Kapitel 7: Der Soldat

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Toptown

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Toptown. Ein Viertel gefangen zwischen arm und reich. Vincent blickte an den Kolossen aus Stahl und Beton hinauf.

Graue Wolken bedeckten den sonst so sonnigen Himmel und warfen einen Schatten über das Viertel, über dessen Gehwege Vincent schritt. Dennoch war es bisher wieder ein heißer Tag gewesen. Schwül-warme Luft schob sich wie eine dickflüssige Suppe zwischen die Häuser und trieb Vincent den Schweiß auf die Stirn. Dies war einer der Gründe, wieso er eines seiner alten ärmellosen Hemden aus dem Schrank gekramt hatte. Der andere Grund lag in der Person, die Vincent als erstes rekrutieren wollte, um die Tochter des Verfassungsrichters zu entführen.

Rekrutieren war dabei das richtige Stichwort. Gale war ein Soldat durch und durch. Zwar waren sie bereits seit rund zwölf Jahren Freunde, doch hatten sie sich schon eine ganze Weile nicht mehr gesehen. Zu diesem Anlass wollte sich Vincent in einen Soldaten verwandeln, zumindest äußerlich. Er trug eine Tarnhose, die ihm eine Nummer zu groß war, schwarze Lederstiefel, in denen er schwitzte, wie nie zuvor in seinem Leben und eine silberne Armeekette mit einem eingravierten Totenkopf darin. Vincent war nicht naiv genug, um zu glauben, sein Outfit alleine würde genügen, um Gale mit ins Boot zu holen. Schaden konnte es jedoch nicht.

Vor einem vierzigstöckigen Gebäude blieb er stehen. Das muss es sein. Dies war bereits Gales zehnte Behausung. Oder ist er zwischenzeitlich bereits öfter umgezogen? Gales Mentalität trieb ihn um wie einen rastlosen Wanderer. „Wer es sich zu gemütlich macht, entwickelt sich nicht weiter", hatte er Vincent damals erklärt. „Die Komfortzone ist es, die uns moderne Menschen schwach macht." Wenn er doch so sehr gefordert werden möchte, wieso ist er dann nach Toptown gezogen? Das kleine Stadtviertel im Trans-Atlantik-Sektor konnte man getrost als mittelschichtig bezeichnen. Wahren Luxus suchte man hier vergebens, genau wie Armut und Obdachlose, denen der Zugang zu Toptown durch die vielen privaten Sicherheitsfirmen, die die Wohnanlagen bewachten, äußerst schwierig gemacht wurde. Gale war zwar niemand, der die vermeintliche Ruhe genoss, doch würde er Platz brauchen für alles, was er sich über die letzten Jahre angeeignet hatte. Schusswaffen, Samuraischwerter, Explosives und Notproviant waren nur einige der Dinge gewesen, die Gale stolz an den Wänden und in Vitrinen präsentierte.

Gale war wie ein Bulle, stark, hitzköpfig und ungezügelt. Trotz alledem behielt er auch in stressigen Situationen immer einen kühlen Kopf, etwas, das Vincent von einem guten Soldaten erwartete. Unter der harten Schale des Kämpfers schlummerte ein weicher Kern und ein gutes Herz. Er war ihm stets ein wahrer Freund gewesen. Daher hoffte Vincent, ihn für seine Sache gewinnen zu können. Wenn er sich auf einen Menschen verlassen konnte, dann war dies Gale.

Vincent betätigte die Klingel mit der Aufschrift Bermont.

Nachdem der Summer erklang, öffnete Vincent die weiße Eingangstür und stieg hinauf bis zum achtzehnten Stock. Im Türrahmen stand ein junger Mann von fünfundzwanzig Jahren, groß und mit breiten Schultern, kurzen braunen Haaren und einem wilden Bart, unter dem sich ein freundschaftliches Lächeln verbarg. Die Augen lagen tief in den Augenhöhlen, zudem zeichneten sich schwach Tränensäcke unter den Augenrändern ab. Sie verschwanden augenblicklich, als er seinen Gast erkannte. „Vincent Di Giotto", begrüßte ihn Gale und breitete die Arme aus.

METROPOLA - Band 1 - Der JahrhundertsturmWhere stories live. Discover now