knallrot wurde, doch Lina schien das alles nicht einmal zu bemerken.

Ich klappte die Speisekarte zu und legte sie wieder auf den Tisch. „Wir haben uns seit heute Morgen doch gar nicht mehr gesehen und ich habe es da auch erst von ihr erfahren", erklärte ich meiner Freundin dann.

Lina schien das als Entschuldigung zu genügen und sie ließ sich wieder auf ihren Stuhl nieder.

„Minou ist doch die Große mit den braunen Haaren, oder?", fragte Simon.

Ich nickte. „Ja, die, mit der ich das Projekt machen muss, weil du Depp mich hast hängen lassen."

„Richtig!", rief Lina, „Wie läuft es eigentlich so mit Isa?"

Simons Gesicht, dass in der Zwischenzeit wieder einen normalen Farbton angenommen hatte, lief erneut rosa an.

„Wir kommen recht gut mit unserem Projekt voran."

Lina verdrehte die Augen. „Du weißt ganz genau, dass das nicht das war, was ich meinte!"

Simon lächelte schüchtern. „Wir wollen Sonntag ins Kino ..."

Lina riss die Augen auf. „WARUM ERZÄHLT MIR DENN SEIT NEUSTEM KEINER VON EUCH BEIDEN MEHR VON DEN KRASSEN DINGEN, DIE IN EUREN LEBEN ABGEHEN!", quietschte sie und Simon sah so aus, als würde er ihr am liebsten den Mund zuhalten.

Ich lachte. „Vielleicht solltest du dir mal ein eigenes Leben suchen, Li."

Lina verdrehte genervt die Augen. „Pfft, wer braucht schon ein eigenes Leben, wenn er an dem seiner Freunde teilhaben kann. Wir suchen dir einfach auch noch eine Beziehung und für meine Unterhaltung ist gesorgt!"

Nun lachte auch Simon. „Wie wär's denn mit Minou? Dann könnten wir auf ein Biologie-Projekt-Doppeldate gehen."

Sollte das ein Scherz sein? Ich starrte ihn an.

„Minou ist ein Mädchen", meine Stimme klang trocken, ich sollte mir vermutlich etwas zu trinken besorgen. Konnte ich die Wasserflasche aus meinem Rucksack nehmen oder durfte man hier nichts selbst mitbringen? Würde das überhaupt jemanden stören?

Simon runzelte die Stirn, doch Lina schien nichts zu bemerken und sie lachte weiter. „Jetzt sei doch nicht so homophob, V! Aber unabhängig von dem Geschlecht, solltest du dir echt doppelt überlegen, ob du eine von Melissas Freundinnen daten willst. Ich mein ja nur, dass ..."

Endlich schien auch Lina bemerkt zu haben, dass Simon und ich nicht mehr mit lachten.

„War das irgendwie gemein?", fragte sie unsicher. „Tut mir leid, wir haben uns doch früher immer über Melissa und die anderen lustig gemacht, ich wusste nicht, dass ..."

„Halt die Klappe!", fuhr Simon sie an und Lina verstummte und starrte ihn an. Solch einen harschen Ton hörte man so gut wie nie von Simon.

„Was ... ist denn los?", Linas Stimme klang verwirrt. Sie blickte mich hilfesuchend an, doch ich starrte nur weiter Simon an. „Vera?", fragte dieser leise.

„Ja?"

„Ist alles okay mit dir?"

Nein, aber ich wusste leider ebenfalls nicht wieso, also beschloss ich mich zusammenzureißen und meinen beiden besten Freunden nicht den Tag zu versauen. „Klar, tut mir leid."

Simon schien nicht überzeugt zu sein und zog die linke Augenbraue misstrauisch nach oben.

„Wirklich", ich lächelte ihn an, „mir war nur ein bisschen schwindelig, muss am Wetterumschwung liegen."

Simon nickte langsam. „Du solltest was trinken ..."

Ich lächelte: „Mach ich." Und dann beschloss ich, dass es mir egal war, ob es erlaubt war oder nicht und zog meine Flasche aus dem Rucksack.

Lina schien erleichtert, wenn auch noch ein wenig verwirrt, aber das waren Simon und ich ja eigentlich auch.

Sie winkte der Bedienung zu, die sogleich auf unseren Tisch zukam. Hastig steckte ich meine Wasserflasche wieder weg; ich hatte mich gerade dazu entschieden, dass es mir doch nicht egal war, ob es erlaubt ist.

„Hey", begrüßte uns die junge Kellnerin. „Was darf ich euch denn bringen?"

Falls sie meine Flasche gesehen hatte, schien sie sie nicht zu stören oder wenigstens ließ sie sich nichts davon anmerken.

Lina überlegte einen kurzen Augenblick. „Also ich hätte gerne ein Spagettieis, mit Extrasahne, wenn's geht."

Die Frau nickte fröhlich. „Gerne, gar kein Problem!"

Dann wand sie sich an Simon und mich. „Und für euch beide?"

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