Kapitel 20: Gesetze

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 „Das Gericht kommt zu folgendem Schluss

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 „Das Gericht kommt zu folgendem Schluss." Ihr Vater trug die rote Robe eines Verfassungsgerichtes, genau wie seine vier Amtskollegen, die sich alle zusammen erhoben. Um seinen Kragen war ein weißes Band gebunden, etwas, das nur dem Präsidenten des Gerichts vorbehalten war. Die Brille mit dem dünnen Gestell rutschte ihm fast von der Nase, sodass er sie wieder zurückschieben musste, während er mit der anderen Hand die schwere, aus mehreren Seiten bestehende Urteilsniederschrift hielt.

Abby saß in den Zuschauerreihen und lauschte den Worten ihres Vaters. Es waren nicht allzu viele Menschen im Saal versammelt. Scheinbar gab es auch seitens der Presse kaum Interesse an dem Verfahren und der heutigen Urteilsverkündung. In den letzten Wochen und Monaten hatten die Verfassungsrichter des Unionsverfassungsgerichtes über eine Verschärfung des Infektionsschutzgesetzes entschieden. Der Antrag der Konservativen Partei war nur einer von vielen, den die Politiker des rechten Spektrums dem Gericht regelmäßig vorlegten. Ihr Vater hatte Abby erklärt, dass es bei diesem Fall um einen kleinen aber wichtigen Zusatz handelte, der nicht mit der Verfassung im Einklang stand, so der Vorwurf der Konservativen.

Abby hatte ihre pink gefärbten Haare wie sonst zu einem Zopf gebunden. Einzelne lose Strähnen hingen ihr über die Ohren, während sie den Ausführungen ihres Vaters lauschte. Das Frühjahr erlaubte ihr ihre geliebte braune Lederjacke zu tragen, für die es im Sommer viel zu warm war. Über ihre rechte Augenbraue zog sich eine feine aber doch sichtbare Narbe, die sie an eine der schrecklichsten Nächte ihres Lebens erinnerte. Der aggressive Mann hatte ihr nach Anbruch der Dunkelheit aufgelauert. Nachdem er sich auf sie gestürzt hatte und sie hinter einen Müllcontainer zog, hielt er ihr mit der einen Hand den Mund zu, während er mit der anderen ihre Bluse öffnete. Damals war sie noch fünfzehn gewesen und das erste Mal betrunken, doch noch klar genug im Kopf, um zu ahnen, was jetzt passieren würde. Mitten im Regierungs-Sektor war es sicher ... so hatte sie gedacht. In dieser Nacht wurde sie eines besseren belehrt.

Niemand war ihr zur Hilfe gekommen, also war die einzige Lösung gewesen, sich selbst zu helfen. Ihr Vater wusste es bis heute nicht, aber Abby ging niemals ohne ihr kleines Klappmesser aus dem Haus, auch heute nicht. Während sie von dem Triebtäter fixiert wurde, gelang es ihr, in ihre Tasche zu greifen, das Messer zu ziehen und auszuklappen und dem Verbrecher damit in den Hals zu stechen. Sein Blut tropfte auf ihre aufgeknüpfte Bluse, als er sie mit Angst- und Zorn erfüllten Augen anblickte und zum Schlag ausholte. Abbys Kopf prallte dabei gegen die Kante des Müllcontainers woraufhin sie stark blutete. Zu mehr war der Kerl nicht mehr imstande, als er sich röchelnd von ihr wälzte und wie ein Verdurstender durch die Dunkelheit kroch, bis er schließlich verschwand. Ob er den Stich überlebt hatte oder nicht, darüber wollte sie sich keine Gedanken machen. Zu düster war die Vorstellung, dass sie einen Menschen auf dem Gewissen hatte, auch wenn dies aus Notwehr geschehen war.

Ihr Vater wusste nichts von alledem, und das war auch gut so. Würde er je davon erfahren, wäre es aus mit ihrer sowieso schon beschränkten Freiheit. Mit vierzehn Jahren verliebte sie sich in einen Jungen aus dem UNA-Sektor. Er lebte auf der Straße, war schmutzig und laut, und doch fand Abby ihn faszinierend. Als ihr Vater von der Sache Wind bekam, verbot er ihr sämtliche Kontakte zu der Unterschicht. „In dieser Stadt wimmelt es nur so von Verbrechern", hatte er sie gewarnt. „Im Regierungs-Sektor gibt es genug Jungen, die für dich geeignet sind. Abgesehen davon bist du noch viel zu jung für sowas." Anschließend ließ er sie nicht mehr aus den Augen. Erst einige Monate später war seine Paranoia einer etwas weniger intensiven Kontrollsucht gewichen. Seitdem kämpfte Abby beinahe tagtäglich mit ihrem Gewissen, da sie ihrem Vater Lügen über Lügen auftischte und ihm Dinge verheimlichen musste, um ihn nicht wieder wahnsinnig zu machen.

METROPOLA - Band 1 - Der JahrhundertsturmDonde viven las historias. Descúbrelo ahora