Kapitel 4: Vanilleschnaps

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Der Wind frischte auf

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Der Wind frischte auf. Der vertrocknete Busch neben Mia raschelte und der kleine irdische Spatz flüchtete von seinem Sitzplatz. Zwei ihrer Kollegen spannten das Absperrband um den Fundort der Leiche, damit die wenigen Gaffer ferngehalten wurden. Mia verachtete Zuschauer bei ihren Ermittlungen. Wenn ich könnte, würde ich jeden Einzelnen von ihnen einsperren.

Auch wenn Mia viel im Außendienst tätig war, war ihre Haut so bleich, wie die eines Stubenhockers, der das Haus nie verließ. In ihrer Unterlippe steckte ein Piercing, der ihrer Verlobten so sehr gefiel, weshalb Mia ihn behielt, auch wenn er manchmal schmerzte. Was man nicht alles für die Liebe tut. Die leicht mandelförmigen Augen leuchteten braun, ihre Wimpern hatte sie sich erst frisch gezupft. Spitz zulaufend wirkte ihr Kinn, das sie für das hässlichste ihrer Körperstellen hielt. Dafür bin ich knackig und schlank und besitze ewig lange Beine.

Die Sterne leuchteten klar am Nachthimmel. Der carthische Mond mit dem Namen Luna erhellte die schmutzige Seitengasse und enthüllte so die Schlafplätze und Nachtlager der hier hausenden Obdachlosen. Zwei ältere Herren, beide mit Wollmütze auf dem Kopf, mussten sich einer Befragung unterziehen, genau wie die junge Frau, die gerade von Sambi verhört wurde. Eine Standartprozedur, selbst in Gegenden wie diesen. Jeden Tag und jede Nacht wurden meist Obdachlose tot aufgefunden, entweder verhungert, ermordet oder verstorben an einer Krankheit. Für Mia wäre dies Routine gewesen, hätten die anwesenden Leidensgenossen des Verstorbenen nicht von den besonderen Umständen seines Todes berichtet. „Seine Augen", hatte der größere der beiden Männer gelispelt. „So groß wie Scheinwerfer. Und dann ist er durchgedreht. Er hat geschrien wie am Spieß, hat gerufen, dass sein Kopf gleich explodiert. Er muss schreckliche Schmerzen gehabt haben." Der andere Obdachlose hatte das gleiche berichtet. Mia war sich daher sicher, es handelte sich wieder um dieses Teufelszeug, dem sie bereits seit Wochen, wenn nicht gar Monaten schon, auf der Spur war.

„Detective Ortega", hörte die junge und doch erfahrene Polizistin ihren Kollegen sagen. „Diese Frau antwortet nicht. Sie spricht nicht, gestikuliert nicht, gar nichts. Sie starrt lediglich auf den Boden und hält sich die Decke über die Schultern."

Mia schaute an Sambi vorbei. Die junge obdachlose Frau hatte lange braune Haare, zerzaust und nass hingen sie an ihr herunter. Sie besaß ein hübsches Gesicht, große Augen und eine zierliche Stupsnase. Über ihren Schultern lag, wie Sambi bereits angemerkt hatte, eine löchrige braune Decke, verschmutzt und staubig vom Unrat der Gosse. Auch wenn Mia tagtäglich verarmten Menschen in die Augen blickte, fühlte sie Mitleid mit der jungen Frau. Ihr Anblick war bei Weitem nicht das schlimmste oder bewegendste, was Mia je erlebt und gesehen hatte. Doch am meisten bewegte sie Schicksale, die nicht endgültig waren, Menschen, denen geholfen werden konnte, aber diese Hilfe meistens ablehnten und sich selbst bereits aufgegeben hatten.

Mit erzwungenem Lächeln ging Mia auf die junge Frau zu. „Können Sie uns Ihren Namen verraten?" Geduldig wartete sie, ob die Obdachlose zu einer Antwort bereit war, vergebens, wie sich herausstellte.

METROPOLA - Band 1 - Der JahrhundertsturmWhere stories live. Discover now